Das Jahr 2020 hatte für Tischtennis-Nationalspieler Dang Qiu äußerst erfolgreich begonnen. Im Januar gewann er mit dem ASV Grünwettersbach den deutschen Pokal, im Februar setzte sich der 23-Jährige bei den stark besetzten Portugal Open in Lissabon durch und kletterte in der Weltrangliste auf Positon 48. Dann wurde auch der gebürtige Nürtinger von der Corona-Pandemie gestoppt.
Mit dem Karlsruher Sportler des Jahres, der in der fünften Saison für den ASV spielt, unterhielt sich BNN-Redakteur Reinhard Sogl über den Lockdown, seine Olympia-Chancen, die Anforderungen der Sportart und die Ziele der Grünwettersbacher.
Der DTTB und Borussia Düsseldorf haben über zwei Monate Turniere für die deutschen Profis organisiert, jetzt findet noch das Finale der besten Acht statt. Wie wichtig war diese Serie in Zeiten von Corona?
QiuDas Ziel war, dass wir Spieler Wettkampfpraxis und Wettkampfhärte bekommen sollten, die wir normalerweise bei internationalen Turnieren erworben hätten. Deshalb war es schon wichtig, da gut zu spielen. Es dient ja zudem auch immer der Formüberprüfung. Aber klar, die Bundesliga oder ein offizielles nationales oder internationales Turnier ist schon deutlich bedeutender.
Sie waren in Top-Form, dann kam Corona. Wie sind Sie mit dem Lockdown umgegangen?
QiuDie Form zu halten, ist auch nicht immer einfach. Es wäre irgendwann passiert, dass ich vielleicht einen kleineren Einschnitt bei der Form gehabt hätte. Aber man weiß es halt nicht, dementsprechend schade ist es, dass wir alle jetzt so gestoppt wurden. Am Ende hatte es positive als auch negative Effekte. Ich weiß nicht, in welche Richtung meine Formkurve gegangen wäre, deswegen akzeptiere ich es jetzt einfach.
Was haben Sie im vergangenen halben Jahr am meisten vermisst?
QiuAnfangs hat man sich gesagt: Die Reiserei war sehr anstrengend. Das war zu viel an Belastung. Aber jetzt, da wir gar nicht mehr reisen können und ein halbes Jahr in Deutschland sind, was auch nicht so oft vorkommt, da vermisst man das Reisen dann doch auch – und natürlich vor allem die Turniere.
Jetzt wurde ja auch noch die für September in Polen geplante EM abgesagt.
QiuWir hatten eigentlich damit gerechnet, dass sie durchgeführt wird. Aber jetzt sind die Infektionszahlen ja wieder schlechter geworden und daher war es der logische Schritt, dass sie verschoben wurde auf einen unbekannten Zeitpunkt.
Wenn keine Turniere stattfinden, bekommt die Bundesliga ja noch einen größeren Stellenwert, oder?
QiuAuf jeden Fall. Das ist jetzt quasi der einzige offizielle Wettbewerb, den wir haben. Es ist sowieso immer wichtig, für seinen Verein zu spielen, gut zu spielen.
Der ASV wurde Pokalsieger, der größte Erfolg des Vereins. Welche Ziele haben Sie sich denn für die kommende Saison gesteckt?
QiuZiele haben wir uns noch nicht so wirklich gesetzt. Aber wieder ins Final Four zu kommen oder gar den Titel zu verteidigen, wäre schon sehr schön. In der Liga schielen wir ein bisschen nach oben, aber wichtig ist vor allem, dass wir uns als junge Mannschaft und auch als junge Spieler weiterentwickeln.
Ist die Mannschaft stärker als zuletzt?
QiuWir haben uns auf jeden Fall verstärkt mit Deni Kozul als zusätzlichem Back-up-Spieler, der in der Liga vielen Leuten gefährlich werden kann. Sathiyan Gnanasekaranati hat uns verlassen, das war ein sehr guter Mann. Aber mit dem Koreaner Cho Seungmin sind wir mindestens genauso stark. Und da wir alle noch jung sind, denke ich, dass wir uns alle verbessert haben und dementsprechend schon einen Ticken stärker einzuschätzen sind als letztes Jahr.
Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten Monate gesetzt?
QiuMan weiß halt nicht, was kommt. Wir trainieren praktisch ins Leere. Das einzige, von dem wir wissen, dass es stattfindet, ist die Bundesliga. Es ist also auf jeden Fall mein Ziel, so gut wie möglich zu spielen und ich hoffe, dass wir am 6. September in Mühlhausen auch einen guten Start erwischen.
Sie sind auch einer von der jungen Garde mit Potenzial. Wie schätzen Sie Ihre Chancen auf eine Olympia-Nominierung ein?
QiuSchwer zu sagen. Bis Tokio 2021 ist halt immer noch ein Jahr hin, da kann noch viel passieren. Aber es würde mich natürlich freuen, wenn ich noch zu Olympia käme. Die ersten Drei stehen bei uns mehr oder weniger fest, die sind aktuell ein bisschen unantastbar, weil sie sehr gut in der Weltspitze verankert sind. Aber um den vierten Platz kann man sich noch streiten. Ich habe tatsächlich hart und intensiv gearbeitet in der Zeit, die wir davor nicht hatten, um an einem langen Stück zu trainieren, weil wir sonst immer eine Woche in China, Japan, Hongkong oder wo auch immer auf Turnieren waren und so der Trainings-Rhythmus immer wieder gebrochen wurde. Aber jetzt hatten wir über vier, fünf Monate eine perfekte Aufbauphase.
