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Hilfe am Limit

Suchtexperten in Pforzheim warnen: „Todesdrogen“ sind auf dem Vormarsch

Experten der Suchthilfe Pforzheim und Enzkreis schlagen Alarm: Erkrankungen nehmen zu, gleichzeitig wackelt die Finanzierung von Angeboten. Sorgen bereiten neue Konsumtrends, Schmerzmittel wie Tilidin, die junge Menschen oft unreflektiert konsumieren.

Beratungssituation in einer Suchtstelle Pforzheim Enzkreis
Auf einem guten Weg: Seine Alkoholsucht brachte den Mann nach einer Entgiftung zu einer ambulanten Suchtberatungsstelle in Pforzheim. Er fühlt sich dort aufgefangen. Das Bild zeigt ihn mit Susanne Striegel, von der Diakonischen Suchthilfe Mittelbaden. Foto: Claudia Kraus

Landeten junge Leute früher vor allem wegen des Konsums von Cannabis oder Partydrogen in der Jugend- und Suchtberatungsstelle von Plan B, so stellt Leiterin Isabella Heilig seit vergangenem Jahr fest: Der Trend in der Altersgruppe der unter 25-Jährigen hat sich hin zu harten Drogen verlagert. Kokain oder synthetische Drogen wie Fentanyl, eine synthetisch hergestellte Substanz, die in den USA als „Todesdroge“ bekannt wurde, sind auf dem Vormarsch.

„Früher gab es die Grenze: Auf keinen Fall harte Drogen“, verdeutlicht Heilig beim Pressegespräch, zu dem die neu gegründete Arbeitsgemeinschaft (AG) Suchthilfe in Pforzheim und Enzkreis eingeladen hat. Die Szene habe sich weiterentwickelt und über soziale Medien sei es leicht, an diese Drogen heranzukommen, erläutert Heilig.

Die Corona-Pandemie hat die Gefahr, in eine Sucht abzurutschen, verstärkt und dies nicht nur in dieser Altersgruppe, so konstatieren auch die anderen Vertreterinnen und Vertreter der AG: Harald Stickel (Geschäftsführer von Plan B und Sprecher der AG), Susanne Striegel (Diakonische Suchthilfe Mittelbaden) und Jürgen Behrendt (Fachstelle Sucht des bwlv).

Wir sind an unserer Belastungsgrenze angekommen.
Harald Stickel, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Surchthilfe

Während die Nachfrage an Beratung und der Hilfebedarf steigen, droht indessen der Abbau von Angeboten. „Wir sind am Limit, wir sind an unserer Belastungsgrenze angekommen“, zeigt Stickel eine finanzielle Entwicklung auf, die sich zuletzt zugespitzt habe. 30 Prozent Eigenmittel müssten die Träger schon jetzt für den Betrieb aufbringen. Durch den aktuellen Tarifabschluss werde sich die Situation weiter verschärfen.

Enzkreis hat Erhöhung der Zuschüsse beschlossen

Der Kreistag des Enzkreises habe eine Erhöhung seiner Zuschüsse um 3,4 Prozent beschlossen und eine weitere Anpassung nach dem Tarifabschluss in diesem Jahr angekündigt. Von der Stadt Pforzheim habe man jedoch kein solches Signal erhalten, erklärt Stickel. Als Konsequenz müssten Angebote gestrichen werden. „Es trifft alle Träger gleichermaßen“, betont er. „Es muss ja alles bezahlt werden.“

Stickel hofft, in einem anstehenden Gespräch mit dem zuständigen Pforzheimer Sozialdezernenten Frank Fillbrunn (FDP) die existenzielle Dimension darlegen zu können. Zwar nehme man auch Geld durch die Beratungsangebote ein, aber das reiche nicht mehr. „Personalkosten dauerhaft über Spenden zu finanzieren, ist keine Perspektive.“

Wie wichtig für sie die ambulanten Beratungsangebote sind, schildern zwei alkoholkranke Männer, 43 und 53 Jahre alt. Letzterer beschreibt, wie unproblematisch nach einer Entgiftung in einer Klinik die Aufnahme in der bwlv-Beratung gewesen sei: Er habe weiter arbeiten und sein Privatleben mit Lebensgefährtin und Kindern normal weiterführen können. „Das wäre in einer Tagesklinik oder stationär nicht gegangen.“

Die ersten Wochen seien schwierig gewesen. Als er in eine Situation kam, die ihn „triggerte, in der ich früher getrunken habe“, habe er sofort Hilfe bekommen. Seine Einstellung zu Alkohol habe sich verändert.

Wohnortnahe Beratung ist für Betroffene wichtig

Susanne Striegel sieht sich auch durch Erfahrungen anderer Betroffener in ihrer Forderung bestätigt, „dass eine wohnortnahe Behandlung Betroffener aufrechterhalten muss“.

Jürgen Behrendt berichtet von einem alleinstehenden Mannn, der zu ihm kam, als das Sportstudio im Zuge der Pandemie schloss. Damit sei für ihn die letzte Möglichkeit sozialer Teilhabe weggebrochen. Früher seien solche Leute vielleicht eher durchgerutscht. Behrendt ist der Ansicht, dass die Zahlen von Suchtkranken und psychisch Kranken generell in den nächsten Jahren steigen werden.

Heilig erlebt seit vergangenem Jahr ungewöhnlich viele Neuaufnahmen bei unter 25-Jährigen, die über eine Abhängigkeit von einem Medikament wie Tilidin oder Fentanyl in die Beratung kamen. Sie erinnert an jene drei jungen Männer aus Pforzheim im Alter von 19, 22 und 27, die vergangenen Juni an einer Überdosis von Cannabis, kombiniert mit Tilidin starben.

Tilidin sei ein beliebtes Schmerzmittel. „Ärzte verschreiben das oft viel zu schnell“, sagt Heilig. Oft werde es unreflektiert zur Entspannung konsumiert und führe bei längerem Gebrauch zu starker Abhängigkeit. Auch deshalb fordert Heilig, Präventionsarbeit an Schulen zu stärken.

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