Als sie die Bühne der Gewichtheber wieder verlassen hatte, musste Sabine Kusterer erst einmal ihre Gefühle sortieren.
Leiden und Genuss, Stolz und Enttäuschung, Glück und Schmerz lagen am Dienstag bei ihrem Auftritt im Tokyo International Forum dicht beieinander.
Am Schluss standen für die Karlsruherin im Zweikampf 198 Kilogramm zu Buche und in der Endabrechnung Platz zehn. Den gleichen Rang hatte Kusterer bereits bei ihrem Olympia-Debüt 2016 in Rio de Janeiro belegt.
„Ich habe das Beste daraus gemacht und bin froh, dass es unter diesen Umständen der zehnte Platz geworden ist“, meint Kusterer hinterher am Telefon. Am Ende, lässt die 30-Jährige wissen, habe sie alle Reserven mobilisieren müssen und Leistung und Platzierung seien ihr sogar ziemlich egal gewesen.
Weniger als 1.000 Kilokalorien pro Tag
Um Kusterers Aussagen zu verstehen, muss man die besondere Vorgeschichte kennen, mit der die Bundesliga-Heberin des KSV Durlach nach Tokio gereist war.
Erst spät erfährt sie, dass sie doch bei Olympia starten darf, nachdem eine Konkurrentin wegen Dopings ausgeschlossen worden war.
Das Ticket für die 59-Kilo-Klasse stellt Kusterer allerdings vor die Herausforderung, in wenigen Wochen acht Kilo abnehmen zu müssen.
„Ich habe die krasseste Diät durchgezogen“, sagt Kusterer und berichtet von einem Tageslimit von 1.000 Kilokalorien. An ein normales Training ist nicht mehr zu denken.
Am Ende war der Akku einfach leer.Sabine Kusterer, Gewichtheberin aus Karlsruhe
Bringt Kusterer Anfang Juli bei einem Test-Wettkampf noch 209 Kilo zur Hochstrecke, muss sie in Tokio nun deutliche Abstriche machen.
Nach drei gültigen Versuchen im Reißen mit 88, 90 und 91 Kilo gelingt ihr im Stoßen nur noch ein gültiger mit 107 Kilo. „Am Ende war der Akku einfach leer“, erklärt Kusterer.
Und mit Blick auf die direkt vor ihr platzierten Tali Darsigny aus Kanada (199 kg) und Zoe Smith aus Großbritannien (200 kg) sagt sie: „In Top-Form wäre das so fantastisch gewesen, da hätte ich mich so weit vorheben können.“
Lediglich Olympiasiegerin Kuo Hsing-Chun aus Taiwan war mit 236 Kilogramm in ganz anderen Sphären unterwegs.
Kusterer packt wieder ihren Spezialsnack aus
Für Kusterer war der zweite Olympia-Streich dennoch ein unvergessliches Erlebnis. „Ich habe es geliebt, auf der Bühne zu stehen, die Hantel anzufassen und die Ringe zu sehen“, sagt sie.
Und in der Mensa im Olympischen Dorf muss sie sich bis zu ihrer Abreise am Donnerstag nun auch nicht mehr zurückhalten.
Ihren von den Rio-Spielen bekannten Spezialsnack hatte sie sich aber bereits in der Wettkampf-Pause zwischen Reißen und Stoßen gegönnt: eine mit Schokocreme garnierte Banane.