Skip to main content

Ein Jahr Krieg

Viele Flüchtlinge aus der Ukraine warten in Pforzheim noch immer auf Sprachkurse

Rund 4.000 Ukrainer sind im vergangenen Jahr nach Pforzheim und in den Enzkreis gekommen. Deren Integration gilt im Allgemeinen als Erfolg. Dabei mangelt es an Lehrern und Räumen.

Pforzheimer demonstrieren mit Schildern für eine freie Ukraine und den Frieden.
Zeichen der Solidarität: Zu Beginn des Kriegs demonstrierten viele Pforzheimer für eine freie Ukraine und den Frieden. Seitdem kamen rund 4.000 Flüchtlinge nach Pforzheim und Enzkreis. Foto: Roland Wacker

Ein Mann steht stumm neben den Demonstranten am 23. Februar in der Pforzheimer Innenstadt. Es sind bunte Fahnen, grüne, rote, die sie auf der Demonstration gegen Rechts, gegen Faschismus und in Gedenken an die Zerstörung Pforzheims 1945 schwenken. Er selbst hält eine blau-gelbe in der Hand, die nicht für eine politische Partei steht, sondern das volle Korn der Ukraine unter blauem Himmel repräsentieren soll. Versuche der Kommunikation scheitern, eine Freundin des Mannes wird hinzugerufen. Sie spricht neben Ukrainisch auch Deutsch. Und doch ist der Moment vorbei, die Chance zu einer Diskussion über Waffenlieferungen, Friedensinitiativen, Kampf gegen das Putin-Regime verpufft.

Auch ein Jahr nach dem Angriff auf die Ukraine offenbaren sich noch große Baustellen bei der Integration der Flüchtlinge. „Es gibt immer noch Ukrainer, die sich angemeldet haben und auf einen Sprachkurs warten“, berichtet Anita Gondek. Es fehlt an Personal, an Räumen. „Aktuell können Kurse nur verzögert starten, weil alle Kursleiter im Einsatz und Räume ausgebucht sind“, sagt die Integrationsbeauftragte der Stadt Pforzheim weiter. „Das ist ein deutschlandweites Problem.“

Die Herausforderung in der Region ist groß: 4.000 Ukrainer und vor allem Ukrainerinnen leben derzeit in Pforzheim und dem Enzkreis. Eine Zahl, die sich am ehesten so verbildlichen lässt: Würde man allen 4.000 Gratistickets für die Kramski-Arena im Brötzinger Tal spendieren, und noch ein paar Offizielle des 1. CfR Pforzheim und der Stadt daneben setzen, wäre das Stadion voll besetzt.

Die Ukrainer bilden in Pforzheim heute die sechstgrößte Gruppe an Ausländern. „Die meisten Geflüchteten kamen in kürzester Zeit, in den ersten Wochen nach Ausbruch des Krieges“, berichtet Gondek, „viele wurden von Familie und Freunden, die bereits in Pforzheim gelebt haben, eingeladen.“

Andere waren schon per Zufall da, wie die Schülerin Alina Bezvrkha, die ihre Mutter in Pforzheim besucht hatte, als der Krieg begann, und seitdem als Übersetzerin für die ukrainische Community aushilft. Beim Gedenken zum 23. Februar hielt sie eine Rede. „Ich sehe, wie verletzt sie sind. Aber auch, wie stark sie sind. Es gab Kinder, die fast gar nicht gesprochen haben“, berichtet sie. Und nicht nur Ukrainer helfen Ukrainern. Auch Russlanddeutsche hätten angeboten zu helfen und zu vermitteln, berichtet Gondek.

Ruhige Lage an der Haidachschule in Pforzheim

Politische Brisanz zwischen Ukrainern und Russen sowie Russlanddeutschen ist auch an der Haidachschule eine Seltenheit. „Die gab es nur ganz am Anfang des Kriegs“, berichtet Schulleiterin Stella Coban. „Politisch bin ich die Schweiz“, sagt sie. Will heißen: Man lebt Neutralität, sieht den Menschen, hält sich aus dem Politischen heraus.

„Wir wollen den Kindern helfen, die kommen“, sagt Coban, die zwei reine Ukrainer-Klassen eingerichtet hat. Über 40 Ukrainer besuchen ihre Schule. Da geht es nicht nur um Sprache, auch um die Bewältigung von Ängsten, Sorgen, Trauer. „Es gibt Kinder, die in Russland und der Ukraine Verwandte haben. Die sind am allerschlimmsten dran“, sagt Coban. „Die Verwandten fragen teilweise über den Umweg Deutschland nach, wie es denen auf der anderen Seite der Front gerade geht.“ Andere seien erst geflohen, als die Bomben in ihren Wohnvierteln eingeschlagen seien. „Auch die Kinder bekommen das mit.“

Dass so viel Integrationsarbeit mit Flüchtlingen – mal wieder – auf Anita Gondek zukommt, damit habe sie vor einem Jahr nicht gerechnet. „Man ging damals davon aus, dass die Eroberung der Ukraine in ein paar Wochen abgeschlossen sein würde.“ Es kam bekanntlich anders.

Viele Ukrainer seien damals über Verwandte und Freunde nach Pforzheim gekommen, 700 waren es allein in den ersten Wochen. „Wir gehen davon aus, dass die meisten so lange hier bleiben, bis sich die Lage in der Ukraine stabilisiert“, sagt Gondek.

Sprachkursanmeldung war ein Selbstläufer

Und doch glaubt sie: „Die Integration der Menschen aus der Ukraine wird gelingen, weil sie eine Offenheit gegenüber der aufnehmenden Gesellschaft mitbringen, die so auch wahrgenommen wird.“ Auch, weil das „ein anderer Typ Flüchtling“ sei. Die Anmeldungen zu Sprach- und Orientierungskursen nennt Gondek einen Selbstläufer: „Es ist ihnen wichtig, die Sprache zu sprechen, auch wegen beruflicher Perspektiven“.

In einem Punkt solle man sich aber keine Illusionen machen: „Für die Familien, besonders für die Kinder, wird Pforzheim zu ihrer Heimat werden, wenn sich der Krieg hinzieht. Denn sie werden hier zu Schule gehen, Freunde finden, Ausbildungen beginnen. Das ist eine Frage der Zukunft.“

nach oben Zurück zum Seitenanfang