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Justin Brown sagt Bye bye

Generalmusikdirektor des Badischen Staatstheaters mit besonderem Abschied

Zwölf Jahre lang hat Justin Brown als Generalmusikdirektor am Badischen Staatstheater großen Klang geboten. Jetzt nimmt der Brite Abschied von Karlsruhe. Zum Ende seiner letzten Saison kam der Spielbetrieb wegen der Corona-Pandemie zum Erliegen. Damit fällt sein mit Chor und Orchester geplantes Abschiedskonzert aus. Beethovens Chorfantasie will sich Brown dennoch nicht nehmen lassen und hat das Stück in einer Woche mit dem Ensemble unter außergewöhnlichen Bedingungen als Filmprojekt produziert.

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Kam für Wagner und geht mit guten Erinnerungen: Zwölf Jahre lang war Justin Brown Generalmusikdirektor am Badischen Staatstheater in Karlsruhe. Mit seiner Liebe zum deutschen Musikklang pflegte der Dirigent und Pianist in der Stadt der großen Wagner-Tradition vor allem das Musiktheater Richard Wagners. Aber auch auf zeitgenössische Werke hatte er ein besonderes Augenmerk. Foto: Artis

Fünf Tage und keinen mehr durfte Justin Brown in Karlsruhe bleiben. Mehr gestatteten die Behörden dem britischen Staatsbürger in Corona-Zeiten nicht.  Dabei hatte er zwölf Jahre und damit zwei mehr als geplant  als Generalmusikdirektor am Badischen Staatstheater dem Opern- und Konzertprogramm Seele eingehaucht.

Ausgerechnet in seiner letzten Spielzeit kam der Corona-Shutdown und traf den Mann, der in Karlsruhe Wagner gepflegt und Neue Musik ans Haus geholt hat, besonders hart. Ohne sein großes Abschiedskonzert geht Justin Brown zurück nach England in eine ungewisse Zukunft. Aber die eine Woche Aufenthalt in Karlsruhe, die ihm die Behörden erlaubten, nutzt er für ein besonderes Projekt, das ihn noch einmal mit den meisten Musikerinnen, Musikern, Sängerinnen, Sängern für eine intensive Arbeitswoche zusammengebracht hat.

Weiteresen:

Unsere Redakteurin Isabel Steppeler trifft Justin Brown auf der Bühne im Großen Haus. Am Klavier. Dort ist er in seinem Element und kann kaum die Finger von den Tasten lassen, als er seine Zeit in Karlsruhe Revue passieren lässt. Stupst noch schnell einen Ton. Die erste Frage wird nicht gestellt, nur gedacht.

(Ist das ein C?…)

Brown: Beethovens Chorfantasie wäre der erste Teil meines Abschiedskonzertes gewesen [wie einen Stempel stößt Brown noch einen C-Dur-Akkord in die Tasten]. Deshalb haben wir das gewählt für ein Online-Projekt. Das Stück hat die Form eines Fächers: erst Soloklavier, dann kleine Kammerformationen, Solo plus Orchester, Sänger-Ensemble plus Klavier und schließlich alle zusammen. Es passt daher perfekt zu Karlsruhe. Aber nicht nur das: Das Werk passt auch vom Text her perfekt in diese Zeit. Es ist sehr optimistisch. „Wenn der Töne Zauber walten/und des Wortes Weihe spricht,/muss sich Herrliches gestalten,/Nacht und Stürme werden Licht“. Das könnte besser nicht passen.

Zur Corona-Pandemie?

Ja. Man braucht etwas Optimistisches zu diesen schwierigen Zeiten.

Erst der Brexit, dann Corona. Kann man in England überhaupt noch durchatmen?

Brown: Es ist furchtbar. In England ist alles gerade sowieso ungeschickt. Man hätte sich gewünscht, dass die Älteren und Risikopatienten besser geschützt werden könnten, während der Rest schneller wieder normal leben könnte. Hingegen bin ich der Meinung, Deutschland hat optimal auf das Virus reagiert.

Waren Sie während des Shutdown in England?

Ich war noch hier als „Wozzeck“ abgebrochen wurde. Das war grauenhaft. Wenn man eine so intensive Produktion macht und mit dem Ensemble, den gastierenden Künstlern und dem Regieteam zu einer Familie zusammengewachsen ist, und dann wird das plötzlich abgesagt. Aus. Vorbei. So kurz vor der Premiere. Das war echt schwer. Und dann musste ich mich entscheiden. Die Familie war in England. Ich ging am 17. März. Und kam erst wieder am 2. Juni.

