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Kunst-Barbarei

„Versuch der Gemeinsamkeit“: Thiel entsetzt über Umgang mit seiner Kunst in Pforzheim

Der Stuttgarter Künstler ist entsetzt: Für das Werk „Pforzheimer Mädchen“ wird seit Jahren nach einem neuen Platz gesucht, von der Skulptur in der Leopoldstraße ist nur noch der Sockel zu sehen.

Skulptur „Versuch der Gemeinsamkeit“
Als über dem Kaufhaus-Eingang noch Grünpflanzen wuchsen, symbolisierte die Skulptur von Wolfgang Thiel noch Aufbruchstimmung in der Leopoldstraße Foto: Wolfgang Thiel

Erst runtermeiern und dann abreißen: Die Methode gegen Denkmalschutzauflagen funktioniert in Pforzheim auch bei Kunst. Dies zeigt der Umgang mit dem Werk „Versuch der Gemeinsamkeit“.

Wolfgang Thiel hatte es eigens für die 1996 neu gestaltete Leopoldstraße geschaffen. Während sich Bruchsaler gerade über eine neue Arbeit des Stuttgarter Künstlers freuen, zerstört die Stadt Pforzheim, was sie hat.

Von dem einst für 110.000 Mark gekauften Kunstwerk ist gerade noch der Sockel zu sehen. Die bunten Fliesen darauf stammen aus der Karlsruher Majolika. Thiel hat sie entworfen und bemalt. Jetzt dürften sie zusammen mit der Figur, die darauf stand, den Gang allen Irdischen nehmen. Dies zumindest ist bei Kulturamtsleiterin Angelika Drescher zu erfahren.

„Die Arbeit ist ja eigens für den Eingangsbereich des früheren Sinn-Leffers-Gebäudes geschaffen worden“, erläutert Pforzheims Frau für kulturelle Fragen. Es werde deshalb nicht daran gedacht, sie an einem anderen Ort aufzustellen. Das sei so auch mit dem Künstler besprochen, den Drescher selbst für ein Interview vermittelt.

Thiel sieht dies anders. „Der ruinöse Halbzustand meiner Skulptur in der Leopoldstraße fühlt sich an, als hätte man mich zusammengeschlagen und blutend am Straßenrand liegen gelassen“, schreibt der 71-Jährige an Drescher. Er war durch ein Kurier-Foto auf den zerstörten „Versuch der Gemeinsamkeit“ aufmerksam geworden.

Lange Geschichte der Verwahrlosung

Die Geschichte der vorausgehenden Verwahrlosung ist etwa so lang wie die Odyssee der gleichfalls von Thiel geschaffenen „Pforzheimer Mädchen“. Die Arbeit für die 1986 als Provisorium eröffnete neue Fußgängerzone stand im Weg als die Stadt sich nach 30 Jahren anschickte, diese fest zu etablieren. Die Neukonzeption ließ keinen Platz für das wenig damenhafte Trio in der Westlichen Karl-Friedrich-Straße.

Als hätte man mich zusammengeschlagen und blutend am Straßenrand liegen gelassen.
Wolfgang Thiel, Bildhauer

Aus Sicht des Künstlers war das kein Schaden. Seine Mädels standen für seinen Geschmack schon viel zu lange im Fettdunst der benachbarten Gastronomie. Den Zustand der Arbeit in der Leopoldstraße habe er auch wenig erfreulich empfunden, als er dort vorbeischaute.

2016 regte Thiel „vorsichtiges Kärchern“ und etwas Dichtzement gegen Frostwasser an. Ein halbes Jahr später habe er dann selbst einmal vom Entfernen „Versuch der Gemeinsamkeit“ in der Leopoldstraße aus dem „mittlerweile unterirdisch vermüllten Ambiente“ gesprochen. „So musste ich damit rechnen, dass das geschieht“, was das Kulturamt 2020 dann auch ankündigte, räumt der Bildhauer ein.

