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Zettelwirtschaft

Wo sich in Pforzheim und Enzkreis die Kassenbons türmen

Da sind sie nun, die Kassenbons in den Bäckereien und Fleischereien in Pforzheim und dem Enzkreis. Und fast niemand möchte sie haben. Das Gesetz zum Schließen von Steuerschlupflöcher führt vor allem zu einem: Unmut bei Verkäufern und Kunden.

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Besondere Post fürs Finanzamt: Joachim Reinhardt, Innungs-Obermeister der Bäcker in Pforzheim, Enzkreis und Kreis Calw, sammelt die nicht mitgenommenen Kassenbons – und möchte sie aus Protest an die Behörden schicken. Foto: Roland Wacker
Von Sebastian Kapp und Kübra Kilic

Es will sie einfach kaum jemand, diese Kassenbons in der Bäckerei Pasler in der Pforzheimer Nordstadt. „Sie können sie auch tapezieren“, wirft Inhaberin Birgit Pasler noch einem Kunden hinterher, als der mit Weck & Co., aber eben ohne Zettel, den Laden verlässt. Besonders engagiert diskutiert Stammkundin Ursula Mira de Orduña mit. „Den will ich nicht mit nach Hause nehmen. Den darf ich nicht mal ins Altpapier werfen.“ Schnell entbrennt eine Diskussion zwischen Kundin und Bäckerin. Es sei einfach der nächste Wahnsinn. Dann stehe das Thermopapier der Bons auch noch im Verdacht, giftig zu sein. Einer von Paslers Stammkunden habe schon von „Belästigung“ gesprochen, sollte Pasler ihn weiter nach dem Bon fragen.

Nur wenige finden die Bonpflicht gut

Seit Mittwoch herrscht in Deutschland die umstrittene Pflicht für Landeninhaber, stets einen Kassenbon auszudrucken und dem Kunden anzubieten. Das soll Steuerunterschlagung verhindern. Gerade für Bäckereien und Fleischereien ist das neu, sie klagen über zu wenig Fingerspitzengefühl beim von der SPD initiierten Gesetz. Dabei stimmt es gar nicht, dass die Bons nicht gesammelt werden. Auch in der Bäckerei Pasler findet sich eine Kundin, die das neue Gesetz begrüßt – repräsentativ ist das freilich nicht. Sie nehme alle Bons immer mit, hebe sie sorgfältig auf, um ihre Finanzen stets im Überblick zu behalten. So habe sie auch ihre Kinder erzogen. Ausgerechnet Bäckerin Pasler zeigt Verständnis für die Regierung. „Der Staat braucht eben Geld.“ Aber einerseits habe sie eine gute Registrierkasse, mit der man das Finanzamt nicht mehr austricksen könne. Und andererseits seien diese Zettel aus nicht recycelbarem Thermopapier schon aus Umweltschutzgründen hoch problematisch.

Remchinger Fleischer sammelt Bons - und kritisiert eigene Partei SPD

Eine kreative Lösung für das Recycling hat sich Andreas Beier einfallen lassen, Obermeister der Fleischer-Innung in Pforzheim/Enzkreis. „Wir machen da ein Spiel draus“, sagt er. Weihnachten habe der Remchinger SPD-Ortsvorsitzende angefangen, in T-Shirts seiner eigenen Partei die zurückgelassenen Zettel zu sammeln. Die sollen dann, sobald gefüllt, verschickt werden. Ans Finanzamt in Stuttgart. Oder an das in Berlin. So ganz sicher sei man da noch nicht. Er selbst rechnet mit einem Verbrauch von 600 Bonrollen pro Jahr à 50 Meter. „Das könnte man ohne die Pflicht um 50 Prozent reduzieren“, sagt er, nennt das Gesetz „Quatsch“. Allerdings: Von den deutschlandweit in der Branche befürchteten Schließungen sei von den 40 Betrieben der Innung niemand betroffen. Die Fleischer in der Region hätten ohnehin schon auf die modernsten Kassensysteme umgerüstet – auch eine Forderung des Gesetzes. „Bei uns ist der Markt schon bereinigt“, sagt Beier.

Bäcker befürchten Preissteigerungen durch Bons

Bei den Bäckern sieht es ähnlich aus. Innungs-Obermeister Martin Reinhardt aus Knittlingen seien nur zwei Schließungen bekannt, eine im Enzkreis und eine in Calw. Bei 60 Innungsbetrieben. Er selbst habe schon am 15. Dezember umgestellt. Mittlerweile seien dadurch drei Eierkartons voller Papier zusammengekommen. Auch er sammelt diesen Restmüll. Angedacht ist, wie bei den Fleischern auch, die Zettel ans Finanzamt zu schicken. „Aber das ist noch nicht ganz spruchreif.“ Die finanzielle Belastung schätzt Reinhardt auf 2 000 Euro im Jahr. Geld, das man irgendwann auch auf den Kunden umlegen werde. Reinhardt gibt sich da noch zurückhaltend, für Kollegin Pasler in Pforzheim allerdings scheint das logisch.

Innungs-Obermeister Reinhardt kritisiert Ausnahmeregelungen

Die Bonpflicht gilt genau genommen nicht für jeden. Ausnahmen gibt es etwa für Wirtschaften oder Marktstände. „Die backen genauso Brot wie wir“, beschwert sich Pasler. Dazu kommt noch die Möglichkeit, sich per Antrag befreien zu lassen. So, wie es derzeit die Bäckerei Böss versucht, wie Mitinhaberin Sigrun Böss aus Tiefenbronn bestätigt. „Es blickt einfach keiner mehr durch, für wen diese Ausnahmen gelten“, kritisiert Innungs-Obermeister Reinhardt.

Bäcker sind teilweise selbst verwirrt

In anderen Bäckereien herrscht teils Unwissenheit über das genaue Gesetz. Manchem überraschten Kunden wurde so in Pforzheim erzählt, er müsse die Zettel mitnehmen – was nicht stimmt. Woanders glaubt man, wenn man nur fragt und der Kunde „nein“ sagt, dann brauche man auch keinen Bon mehr auszudrucken. Was ebenfalls nicht stimmt. Birgit Pasler hat den Durchblick behalten. Und schmeißt die liegengelassenen Bons gleich in den Müll.

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