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Virtuelle Wettbewerbe

Konkurrenz auf dem Schirm: Sportler experimentieren in der Corona-Zeit mit neuen Wettkampf-Formen

Not macht erfinderisch. Und so duellieren sich Gewichtheber, Radsportler, Wasserspringer und Co neuerdings auch virtuell. Doch können die neuen Formate reale Wettkämpfe ersetzen?

 S GRAVENWEZEL, BELGIUM - APRIL 5 : VAN DER POEL Mathieu of Alpecin-Fenix cycling team pictured during Tour De Zwift at his home. on April 05, 2020 in s Gravenwezel, Belgium, 5/04/2020 CYCLISME : Mathieu Van Der Poel - Ronde Van Zwift - 05/04/2020 PHOTONEWS/PANORAMIC PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY
Fahrt ohne Grenzen: Über die Online-Plattform „Zwift“ können Radsportler, wie hier der Niederländer Mathieu van der Poel, an virtuellen Rennen teilnehmen. Auch in anderen Disziplinen probiert man gerade neue Formate aus. Foto: imago images

So mancher Sportler auf der Suche nach dem nächsten Wettkampf-Kick benötigt in diesen Tagen Geduld, gute Nerven und die Zuversicht, dass bald schon alles besser wird. Manchmal genügt aber auch eine gute Internetverbindung. Denn in immer mehr Sportarten schlagen deren Protagonisten neue, virtuelle Wege ein, um sich trotz der Corona-Beschränkungen weiterhin mit ihren Kontrahenten messen zu können.

Da gibt es Gewichtheber, die sich via Livestream duellieren. Radsportler, die im heimischen Wohnzimmer aus dem Peloton ausreißen. Oder Schachspieler, die ihren kilometerweit entfernten Gegner per Mausklick in Zugzwang bringen. Denn jenseits der großen Profiligen ist ein normaler Wettkampfbetrieb oft nicht möglich.

Gibt es einen fairen Wettbewerb?

Doch sind die neuen Formate mehr als nur Spielereien, um dem sportlichen Corona-Blues zu entfliehen? Und wie lässt sich angesichts von Manipulationsrisiken und technischen Unwägbarkeiten überhaupt ein fairer Wettbewerb gewährleisten?

Im Radsport lautet die Antwort: mit viel Technik und einem strengem Reglement. Bei der Anfang Dezember erstmals ausgetragenen WM im sogenannten E-Cycling mussten die radelnden Heimarbeiter Smart-Trainer desselben Herstellers und zwei voneinander unabhängige Watt-Messsysteme nutzen.

Ruderer krönt sich zu virtuellem Rad-Weltmeister

Zudem waren sie aufgefordert, im Vorfeld Videos vom Wiegen einzuschicken, um Tricksereien bei der Gewichtseingabe auszuschließen. Mithilfe des Körpergewichts und der gemessenen Wattzahl wird die Fahrtgeschwindigkeit des jeweiligen Avatars auf dem Computerbildschirm berechnet.

Das virtuelle WM-Rennen, das sich den Teilnehmern auf der Plattform „Zwift“ als Wüstenkurs mit kleineren Bergen darstellte, brachte dennoch ein überraschendes Ergebnis: Der Mainzer Jason Osborne, seines Zeichens Ruderer und erfahrener E-Cycler, distanzierte die Konkurrenz, darunter einige Größen des Straßenradsports.

Virtuelle Rennen der Rad-Bundesliga erleben Neuauflage

„Virtuell kommt es eben nicht so sehr auf das taktische Fahren an. Da können auch Athleten mithalten, die in anderen Sportarten eine ähnliche muskuläre Belastung haben“, erläutert Thomas Schillinger und betont: „Selbst ein super Radprofi hätte ohne Zwift-Erfahrung keine Chance.“

Der Chef des Teams Baden-Forchheim weiß, wovon er spricht. Die in Rheinstetten ansässige Frauenmannschaft bestritt im vergangenen Jahr mehrere Bundesliga-Rennen vom Homeoffice aus und wird auch bei der Neuauflage der virtuellen Liga ab 30. Januar in die Pedale treten. Im Training, berichtet Schillinger, habe man die Software bereits in der Vor-Corona-Zeit genutzt.

Gewichtheber duellieren sich via Videokonferenz

Auch in anderen Disziplinen haben digitale Kräftemessen Einzug gehalten. Bei einigen Laufveranstaltungen, etwa beim Karlsbader Volkslauf des SV Langensteinbach, konnte jeder Teilnehmer in einem vorgegebenen Zeitfenster die Strecke als Einzelkämpfer absolvieren. Die erreichte Zeit fand hinterher in einer Ergebnisliste Niederschlag.

