Gendern oder nicht? Die Gretchenfrage wird auch an Schulen diskutiert – zumindest an Gymnasien. Es sei nicht das Thema mit der „größten Priorität“, merkt Edith Drescher, Leiterin des Hilda-Gymnasiums, an.
Berke Cavas, der dort Schülersprecher ist, berichtet indessen von häufigen Diskussionen mit Schüler- und Lehrerschaft. Wenn er sich schriftlich äußere, gendere er, um alle Menschen einzubeziehen. „Die meisten männlichen Mitschüler verstehen nicht, warum das wichtig ist“, sagt der 17-Jährige.
Der gleichaltrige Arne Michaelis versucht auch beim Sprechen konsequent zu gendern. Das Thema sei am Hebel-Gymnasium sehr präsent und werde im Fach Deutsch bewusst zum Gegenstand von Erörterungsaufsätzen gemacht, schildert der Schülersprecher.
Die meisten verwendeten zwar das generische Maskulinum im regulären Schreib- und Sprachgebrauch, erläutert Michaelis. Viele ältere Lehrkräfte sowie einige Schülerinnen und Schüler benutzten aber männliche und weibliche Formen. „Das ist schon mal ein Fortschritt“, findet er. Einige junge Lehrkräfte genderten auch im Unterricht.
Kretschmann ist gegen Gendern im Klassenzimmer
Bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) machen sie sich damit nicht beliebt. Er hat sich diese Woche gegen Gendern in Klassenzimmern ausgesprochen.
Joachim Eichhorn, Rektor der Kirnbach-Werkrealschule in Niefern, teilt dessen Meinung. „Unsere Schüler haben ganz andere Probleme, als darauf zu achten, ob in einem Text ein Sternchen kommt, ein großes I oder ein Schrägstrich. Ich bin froh, wenn sie ihn überhaupt lesen und verstehen können.“
Mit seiner Haltung zur „geschlechtergerechten Sprache“ weiß sich Eichhorn jenseits der Linie der Lehrergewerkschaft GEW, deren Kreisvorsitzender er seit Jahren ist. Genderstern, großes I wie in „LehrerInnen“ und dergleichen nennt er eine „Verhunzung der deutschen Sprache, die in Schulen so nicht gelehrt werden sollte“. Inhalte von Texten würden unnötig verkompliziert und der Zugang zur Sprache erschwert.
Unsere Schüler haben ganz andere Probleme.Joachim Eichhorn, Kirnbach-Werkrealschule
Es sei schlimm genug, dass viele Grundschüler nicht lesen könnten, bringt das Kretschmann auf den Punkt. „Und darum geht es“, stimmt Buckenbergschulleiterin Tina Meduri zu: „Die Schüler sollen erst mal die deutsche Sprache lernen und sicher werden.“
Natürlich dürfe niemand stigmatisiert werden, auch Rollenklischees würden thematisiert, betont Meduri. Doch Gendern sei eher ein Pausenhofthema, weil sich alle wunderten, dass man darüber ein solches Bohei mache.
Auch Martin Miester sieht die Alltagsprobleme an Schulen wie der Osterfeld-Grundschule, deren Rektor er ist, in der Verständigung – mit und unter den Kindern. Rechtschreibschwächen hätten sich durch Corona verstärkt, erläutert er. „Da kann ich nicht noch mit Gendern anfangen, dann wissen sie überhaupt nicht mehr, was Sache ist.“
Rechtschreibschwächen der Pforzheimer Schüler haben sich durch Corona verstärkt
„Bei uns ist das kein Thema, auch nicht im Freundeskreis“, meint der 15-jährige Süleyman Satilanis, Schülersprecher an der Kirnbach-Werkrealschule.
Dort muss sich Rektor Eichhorn an diesem Vormittag noch einem anderen Problem widmen: Ein Mädchen ist von einer Mitschülerin als Rassist beschimpft worden. „Sie sagte: ,Rassist’, nicht ,Rassistin’“, verdeutlicht er, dass hier die Brisanz nicht in der gendergerechten Endung liegt.
Doch je höher die Klassen, desto relevanter scheint die Genderdebatte zu werden. Etwa ab der Mittelstufe, wie Hebel-Schülersprecher Michaelis von sich und anderen in der Schülermitveranwortung (SMV) weiß. Doch dort denke man progressiver als außerhalb dieser Gruppe. Diskutiert werde auch die Frage, „was die inkludierendste Form der Sprache“ sei.
„Liebe Schülerinnen und Schüler“ – diese Anrede hat die stellvertretende Leiterin des Reuchlin-Gymnasiums, Claudia Schnabel, längst verinnerlicht. „Es ist mir wichtig, Leute richtig anzusprechen.“ Ansonsten benutze sie lieber neutrale und kürzere Begriffe wie „Lehrkräfte“ und „Klassenleitung“. Bei der Rechtschreibung halte man sich an die Anweisungen des Regierungspräsidiums und das sehe keine Sternchen vor.
Gendern wird nicht mehr als Fehler gewertet
Ihm seien solche Schreibweisen mal als „grammatische Fehler“ angekreidet werden, sagt Hilda-Schülersprecher Cavas. Aber das sei am Anfang der Genderdebatte gewesen und seither nicht mehr vorgekommen.
Hilda-Leiterin Drescher erlebt im Kollegium einen veränderten Sprachgebrauch: Immer mehr benutzten den „Gender-Gap“, die Pause zwischen „Lehrer“ und der Ergänzung „Innen“.
Das sei für niemanden problematisch. Sie selbst versuche in der internen sowie der externen Kommunikation mit Eltern ein Bewusstsein für die Diversität der Gesellschaft zu schaffen, indem sie etwa „Elternschaft“, „Schülerschaft“ und andere Begriffe benutze, wenn es sprachlich möglich sei.
„Es hat mich immer gestört, wenn im Plenum nur die männliche Form genannt wurde, während es viel mehr Lehrerinnen als Lehrer gab.“ Sollte die Debatte an ihrer Schule verstärkt aufkommen, würde Drescher es so erklären: „Es gibt den formalen Bereich der Rechtschreibung und die gesellschaftliche Debatte. Beides existiert nebeneinander.“