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Gespräch mit Lucius Teidelbaum

Rechtsextremismus in Baden-Württemberg: „Die AfD ist insgesamt eine extrem rechte Partei“

Vor einem Monat, am 2. Juni, wurde der CDU-Politiker und Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet. Stephan E., ein Anhänger der rechtsextremen Szene, hat die Tat mittlerweile gestanden. Wie groß ist die Gefahr durch Rechtsextremismus in Baden-Württemberg? Darüber hat BNN-Redaktionsmitglied Julius Sandmann mit dem Journalisten und Experten Lucius Teidelbaum gesprochen.

„Die Rechte“ ist neben Karlsruhe auch in Pforzheim aktiv – hier bei einer Demonstration zur Europawahl am 11. Mai. Auf den Plakaten im Hintergrund ist die Holocaust-Leugnerin und Spitzenkandidatin Ursula Haverbeck zu sehen.
„Die Rechte“ ist neben Karlsruhe auch in Pforzheim aktiv – hier bei einer Demonstration zur Europawahl am 11. Mai. Auf den Plakaten im Hintergrund ist die Holocaust-Leugnerin und Spitzenkandidatin Ursula Haverbeck zu sehen. Foto: Ehmann

Herr Teidelbaum, Sie wohnen in Tübingen. Wäre die Ermordung eines Politikers wie Walter Lübcke durch einen Rechtsextremisten auch in Baden-Württemberg denkbar?

Grundsätzlich ja. Der letzte rechte Mord ist in Baden-Württemberg gar nicht so lange her. Im April 2007 wurde Michèle Kiesewetter vom NSU in Heilbronn ermordet. Sie war keine Politikerin, wurde aber wohl zusammen mit ihrem Kollegen als Vertreterin des Staates angegriffen.

Stephan E. kann nicht als einsamer Wolf gelten

Der Verdächtige im Fall Lübcke, Stephan E., hat die Tat bereits gestanden. Er gibt an, alleine gehandelt zu haben. Zwei weitere Personen wurden verhaftet, die jedoch nichts von dem konkreten Tatvorhaben gewusst haben sollen. Glauben Sie an die Einzeltäter-These?

Ich halte es für möglich. Aber als einsamer Wolf kann Stephan E. nicht gelten, weil er organisatorische Kontakte zur rechtsterroristischen Organisation Combat 18 hatte. Dabei steht die 1 für A, also Adolf, und die 8 für H, also Hitler. Aber es könnte sein, dass er alleine beschlossen hat, den Mord zu begehen.

Trauerfeier für Walter Lübcke
Der CDU-Politiker Walter Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni mit einer Schussverletzung im Kopf auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen entdeckt worden. Foto: Swen Pförtner

Lucius Teidelbaum ist ein Pseudonym. Sie geben auch kein Foto von sich heraus. Wurden Sie persönlich schon von Rechtsextremisten bedroht?

Also mein Pseudonym dient auf jedem Fall dem Selbstschutz. Es geht aber auch darum, dass ich mein näheres Umfeld nicht belasten will. Es gab vereinzelt Drohungen. Aber bei mir ist es nicht so schlimm wie bei anderen Kollegen, die im rechtsextremen Milieu recherchieren. Mir geben die rechten Kameraden vor allem durch Kommentare oder E-Mails zu verstehen, dass sie mich nicht besonders mögen – etwa wenn ich Gerichtsprozesse beobachte.

Ich halte von diesen Zahlen nicht viel

Bundesinnenminister Horst Seehofer hat am vergangenen Donnerstag den Verfassungsschutzbericht für 2018 vorgestellt. In Deutschland gibt es demnach 24.100 Personen, die dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden, 12.700 von ihnen gelten als gewaltbereit – so viele wie noch nie. Haben diese Zahlen Sie überrascht?

Ich halte von diesen Zahlen nicht viel. Woher kommen die denn? Das sind Schätzungen. NPD-Parteimitgliedszahlen und Besucher von einschlägigen Konzerten – das sind konkrete Zahlen. Aber ich kann auch Schätzungen abgeben – und hier schätzt ein Geheimdienst, der seine Quellen nicht offenlegt. Ich würde sogar vermuten, dass es noch mehr Rechtsextreme in Deutschland gibt. Aber ich warne davor, diese nicht wissenschaftlichen Zahlen für bare Münze zu nehmen.