Neuland betraten auch die Gewichtheber. Der Baden-Württembergische Verband (BWG) richtete Ende Oktober die Landes-Schülermeisterschaften zeitgleich an vier verschiedenen, via Videokonferenz vernetzten Standorten aus. Elf Stunden lang stemmten damals die Nachwuchsathleten, darunter auch welche des KSV Durlach, nach einem strengen Zeitplan die Langhantel in die Höhe und sahen auf dem Bildschirm, wie sich andernorts die Konkurrenz schlug.

Legen die Kampfrichter vor Ort alle den gleichen Maßstab an?

„Das hatte schon Wettkampfcharakter, die Athleten fanden das gut“, bilanziert BWG-Präsident Karsten Schüßler. Auf der Suche nach Alternativen für die abgesagte Bundesliga-Saison denkt man nun auch im Erwachsenenbereich über Online-Duelle nach.

Doch unter anderem wegen der fehlenden Duelle von Angesicht zu Angesicht haben einige Clubvertreter Vorbehalte. Zudem gibt es weitere Hindernisse. Nicht in jeder Halle existieren stabile Internetverbindungen und die Kampfrichter sitzen jeweils vor Ort und beurteilen Versuche womöglich nach unterschiedlichen Maßstäben. Auch Manipulationen, gibt Schüßler zu, seien nicht ausgeschlossen.

Wasserspringer laden für Bundestrainer Videos hoch

Das Problem, dass bei dezentralen Wettkämpfen Leistungen von unterschiedlichen Personen bewertet werden, tritt auch an anderer Stelle auf. Cilia Ochmann und Helena Gerhardt sprangen Anfang Dezember im Karlsruher Fächerbad deshalb vor laufender Kamera ins Becken.

Anhand der hochgeladenen Videos entschieden die Bundestrainer später, ob die Wertungen des jeweiligen Kampfgerichts bestehen blieben und wer sich letztlich deutscher Jugendmeister im Wasserspringen nennen durfte.

Auch Schwimmer dürfen virtuell gegeneinander antreten

„Ich habe diese virtuelle Form vorher nicht gekannt, fand die Umsetzung dann aber super“, sagt Thomas Meyer, der beim SSC Karlsruhe als Stützpunktleiter der Wasserspringer fungiert.

Er kann sich vorstellen, dass künftig weitere Wettkämpfe in diesem Format ausgetragen werden. Den Schwimmern sind solche seit vergangenen Sommer von Verbandsseite aus gestattet.

Kampfrichter oder Kamera: Wer hat den besseren Blick?

Unterschiede zwischen den virtuellen und den realen Kräftemessen lassen sich aber nicht wegdiskutieren. Die Kamera, gibt Meyer zu bedenken, filme nur von einer Seite aus, während die Kampfrichter sonst links und rechts neben dem Becken Platz nehmen und somit die Sprünge aus zwei Perspektiven verfolgen. Die Top-Athleten im Erwachsenenbereich betreten Turm und Brett weiterhin ganz ohne virtuelle Unterstützung.

Die Bretter, die für sie die Welt bedeuten, haben Schachspieler meist nur noch auf dem Computerbildschirm vor Augen. Bereits vor der Pandemie hatten Online-Portale regen Zuspruch gefunden, in diesen Tagen sitzen sich die Cracks auch im Wettkampf-Betrieb nur noch virtuell gegenüber.

Schachspielern bleibt keine Zeit für Manipulationen

Um Betrugsversuche mithilfe digitaler oder menschlicher Ratgeber zu verhindern, kommen schnelle Spielformen mit nur kurzen Bedenkzeiten zum Einsatz. So auch bei der vom Deutschen Schachbund initiierten Online-Liga, deren zweite Auflage seit dieser Woche läuft. Dort mischt in der höchsten Spielklasse unter anderem der Schachklub Ettlingen mit, der sonst in der Oberliga antritt.

Dessen Spielleiter Thomas Batton kann der neuen Form einiges abgewinnen. Schließlich kann so der Trainings- und Wettkampfbetrieb trotz Corona weiterlaufen. Aber: Online passieren, wie auch Batton bemerkt hat, mehr Zugfehler und zudem können technische Störungen Einfluss auf den Spielverlauf nehmen.

Bei virtuellen Formen lernen sich die Sportler untereinander nicht kennen. Das Zwischenmenschliche fehlt.
Thomas Meyer, Stützpunktleiter der Wasserspringer beim SSC Karlsruhe

Und so sehnt so mancher Großmeister die Rückkehr ans reale Brett herbei. In anderen Sportarten sieht man die neuen Formate ohnehin mehr als Notlösung denn als echte Alternative zu den Präsenzveranstaltungen – auch aus Gründen, die jenseits von technischer Zuverlässigkeit und Chancengleichheit liegen.

„Bei virtuellen Formen lernen sich die Sportler untereinander nicht kennen“, stellt Meyer von den Karlsruher Wasserspringern heraus und klagt: „Das Zwischenmenschliche fehlt.“

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