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Ausdruck von Kolonialismus?

Umstrittene Bismarck-Statue in Pforzheim: „Der Eiserne“ trotzt allen Widrigkeiten

Die heute umstrittene Bismarck-Statue wurde einst vom Pforzheimer Bildhauer Emil Dittler geschaffen. Bei der Einweihung im Jahr 1900 waren Tausende Menschen dabei.

Statue
Überlebensgroß steht Bismarck auf seinem Sockel im Stadtgarten. Der historische Umgang mit ihm ist umstritten Foto: Jürgen Peche

Vor Tausenden Bürgerinnen und Bürgern ist die Pforzheimer Bismarck-Statue am 10. Juni 1900 am Bahnhofplatz eingeweiht worden. Von solcher Wertschätzung kann derzeit der „Eiserne“ – ein Entwurf aus Pforzheim stammenden Emil Dittler – im Pforzheimer Stadtgarten nur träumen. Denn die drei Meter hohe Skulptur des ehemaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815 bis 1898), wegen markiger Sprüche und seiner Kriegsführung „Der Eiserne“ genannt, ist mit Blick auf ihn als Politiker nicht unumstritten.

Rund 700 Bismarck-Denkmale sind nicht nur in Deutschland und den früheren deutschen Gebieten zu finden, sondern unter anderem auch in Medang auf der Pazifik-Insel Papua-Neuguinea. Die größte Skulptur steht mit einer Gesamthöhe von über 34 Metern in Hamburg und gilt – heute ebenfalls nicht unumstritten – als eines der Wahrzeichen der Hansestadt. Sie befindet sich seit 1960 unter Denkmalschutz.

Bismarck-Statue Ausdruck von autoritärem Kolonialismus?

Die BNN berichtete darüber im Zusammenhang mit der Diskussion um den Bismarck im Pforzheimer Stadtgarten, weil sie für viele Kritiker Ausdruck eines autoritären Kolonialismus ist. Nun werden an der Elbe mit einem Wettbewerb Ideen gesammelt, wie man sich künstlerisch damit auseinandersetzen könnte, um sich mit dem Reichskanzler, aber auch kritisch mit der Geschichte der Stadt zu beschäftigen.

Tausende waren am 10. Juni 1900 zur Einweihung des Bismarck-Denkmals am Bahnhofplatz gekommen.  Es wurde 1937 in den Stadtgarten versetzt.
Tausende waren am 10. Juni 1900 zur Einweihung des Bismarck-Denkmals am Bahnhofplatz gekommen. Es wurde 1937 in den Stadtgarten versetzt. Foto: Linde (Repro, Sammlung Stadtarchiv)

„Eisern“ hat der Pforzheimer Bismarck bisher (fast) allem Unbill widerstanden. Er musste 1937 dem verkehrsgerechten Ausbau des Bahnhofplatzes weichen, fand im Stadtgarten einen neuen Standort, blieb unversehrt inmitten der Trümmerwüste nach dem Luftangriff vom 23. Februar 1945.

Auch der Tornado vom 10. Juli 1968 konnte nicht an der Standfestigkeit des einstigen Reichskanzlers rütteln. Am Boden landete er erst, als er Anfang April 1988 mit Gewalt aus seiner Verankerung gerissen wurde. Aber nach der Reparatur blickte er wieder in der Uniform mit Stulpenstiefel, Waffenrock, Orden, Säbel und Pickelhaube auf das tägliche Treiben im Stadtgarten.

Als die Pforzheimer an jenem Junisonntag zu Beginn des neuen Jahrhunderts Otto von Bismarck feierten, der an drei Kriegen beteiligt war und fast 20 Jahre unter drei Kaisern als Reichskanzler diente, galt ihm diese Huldigung nicht nur als Gründer des Deutschen Reiches sondern vor allem als einem Politiker, der viel für die Arbeiterschaft erreicht hatte: Mit Krankenversicherung, Unfallversicherung, Alters- und Invalidenversicherung hatte er den Grundstein für einen modernen Sozialstaat gelegt.

Gefangen vom Mythos Bismarck

Nachdem der gesundheitlich angeschlagene und mit Kaiser Wilhelm II. im Zwist befindliche Lotse im März 1890 von Bord gegangen war, wurde dies in der Bevölkerung zwiespältig aufgenommen. Viele waren froh, „dass wir ihn los sind“ (der Schriftsteller Theodor Fontane), viele waren aber weiter vom „Mythos Bismarck“ gefangen und ehrten „den Eisernen“ unter anderem mit dem Aufstellen von Statuen – so auch mit dem aus Spenden der Pforzheimer Bevölkerung finanzierten Bismarck-Denkmal, das gegenüber dem Hotel Ruf oberhalb der Schloßkirche aufgestellt wurde.