Am rauen Leben in Pforzheim gescheitert

Dass sein „Versuch der Gemeinsamkeit“ allerdings unwiederbringlich am rauen Pforzheimer Leben scheitert, erschüttert den Mann aus Stuttgart nun jetzt aber doch. Schließlich sei ihm vom Kulturamt versprochen worden, dass das „Kunstwerk selbstverständlich gut zwischengelagert wird“.

Thiel ist kein Mann, der laut wird. Nach „einer schlaflosen Nacht“ wegen des Zustands seiner Arbeit schreibt er: „Selbst als Interimszustand ist das so unerträglich und respektlos, dass ich gewillt bin, rasch etwas zu unternehmen“.

Sinn-Leffers-Gebäude an der Leopoldstraße in Pforzheim.
Vom gelben „Versuch der Gemeinsamkeit“ ist nur noch der Sockel mit handgefertigten Fliesen von der Karlsruher Majolika zu sehen. Foto: Edith Kopf

Zu den ersten Reaktionen des Künstlers gehört der Brief an die Kulturamtschefin, mit der er sogar nach rund sechs Jahren noch einen Stadtspaziergang plante, um für die „Drei Grazien“ einen würdigen Platz zu finden. Da damals bereits klar war, dass es mit dem „Versuch der Gemeinsamkeit“ ebenfalls zu Ende geht, habe er Drescher für das Treffen im Juli 2021 vorgeschlagen, „nach Plänen für den Abbau der Arbeit zu schauen“.

Der Termin platzte. „Vom Abbau in der Leopoldstraße wurde nicht mehr gesprochen“, erinnert sich Thiel. Der „Versuch der Gemeinsamkeit“ wurde zerstört, als es um einen Platz für die Trafostation ging, die für den Abriss des Sinn-Leffers-Gebäudes verlagert wurde.

Urheberrechtlich ist der Zustand ein No-Go.
Wolfgang Thiel, Künstler

„Ein Abbau war das nicht. Eine barbarische Zerstörung wohl“, schreibt Thiel ans Kulturamt. „Urheberrechtlich ist der Zustand ein No-Go.“ Aber vielleicht sei das ja eine Visitenkarte für die Stadt.

„Schofelig, wie man da abräumt, egal was man davon hält“, findet Ulrich Füting den Umgang mit dem Werk und dem Künstler. Der frühere Chef der Pforzheimer Stadtbau war als Baudirektor mit dabei, als der damalige Erste Bürgermeister Siegbert Frank im Dezember 1995 den Vertrag zum künstlerischen I-Tüpfelchen unterschrieb, das den Umbau der Leopoldstraße krönen sollte.

Sponsoren finanzierten das Kunstwerk

Das Geld dafür gaben Geschäftsleute. Insbesondere von einem damaligen direkten Sinn-Leffers-Nachbarn soll ein ordentliches Sümmchen gekommen sein.

Als das Kunstwerk dann im Juli 1996 zusammen mit der Straße gefeiert wurde, verwies der Erste Bürgermeister eine kontroverse Diskussion über den „Versuch der Gemeinsamkeit“ ins Reich der Geschmacksfragen: „Wir müssen Kunst in der Stadt in ihrer ganzen Vielfalt sehen.“

Wolfgang Thiel bei der Arbeit in der Karlsruher Majolika
Wolfgang Thiel bemalt bis heute mit Majolika-Fliesen für seine Skulpturen. Jüngst übergab er in Bruchsal ein Werk. Foto: Wolfgang Thiel

Das hat sich nun erledigt. Thiel fragt sich vor diesem Hintergrund, ob „überhaupt noch daran zu denken ist“, dass seine „Pforzheimer Mädchen“, wie zuletzt geplant, in den Enzauenpark kommen. Zumindest brieflich streckt er dafür erneut eine Hand aus in Richtung Kulturamtsleiterin: „Vielleicht können sie meine maßlose Enttäuschung durch positive Perspektiven mildern.“

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