Sie haben ja über Ihren Vater, der Trainer in Japan ist, gute Verbindungen nach Japan. Tokio wäre auch deshalb ein Highlight?
QiuIch war schon oft in Tokio, das ist meine Lieblingsstadt. Das wäre natürlich ein geiles Highlight, aber man kann nichts erzwingen.
Ist Japan auch eine Option, um dort bei einem Club zu spielen?
QiuEs ist auf jeden Fall interessant. Im Tischtennis gibt es viele internationale Ligen, die sehr viel Aufmerksamkeit bekommen in den jeweiligen Ländern. Und Japan ist ein Land,in dem Tischtennis so richtig am Boomen ist. Es ist alles möglich. Wieso nicht?Aber konkret geplant ist noch nichts.
Experten sagen, Ihre Chancen für Olympia seien auch deshalb ganz gut, weil Sie im Doppel mit Ihrem Penholder-Stil schwerer auszurechnen sind. Welchen Vorteil bringt dieser Griff des Schlägers?
QiuIm Aufschlag- und Rückschlagbereich bringt es über dem Tisch Vorteile. Vor allem bei den ersten zwei Ballkontakten hat man im Doppel vielleicht Vorteile, weil man seine Stärken da ein bisschen besser ausspielen kann.
Wie kam es, dass Sie sich diesen Stil aneigneten?
QiuIch habe tatsächlich damals mit sechs, sieben Jahren mit Shakehand zu spielen angefangen. Damit konnte ich aber gar keine Rückhand spielen. Dann hat mein Vater mehr zum Spaß gesagt, ich soll doch mal Penholder probieren. Das hat auf Anhieb viel besser geklappt, und seither spiele ich Penholder.
Gab es eigentlich eine andere Option im Sport für Sie als Tischtennis bei so erfolgreichen Eltern?
QiuTischtennis wurde mir schon mehr oder weniger in die Wiege gelegt. Als Kind hat mir Tischtennis schon sehr viel Spaß gemacht und dann bin ich einfach dabeigeblieben. Wenn die Eltern so gut waren, dann liegt es natürlich nahe, dass auch die Kinder diese Sportart betreiben.
Haben Sie auch für andere Sportarten ein Faible?
QiuIch interessiere mich sehr für Tennis, schaue aber jede Sportart gerne und verfolge eigentlich alles, wo sich bewegt wird. Selbst noch eine andere Sportart zu betreiben, da fehlt mir die Zeit und auch die Power.
Was beeindruckt, ist die hohe Geschwindigkeit, mit der die Bälle hin- und herfliegen und die die Profis immer noch erreichen. Wie schaffen Sie das?
QiuAntizipation ist ganz wichtig. Die erlernt man hauptsächlich im Training. Reaktionsschnelligkeit ist im Tischtennis elementar. Topspieler wie Timo Boll haben eine super Übersicht, er erkennt an technischen Sachen des Gegners, wo der Ball ungefähr hinkommen kann. Wer das einen Ticken vorher weiß, ist im Vorteil. Ein Grund, warum Timo mit 39 immer noch Weltspitze ist.
Kann man sich in einem Tischtennis-Match mal eine Auszeit erlauben?
QiuDie einzige Auszeit, die man sich erlauben kann, ist die Ersatzpause, um mal ganz kurz abzuschalten. Aber selbst in dieser einen Minute fährst du ja nicht runter, sondern hältst die Spannung maximal hoch. Im Tischtennis geht es so schnell bis elf Punkte. Wenn du da einen schlechten Start hast, dann hast du viel zu tun gegen einen guten Spieler. Man muss von Anfang an mental da sein.
Was ist anstrengender bei einem Turnier, die körperliche oder die mentale Belastung?
QiuAm Ende eines Turniers sagen wir immer: Puh, war das anstrengend. Wir meinen damit hauptsächlich, anstrengend für den Kopf. Es ermüdet, dass du im Spiel immer konzentriert sein musst. Und zudem kostet auch die Vor- und Nachbereitung des Spiels viel Energie. Schon die Nacht vor dem Match ist man ja tierisch angespannt. Körperlich sind wir alle fit, wir trainieren ja auch viel Athletik, damit wir diese Spiele eben auch mental durchhalten.
Welcher Faktor sind die Zuschauer? Beim ASV dürfen wohl nur 150 statt 500 in die Halle.
QiuDas ist schon sehr schade. Sport ist ja auch Entertainment, wir brauchen die Zuschauer. Und ihre Unterstützung puscht. Auch unser Pokalsieg ist zu einem großen Teil dank unserer Fans zustande gekommen. Dieser Spaßfaktor, dieser Motivationsschub fehlt schon, den einen mehr, den anderen weniger. Ich bin ein relativ ruhiger Spieler mit wenig Ausschlägen nach oben oder unten. Deswegen ist es für mich von der emotionalen Seite her okay. Ich versuche, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wichtig ist halt immer auch, positiv zu sein.