Dazu ist im „Jahrbuch der Stadt Pforzheim 1900“ nachzulesen: „In edler Einfachheit erhebt sich auf marmornem Sockel die imponierende, lebensvolle Heldengestalt des ersten Reichskanzlers aus Bronze. Es war ein herrlicher Frühlingstag, an dem der weihevolle Akt vor sich ging.“

Am frühen Sonntagmorgen verwiesen Böllerschüsse auf das bevorstehende Ereignis. Am Turnplatz startete ein Festzug, der zum Bahnhofplatz führte. Dort hielt zunächst Landtagsabgeordneter Albert Wittum eine „herrliche von patriotischer Begeisterung getragene Festrede.“ Es folgten „wohlfeine Worte“ von Oberbürgermeister Ferdinand Habermehl, anschließend fiel die Hülle „und die entzündete Begeisterung flammte angesichts der ehernen Heldengestalt bei der vieltausendköpfigen Versammlung mächtig auf.“ Am Abend folgte im Saalbau ein Bankett, das von der Feuerwehrkapelle und den vereinigten städtischen Gesangvereinen umrahmt wurde.

Im Familiengrab auf dem Hauptfriedhof ist der so früh aus seinem erfolgreichen Schaffen gerissene Emil Dittler beigesetzt. Bei einem Aufenthalt  in Florenz (1893-1896) war die „Trauernde“, eine Skulptur aus Carraramarmor, entstanden.
Im Familiengrab auf dem Hauptfriedhof ist der so früh aus seinem erfolgreichen Schaffen gerissene Emil Dittler beigesetzt. Bei einem Aufenthalt in Florenz (1893-1896) war die „Trauernde“, eine Skulptur aus Carraramarmor, entstanden. Foto: Foto: Linde.

Ob Emil Dittler als Schöpfer der Bismarck-Statue „der bedeutungsvollen Feierlichkeit“ beiwohnte, ist nicht bekannt. Am 14. April 1868 in Pforzheim als zweiter von fünf Söhnen eines Unternehmers geboren, absolvierte der schon als begeisterter Zeichner aufgefallene Schüler zunächst eine Lehre als Ziseleur und besuchte anschließend die hiesige Kunstgewerbeschule. Dort entdeckte er seinen Hang zur Bildhauerei. 1887 wechselte Dittler an die Kunstakademie in München.

Pforzheimer Künstler schuf Bismarck-Statue

Von 1893 ging er für drei Jahre nach Florenz, um die Skulptur der italienischen Renaissance zu studieren. Dort entstand die „Trauernde“, eine Skulptur aus Carrara-Marmor für das Grab seiner Familie auf dem Pforzheimer Hauptfriedhof. Nach München zurückgekehrt, richtete er dort sein Atelier ein. Um die Jahrhundertwende war Emil Dittler als Bildhauer ein angesehener Künstler in der bayerischen Metropole, gewann Preise und bekam viele Aufträge. Zu seinen Arbeiten zählen Kleinplastiken, Grabmäler, Denkmäler und Brunnen, auch in seiner Geburtsstadt. Zudem hielt er in Zeichnungen alles fest, was er sah – Landschaften, Architektur, Tiere und Menschen.

Emil Dittler, der wohl am 18. Januar 1902 in München starb, ist im Familiengrab auf dem Pforzheimer Hauptfriedhof beigesetzt. Zwei große Aufträge konnte er, da „schwer erkrankt“, wie sein späterer Biograph festhielt, „und der Tod ihn vor einem längeren Siechtum bewahrte“, nicht mehr ausführen: Ein Denkmal der britischen Königin Victoria, das in Indien aufgestellt werden sollte, und das von ihm entworfene Denkmal für Ludwig von Bayern, das sein Freund und Kollege August Drumm vollendete. Die Münchner Künstlergruppe „Sezession“ ehrte Dittler noch im Todesjahr mit einer Gedächtnisausstellung. Seit 1947 erinnert die Emil-Dittler-Straße in der Villenkolonie Solln im Süden der bayerischen Landeshauptstadt an den Bildhauer, dem nur ein kurzes Leben für die Kunst beschieden war.

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