Es ist auf jeden Fall erschreckend, dass es dieses Potential gibt

Wenn Sie vermuten, dass die Zahlen eher höher sind, ist das aber nichtsdestotrotz eine erschreckende Erkenntnis.

Es ist auf jeden Fall erschreckend, dass es dieses Potential gibt, weil im Weltbild und Selbstverständnis der extremen Rechten Gewalt tief verankert ist. Deren Vorbilder sind ja in der Waffen-SS, der Wehrmacht oder den Freikorps zu finden. Und deren Mitglieder waren stets bewaffnet und an Gewalt beteiligt. Gerade bei den Männern in der Szene gibt es zudem ein Selbstverständnis als „Leader“, eine bestimmte Form von Männlichkeit. Also: „Wir schützen unsere Frauen vor den Anderen.“

Diese Zahlen gibt es vom Verfassungsschutz auch für Baden-Württemberg. Hierzulande leben demnach circa 1.700 Rechtsextreme, 770 von ihnen gelten als gewaltbereit. Die erste Zahl ist leicht gestiegen, die zweite stagniert. Wie schätzen Sie die Gefahr in Baden-Württemberg ein?

Sie ist auf jeden Fall vorhanden. Seit dem Sommer 2015 und dem Ankommen der Flüchtlinge in großer Zahl gab es in Baden-Württemberg diverse Brandanschläge oder Gewalttaten. Und es gab immer wieder Sachen, die aufgeflogen sind, etwa Sprengstoff- oder Waffenfunde. Vor ein paar Jahren gab es starke Hinweise dafür, dass Leute aus der Nähe von Freiburg geplant hatten, ein Modellflugzeug mit Sprengstoff zu beladen und damit in eine linke Demo zu fliegen. Aber es gibt auch verbale Gewalt – etwa, wenn weibliche Journalistinnen auf Facebook mit Vergewaltigung bedroht werden.

Wie definieren Sie persönlich „extreme Rechte“?

Also für mich gehört die neonazistische Szene dazu – wie auch für den Verfassungsschutz, und das ist sicherlich der gefährlichste Teil. Aber ich zähle mittlerweile auch einen größeren Teil der AfD zur extremen Rechten. Ich finde es zu einfach, zu sagen: „Da gibt es eine Gruppe von Glatzköpfen.“

Die AfD ist insgesamt eine extrem rechte Partei

In der Öffentlichkeit wird häufig von einer Nähe der AfD zum rechten oder rechtsextremistischen Spektrum gesprochen…

Ich würde nicht von Nähe sprechen, sondern sagen, dass die AfD insgesamt eine extrem rechte Partei ist. Sie ist sicherlich nicht die NPD, die ist für mich eine neonazistische Partei. Im Parteiprogramm der AfD in Baden-Württemberg für die Landtagswahl 2016 finden sich aber Punkte, die ich als extrem rechts beschreiben würde. So heißt es dort etwa, dass die AfD die einzige demokratische Kraft sei, „die dem schrankenlosen Einwanderungswahn und der Willkommensdiktatur der Altparteien widersteht und auch auf diesem Gebiet wirkliche Opposition leistet“. Willkommensdiktatur würde ich als eindeutig rechtsextremen Begriff bezeichnen. Wenn ich die gewählte Regierung einer parlamentarischen Demokratie als Diktatur bezeichne, erscheinen gewisse Formen des Widerstands als legitim. Ich fand das AfD-Landtagswahlprogramm in Baden-Württemberg im Vergleich mit anderen westdeutschen Landesverbänden relativ hart.

Die extreme und militante Rechte bewegt sich ein Stück weit im Schatten der AfD

Inwieweit hat die AfD einen Anteil an der großen rechtsextremen Szene in Deutschland?

Die extreme und militante Rechte bewegt sich ein Stück weit im Schatten der AfD. Das weiß die AfD auch. Strategisch gesehen ist der Mord an Walter Lübcke nicht gut für die Partei. Aber die AfD hat die Stimmung mit vorbereitet, die dieses Verbrechen begünstigt hat.

