
Ein preiswertes Essen, die Gemeinschaft im Warmen und die freundliche Aufnahme lockte am Sonntag hunderte Menschen in die Stadtkirche. Es war wieder soweit: Mit einem Gottesdienst wurde die Vesperkirche in Pforzheim feierlich eröffnet.
Lange bevor sich die Türen öffneten, standen schon Menschen davor. Da war die ältere Frau, die ohne Strümpfe in ihren Clogs gekommen war, der Straßenmusikant, der von einer Italienreise träumt, der Herr in seinem in die Jahre gekommenen feinen Anzug, der Flaschensammler, der zwei Plastiktüten voll Flaschen und Dosen dabei hatte, ukrainische Frauen und zahlreiche Menschen, denen man auch sonst in der Stadt begegnet.
„Die gesamte Pforzheimer Gesellschaft“ ist hier anzutreffen, sinnierte Büchenbronns Ortsvorsteher Bernhard Schuler. Er ist seit 24 Jahren als ehrenamtlicher Helfer in der Vesperkirche aktiv. So fiel ihm auf, dass sich die Zusammensetzung der Besucher geringfügig verändert hat, „breiter“ wurde.
Besonders „derb“ empfinde er es, wenn er ehemalige Schulkameraden sehe, die durch Schicksalsschläge oder zu geringe Alterssicherung in Notlage geraten und auf die Vesperkirche angewiesen sind.
400 Ehrenamtliche bringen sich in der Pforzheimer Vesperkirche ein
An einem der Tische saßen am Sonntag Karl, Maik, Birgit und ihr Freund beim Essen zusammen. Karl ist 61 Jahre alt, auf Bürgergeld angewiesen. Früher habe er als Einzelhandelskaufmann, als Bedienung im Hotel Gute Hoffnung, in einer Fabrik in Niefern gearbeitet und zuletzt zwei ältere Frauen betreut, erzählt er.
Zwölf Jahre lang kam er nicht in die Vesperkirche. Früher seien ihm da „zu viele Drogenabhängige“ gewesen. Am Sonntag jedoch genoss er das Angebot und hatte auch einen Kumpel mitgebracht, den Rentner Maik. Auch Birgit ist Rentnerin und muss angesichts der gestiegenen Preise jeden Euro zweimal umdrehen.
„Das Schöne nach zwei Jahren Corona“, in denen das Essen der Vesperkirche nur mitgegeben werden konnte, „ist dass alle wieder in der Gemeinschaft an Leib und Seele satt werden“, sagte Thomas Lutz, Vorstandsvorsitzender „Ökumenische Vesperkirche Pforzheim“.
Das sei „ganz praktische Nächstenliebe“, ergänzte sein Amtsvorgänger und jetziger Stellvertreter Frank Johannes Lemke. Über 400 Adressen hat das Organisationsteam um Elisabeth Schweizer, Rudolf Mehl und Gaby Schulz im Helfer-Pool. Die brauche man auch. Denn jeden Tag arbeiten fünfzig Ehrenamtliche mit und das 28 Tage lang.
Die Pforzheimer Vesperkirche ist die einzige in ganz Baden, die mit einem Frühstück beginnt.Elisabeth Schweizer, vom Organisationsteam
Wie immer gab es zum Auftakt ein Frühstück. „Die Pforzheimer Vesperkirche ist die einzige in ganz Baden, die mit einem Frühstück beginnt“, berichtete Schweizer stolz. Nach dem Frühstück ging es nahtlos weiter. Am Sonntag standen 550 Schnitzel bereit, dazu Teigwaren, Gemüsesoße und ein Dessert. Auch 15 vegetarische Essen wurden vorgehalten.
An 19 Tagen ist in der Vesperkirche auch eine Arztpraxis geöffnet
Im Nebenzimmer hatte Peter Engeser eine kleine Notfall-Arztpraxis eingerichtet und sichtete mit seiner Frau Marianne die Medikamentenbestände. Herz-Kreislauf, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, offene Wunden seien die Beschwerden, mit denen er erfahrungsgemäß am häufigsten zu rechnen habe. Aber auch ein Blutzuckermessgerät und Krücken sind im Bedarfsfall vor Ort.
19 der 28 Vesperkirchen-Öffnungstage kann Engeser mit acht Kollegen notfallmedizinisch abdecken. „Zivilgesellschaft lebt vom Engagement“, erklärte er.
Seit dem Jahr 2000 lädt die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Gemeinden Pforzheim (ACG) jedes Jahr von Mitte Januar bis Mitte Februar zur Vesperkirche in der Stadtkirche ein. Wenigstens ein paar Wochen im Jahr, wenn es normalerweise am kältesten ist, sollen Menschen, die bedürftig sind, auf der Straße leben oder einfach einsam sind, unter dem Dach der Kirche Versorgung, Beratung, Hilfe und Gemeinschaft finden.