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Psychischer Druck im Turnen

Am Turner-Stützpunkt Karlsruhe ist eine Waage in der Halle tabu

Nach den Vorwürfen von Weltmeisterin Pauline Schäfer herrscht Aufruhr in der Turnszene. Aber wie geht man am Leistungsstützpunkt Karlsruhe mit einem sensiblen Thema wie Gewicht um?

Trainerin Tatjana Bachmayer (TG Karlsruhe Soellingen/ KRK) spricht mit Alisha Igues (TG Karlsruhe Soellingen/ KRK).

GES/ Turnen/ Deutsche Mannschaftsmeisterschaft: Bundesliga Finale, 30.11.2019 --

GES/ Gymnastics/ German National Team-Championships, 30.11.2019 --
Wichtige Vertrauensperson: Tatjana Bachmayer, Cheftrainerin der KRK am Karlsruher Leistungsstützpunkt , mit Bundesligaturnerin Alisha Igüs. Foto: Edith Geuppert/GES

Für Tatjana Bachmayer ist alles zunächst einmal eine Frage des gesunden Menschenverstandes. Und der Einsicht. „Ich darf als Trainerin nicht ehrgeiziger sein als der Athlet“, sagt die Cheftrainerin der Kunstturn Region Karlsruhe (KRK) mit Blick auf das Spannungsfeld, in dem sich der Leistungssport bewegt: zwischen Freude am Sport und Erfolgsdruck.

Im Kunstturnen ist das nicht erst seit den jüngsten Vorwürfen von Top-Athletinnen um Weltmeisterin Pauline Schäfer ein besonders sensibles Thema. Psychischer Druck, Erniedrigungen, Medikamentenmissbrauch – so lauten die Anschuldigungen, bei denen es auch immer wieder um ein insbesondere bei jüngeren Turnerinnen heikles Feld geht: das Gewicht.

„Das ist natürlich ein Faktor in unserem Sport“, sagt Diplom-Trainerin Bachmayer. „Je schwerer man ist, desto schwerer wird es, gewisse Übungen zu turnen und das Verletzungsrisiko nimmt - vor allem am Boden und Sprung - erheblich zu“, ergänzt die frühere KRK-Turnerin Maike Enderle, die 2015 am Barren Bronze bei der Junioren-EM gewann.

Entscheidend also ist der Umgang mit dem Thema, und aus gutem Grund sei am Karlsruher Leistungsstützpunkt eine Waage tabu, wie Bachmayer betont. „In der KRK wurden wir nie gewogen, geschweige denn kontrolliert, was wir essen“, bestätigt die 20 Jahre alte Enderle.

Ich darf als Trainerin nicht ehrgeiziger sein als der Athlet.
Tatjana Bachmayer, Cheftrainerin KRK

Dass Tatjana Bachmayer in diesem Bereich besonders wachsam ist, liegt an ihrer eigenen Geschichte. Als junge Turnerin litt sie an Magersucht, wog zwischenzeitlich weniger als 30 Kilo – es folgte eine jahrelange Leidensgeschichte, die die spätere Trainerin Bachmayer prägte.

Turnerin Baumert rutschte in eine schwere Bulimie ab

Bachmayers Blicke sind geschärft, doch einmal half auch das nicht, als vor einigen Jahren KRK-Turnerin Désirée Baumert in eine schwere Bulimie abrutschte. Und doch war es auch in diesem Fall die Trainerin, die das Leiden der heute 25-Jährige durchbrach.

„Man darf nicht wegschauen“, fordert Bachmayer, die ergänzt: „Es tragen viele Verantwortung, nicht nur die Trainer, sondern die Vereine, Verbände, die Eltern“, sagt Bachmayer, die sich wünschen würden, dass gerade der pädagogische Aspekt bei Trainer-Fortbildungen noch mehr in den Fokus gerückt würde.

Klar, sagt auch Enderle: „Ganz ohne Druck wird es in keinem Leistungssport funktionieren“, sagt die ehemalige KRK-Athletin, die mittlerweile als Jugendtrainerin bei ihrem Heimatverein TSV Weingarten arbeitet. Entscheidend sei für sie gewesen, „dass Taty uns immer darauf hingewiesen hat, dass es auch ein Leben außerhalb der Turnhalle gibt und dass Turnen nicht alles ist“, berichtet Enderle über die Arbeit mit Bachmayer.

Ist die Altersstruktur bei Turnerinnen ein Problem?

Ein Grundproblem für Bachmayer ist die derzeitige Altersstruktur im Turnen. Mit 14,15 Jahren stehen große Junioren-Wettkämpfe an. Und bereits ab 16 geht es in den Senioren-Bereich. Bachmayer hält eine Verschiebung nach hinten für sinnvoll.

„Mit 13, 14 ist der Körper ohnehin im großen Umbruch, die Mädchen sind in der Pubertät, das Wachstum erhöht Verletzungsanfälligkeit und das Gewicht ist in dem Alter ohnehin ein Thema, da muss man ja nur in die Social-Media-Kanäle schauen“, sagt Bachmayer.

Dazu kommt: Jede Athletin ist anders. Die eine ist empfindlicher, die andere steckt Kritik leichter weg. „Das ist ganz schwer“, findet die KRK-Cheftrainerin, die versuche, sich möglichst oft auch mit Eltern auszutauschen. Und sie habe für sich enge Grenzen gesteckt. Dazu zähle gerade auch das Thema Medikamenten-Einnahme – das sei ganz einfach und ganz klar keine Sache von Trainern.

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