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Betriebsjubiläen

Wegen Corona müssen viele ohne Verabschiedung in die Rente: Wie handhaben das Pforzheimer Firmen?

Abstand halten ist das Gegenteil von dem, was bei Betriebsjubilaren gefragt ist -nicht nur in Pforzheimer Firmen. Corona lässt das alles nicht zu und sorgt auch dafür, dass mancher angehende Rentner sang- und klanglos verschwindet.

Mustafa Avni, stellvertretender Kostenstellenleiter Lager und Logistik bei Dentaurum
Dem Betrieb verbunden: Für Mustafa Avni sind Firmenjubiläen wie ein zweiter Geburtstag. Er konnte dank der Stelle bei Dentaurum in Pforzheim bleiben. Foto: Eberhard Frey

„Irgendwann sitzt man im Altersheim und denkt daran, was man alles verpasst hat.“ Die Verabschiedung in den Ruhestand zum Beispiel oder wie Mustafa Avni die Feier für 25 Jahre bei Dentaurum am 4. März. Für den gebürtigen Kosovaren ist das mehr als ein Grund, mit den Kollegen zu feiern. „Es ist wie mein zweiter Geburtstag, ich muss etwas machen“, sagt er. „Nur was?“, schiebt er nach.

Nichts, zumindest jetzt wird es wohl nichts geben. Schließlich mangelt es Avni nicht an Einsicht in das Unumgängliche. „Jede Infektion würde Arbeitsplätze gefährden“, sagt sein Chef Mark Pace. Avni fühlt sich ihm wie der ganzen Geschäftsführung des Zahntechnik-Herstellers aufs Engste verbunden.

Knapp 25 Jahre alt war er, als der Pforzheimer Gärtnermeister Heinz Hilligardt ihn bei Dentaurum empfahl. Es ging um eine Aufenthaltsgenehmigung und Zukunft für Avni. Ohne Aussicht auf eine Arbeitsstelle drohte die Abschiebung in die kriegserschütterte Heimat.

Riesenfest zum Zehnjährigen

Es kam anders. Der Hilfsarbeiter Mustafa Avni von 1996 ist heute stellvertretender Kostenstellenleiter Lager und Logistik. Schon sein Zehnjähriges war ihm ein Riesenfest mit um die 70 Kollegen wert, schließlich galt es auch den neugeborenen Sohn betriebsintern zu begrüßen. Aber jetzt „sitzen die Ängste tief“, erzählt er. Die meisten nähmen es einfach hin, dass es keine „Anekdoten und netten Geschichten“ gibt und Pace den Jubiläumsurlaubstag nicht auf einem eigens gestalteten Papier überreicht.

Der Verlust ist beidseitig. Auch der Geschäftsführer bedauert, dass die Quartalsfeiern für die Jubilare und angehenden Rentner unter den 450 Mitarbeitern im Stammhaus gestrichen sind und die große Feier für sie im März schon zum zweiten Mal ausfallen muss. Würdigungen dieser Art sind „ganz wichtig“, sagt er. Dentaurum will sich damit auch als guter Arbeitgeber positionieren: „Dazu gehören die Details, Beziehungen muss man pflegen.“

Kein Applaus von Geschäftsführung und Kollegen

Wenn Betriebstreue und Einsatz bis zur Rente nicht gewürdigt werden, ist das „schlecht für den Spirit“, die Atmosphäre, bilanziert Inga Reim. Die letzte Verabschiedung hatte die Personalchefin von G.Rau in Pforzheim vor vier Wochen. Normalerweise wäre sie zusammen mit Firmenchef Axel Pfrommer in die Abteilung gegangen. Ein silberner G.Rau-Kugelschreiber wäre womöglich als Erinnerung überreicht worden, Kollegen hätten applaudiert.

Gäbe es Corona nicht, würde dem die große Jubilarfeier folgen. Dazu können die Gewürdigten immer jemanden mitbringen, der dann die ganze Wertschätzung miterlebe. Das und auch die persönliche Ehrung am Jubeltag werden wiederkommen für die rund 600 Mitarbeiter. Diese Wertschätzung würde Rein jeder Firma empfehlen. „Es ist nicht zu toppen, wenn der Geschäftsführer direkt zum Arbeitsplatz kommt.“

Nüchternes Ende nach 40 Jahren

„Jetzt kann ich nicht einmal ein Fest machen, bei dem ich die Laudation halte und alle 22 applaudieren“, bringt Timo Gerstel auf den Punkt, was nicht nur ihm fehlt, wenn Ende des Monats ein Meister nach über 40 Jahren sein Autohaus verlässt. Er habe „ein ganz schlechtes Gefühl, jemanden so in einen neuen gar nicht einfachen Lebensabschnitt zu lassen, der bis dahin Vollgas gegeben hat“.

Die Kreishandwerkerschaft hat deshalb vergagenes Jahr bereits die Vorstandswahlen verschoben. Kreishandwerksmeister Rolf Nagel sollte nach 20 Jahren nicht ohne Verabschiedung gehen. „Tschüss, das war‘s dann, das wollen wir nicht, das ist nicht handwerker-like“, sagt Geschäftsführer Matthias Morlock.

Es wird jetzt trotzdem dazu kommen. Am 10. März muss gewählt werden – per Briefwahl. Das hat auch für den designierten Nachfolger Konsequenzen: Mit spontan vorgebrachten guten Wünschen muss Frank Herrmann ebenso wenig rechnen wie Nagel.

Betagten Meistern fehlt die Gelegenheit zur Lebensbilanz

Einen dicken Strich zieht Corona auch durch Rechnungen, die geradezu Lebensbilanzen sind. Sie werden bei Goldene Meisterfeiern der Kreishandwerkerschaft gezogen, wenn es denn geht. Morlock kann deren Bedeutung allein schon daran ablesen, wie schnell und vielzählig die Anmeldungen eingehen zur Feier des Meisterabschlusses für 50 Jahren, sagt er.

Der Goldene Meisterbrief seien von Hinterbliebenen sogar schon posthum angefragt worden, weil es bis zur Übergabe im November nicht mehr gereicht hat. Die letzte Feier wurde auf April verschoben. Morlock, die Zeichen stehen schlecht dafür, dass das klappt.

Livemusik, Familie und ein Jubiläum zum Feiern müssen auch beim Roten Kreuz in Pforzheim warten. „Das fehlt schon“, sagt Kreisgeschäftsführer Stefan Adam. Er hofft, dass das Jahresereignis im Sommer mit allen Rentnern und Jubilaren von 2020 und 2021 steigen kann.

Es wird nachgefeiert

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, versichern selbst nüchterne Gemüter, wenn es um die Würdigung von Mitarbeitern geht. Mustafa Avni lässt im Übrigen keinen Zweifel daran, dass es etwas zu feiern gibt nach 25 und mehr Jahren im engen Kontakt mit Kollegen im gleichen Betrieb.

Der Familienmensch, den neben Dentaurum auch die Liebe im Enzkreis hielt, hat den 7. Juli dafür fest ins Auge gefasst. Er ist am 07.07.71 geboren. Zumindest auf der Zahlenebene ist das doch eigentlich ein Versprechen fürs nächste Fest, lässt der dann 50-Jährige durchblicken.

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