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Zu viele Bagatelleinsätze

Rettungsdienst in Pforzheim und Enzkreis schlägt Alarm wegen Überlastung

Der Rettungsdienst hat seine Belastungsgrenze erreicht. Am Donnerstag zeigten sich Kreisgeschäftsführer Herbert Mann und Rettungsdienstleiter Jochen Irion vom Deutschen Roten Kreuz Pforzheim-Enzkreis besorgt.

Sind besorgt: DRK-Kreisgeschäftsführer Herbert Mann und Rettungsdienstleiter Jochen Irion beklagen zu viele Bagatelleinsätze.
DRK-Kreisgeschäftsführer Herbert Mann und Rettungsdienstleiter Jochen Irion beklagen zu viele Bagatelleinsätze. Foto: Birgit Metzbaur

Ein Faktor der Überlastung sind steigende Einsatzzahlen, die zu einer Mehrbelastung bei den Beschäftigten führen. Seit Jahresbeginn ist das DRK 20 Prozent mehr Einsätze gefahren als im Vorjahreszeitraum. Bis Jahresende rechnet Irion mit 42.000 Einsätzen. Dazu kommt: Die Einsatzzeiten werden länger. Krankenhäuser sind aufgrund von vielen Corona-Patienten, die auf den Normalstationen isoliert werden müssen, zeitweise nicht mehr aufnahmefähig. „Bis man irgendwo Patienten unterbekommt, wird es immer schwieriger“, so Mann.

In der Folge müssen Rettungsdienste manchmal weite Strecken bis nach Stuttgart, Mannheim, Ludwigsburg fahren. Während dieser Fahrtzeit müssen andere Kolleginnen und Kollegen sie vor Ort vertreten. Ein weiterer Zeitfresser ist die Übergabezeit in den Kliniken. „Was früher in fünf Minuten abgehandelt wurde“, dauere heute bis zu einer Stunde. Und nach dem Transport eines Corona-Patienten muss der Rettungswagen sorgfältig gereinigt werden.

Notfallsanitäter arbeiten im Zwölf-Stunden-Schichtbetrieb, seit zweieinhalb Jahren mit Maske und Schutzkleidung, oft ohne Mittagspause. Das gehe an die körperliche und psychische Substanz, erklären Mann und Irion und haben Verständnis, wenn Notfallsanitäter ihre Arbeitszeit reduzieren oder sich für einfachere Arbeitsplätze entscheiden. Betriebliche Sanitätsdienste seien eine große Konkurrenz.

Fachkräftemangel ist auch beim DRK in Pforzheim und Enzkreis spürbar

Das DRK ist in der Nachwuchsgewinnung aktiv. Derzeit werden zweimal im Jahr fünf Auszubildende als Notfallsanitäter eingestellt. „Einem der besten Berufe der Welt“, zeigt sich Irion überzeugt. Trotzdem ist der Fachkräftemangel spürbar.

Patienten berichten, dass sie beim ärztlichen Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung, also der 116 117, bis zu vier Stunden in der Telefon-Warteschleife verharrten, bis sie die Geduld verloren und über den Notruf 112 beim DRK gelandet sind. Liegt ein ärztliches Problem vor, bleibe dem Rettungsdienst nichts anderes übrig, als die Situation vor Ort zu klären. Der Notruf werde häufiger gewählt, durch von „Doktor Internet“ verstärkte Ängste und Unsicherheiten bei Patienten. Zudem hätten manche eine hohe Anspruchshaltung. Das führe zu „viel mehr Bagatelleinsätzen“.

Rund zwölf Prozent der Einsätze in den vergangenen Monaten zählt Mann zu den Bagatelleinsätzen. Sie werden mit einem Beratungsgespräch, meist mit Verweis auf die Hausärzte, abgehandelt. Beratungsgespräche bekommt der Rettungsdienst nicht vergütet, nur Transporte. Noch mehr Sorge macht jedoch, dass ein Rettungsdienst, der für einen Bagatelleinsatz unterwegs ist, nicht für Rettungseinsätze zur Verfügung steht.

Sieben Rettungswagen hat das DRK Pforzheim-Enzkreis, zwei an der Kieselbronner Straße, einen am Helios-Klinikum, vier in der Region (Remchingen, Neuenbürg, Tiefenbronn und Mühlacker). Einschließlich der Ehrenamtlichen und der Auszubildenden beschäftigt das hiesige DRK 180 Menschen im Rettungsdienst. Aktuell sind 25 Prozent des Stammpersonals erkrankt, der überwiegende Teil an Corona, berichtet Irion. Das Fatale an den Corona-Erkrankungen sei, dass sich die Krankheit häufig mehrere Wochen hinzieht.

„Die Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt“, betont Mann bei all den geschilderten Problemen. Aber: „Langfristig halten wir die Situation nicht mehr durch.“ Daher richtet Mann einen Appell an die Politik: „Die Strukturen müssen wieder in normale Bahnen gelenkt“ und so gelebt werden, dass die Patienten dahin gehen, wo sie richtig sind. Also bei Fieber zum Hausarzt. Bei Herzinfarkt zum Rettungsdienst. Eine notwendige Strukturänderung sei es, Anreize zu schaffen, damit es wieder vermehrt Hausärzte gibt.

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