Gibt es in Baden-Württemberg Hochburgen der Rechtsextremen?

Also verglichen mit Ostdeutschland – etwa Pirna oder Plauen – gibt es solche Hochburgen hier nicht. Aber es gibt Gebiete, wo Rechte stärker sichtbar sind. Mir würden spontan Pforzheim, Weil am Rhein, der Zollernalbkreis und der Rhein-Neckar-Raum einfallen.

Das war ein wilder Mix aus Hooligans und rechter Bruderschaft

In Pforzheim spielt wahrscheinlich der verheerende Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle.

Ich glaube, es gibt mehrere Faktoren. Ja, das Gedenken an den Bombenangriff ist ein wichtiger Termin im Neonazi-Kalender. Aber die kommen nicht nur aus Pforzheim, sondern aus ganz Baden-Württemberg. Die Stadt war auch ein Ausreißer, was die Ergebnisse der AfD angeht. Wenn sich Rechte in einem Gebiet wohlfühlen, würde ich das immer auch auf eine Schwäche der Zivilgesellschaft zurückführen. Damit will ich die vielen Bemühungen in Pforzheim nicht klein reden. Aber es gab etwa den Heidnischen Sturm Pforzheim oder die Berserker Pforzheim, die sogar zeitweise Ableger in anderen Bundesländern gegründet haben. Das war ein wilder Mix aus Hooligans und rechter Bruderschaft. Und dann gibt es diesen Freundeskreis „Ein Herz für Deutschland“, der das Neonazi-Gedenken am 23. Februar organisiert und momentan versucht, einen Ableger in Heilbronn zu gründen.

Megafon und umstrittene Plakate: So präsentierte sich „Die Rechte“ vor der Pforzheimer Synagoge und in der Stadt.
Megafon und umstrittene Plakate: So präsentierte sich „Die Rechte“ vor der Pforzheimer Synagoge und in der Stadt. Foto: Screenshot: Website www.rechte-bw.com

Und wie ist die Situation in Karlsruhe?

Was ich in Karlsruhe auf Parteiebene spannend finde, ist, dass die extrem rechte Position – abgesehen von der AfD – nicht von der NPD bekleidet wird, sondern von der Partei „Die Rechte“. Die ist ja quasi ein Nachfolger der „Kameradschaft Karlsruhe“ beziehungsweise des „Karlsruher Netzwerks“. Außerdem gibt es in Karlsruhe sehr rechte Studentenverbindungen.

Wie gut vernetzt sind die Rechtsextremen in Baden-Württemberg und wie kommunizieren sie? Geschieht das auch über Messenger-Dienste wie Telegram, wie das Online-Magazin Buzzfeed jüngst aufgedeckt hat ?

Bei Teilen der Szene ist das auf jeden Fall so. Aber es existieren auch die Traditionellen, die unter dem Radar wegfliegen, wenn man nur eine reine Internetrecherche macht. Es gibt zum Beispiel eine extrem rechte, völkische Sekte, die Ludendorffer. Die betreiben in Herbolzheim eine eigene Immobilie. Die kennt niemand, weil die eine Homepage haben und sonst nichts.

In Baden-Württemberg gab es vor ein paar Jahren den Fall, dass drei Polizisten Mitglieder des Ku-Klux-Klan waren

Es gibt immer wieder die Aussage, dass die Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge blind sind. Wie schätzen Sie das ein?

Dazu ein Beispiel: In Baden-Württemberg gab es vor ein paar Jahren den Fall, dass drei Polizisten Mitglieder des Ku-Klux-Klan waren. Ich war damals im zuständigen NSU-Landesuntersuchungsausschuss in Stuttgart, wo sie erzählt haben, dass sie dort Frauen kennenlernen wollten. Und mit dieser Erklärung sind sie wirklich davongekommen. Zwei von denen sind glaube ich heute noch bei der Polizei beschäftigt. Das zeigt meiner Meinung nach, dass solche Fälle Symptome für ein tiefergreifendes Problem der Sicherheitsbehörden sind.

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