Was macht ein Dirigent im Homeoffice?

Ohne Orchester zu sein, heißt nicht, dass man nicht gearbeitet hat. Es gab viel zu organisieren. Was retten wir von dieser Spielzeit, was können wir in die nächste schieben? Solche Fragen mussten geklärt werden. Ich war dafür, dass „Wozzeck“ gerettet wird, und ich glaube, das war im Sinne aller. Denn das ist nicht nur irgendein „Wozzeck“, sondern eine besondere Sache. Der Regisseur Maxim Dedenko ist ein verrückter Typ, lustig, lieb. Ein ausgebildeter Clown. Viel Körperlichkeit liegt in der Inszenierung. Daher bin ich froh, dass sie nun 2021 gezeigt wird.

Und dann die Sache mit Ihrem Abschied. Er fällt ja nun mehr oder minder sang und klanglos aus.

Das ist für mich unendlich traurig. Ich hatte einige Telefonate mit meinem Nachfolger Georg Fritzsch und wir haben vereinbart, dass ich in der nächsten Spielzeit eine Woche für ein Sinfoniekonzert bekomme. Aber dann wird Fritzsch bereits im Amt sein. Da macht es keinen Sinn mehr, die große Abschiedsfeier für Justin Brown zu präsentieren. Es wird zwar hoffentlich gefeiert. Aber es ist März, mitten drin in der Spielzeit, und es wird anders. Deshalb habe ich ein neues Programm gewählt. Wieder mit Bezug zum Beethoven-Jahr, aber kein feierliches und triumphales Konzert, sondern eines mit der „Eroica“. So hat man einen Trauermarsch, der zu der ganzen Corona-Krise passt, aber auch Energie und Zeichen des Mutes und Kampfes für eine bessere Zukunft. Die Chorfantasie machen wir jetzt als Filmprojekt. Und das ist in der Tat mein Farewell – in dieser Spielzeit.

Muss sein Abschiedskonzert erneut aufschieben: Justin Brown, bis Ende der Saison 2019/20 Generalmusikdirektor am Badischen Staatstheater Karlsruhe.
Muss sein Abschiedskonzert erneut aufschieben: Justin Brown, bis Ende der Saison 2019/20 Generalmusikdirektor am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Foto: Artis/Uli Deck

Zur Besetzung gehören Klavier, Chor, Solisten und Orchester. Wie soll das mit ausreichend Abstand funktionieren?

Nur mit Tonmeister und Trick. Das ist sehr aufwendig. Wir produzieren das Werk wie ein Puzzle aus Stücken in kleiner Besetzung, die von unserem Tonmeister Stefan Raebel über eine Musikbearbeitungssoftware zusammengefügt werden. Und das macht uns allen richtig viel Spaß. Außerdem gibt mir das nun die Möglichkeit, nicht nur mit sechs Sängerinnen und Sängern zu arbeiten, sondern mit insgesamt 14, weil wir die Solopartien jeweils neu besetzen. So ist fast das ganze Opernensemble dabei. Das ist schön.

Sie wirken sehr entspannt und glücklich.

Ich bin auch glücklich, endlich wieder richtig arbeiten zu können. Im März und April hatte man ja den schrecklichen Gedanken, dass ich meine Kollegen vor Ende der Spielzeit vielleicht nicht mehr begrüßen kann. Gott sei dank ist das nun doch möglich.

Was macht Sie im Rückblick gesehen besonders stolz?

„Wahnfried“. Das war ein neues Opern-Projekt, dessen Geburtsprozess ich begleiten durfte. Ich hatte den Komponisten mitgebracht, Avner Dorman war mein Composer in Residence beim Alabama Symphony Orchestra. Von Peter Spuhler kam die Idee, eine Oper rings um Wahnfried und Chamberlain zu konzipieren. Hinzu kamen die famosen Librettisten Lutz Hübner und Sarah Nemitz und noch Keith Warner, ein Lieblings-Regisseur von mir. Das Ganze war außergewöhnlich. Als Dirigent arbeitet man normalerweise interpretierend. Das Wahnfried-Projekt war aber schöpferische Arbeit. Bei so etwas mitzuwirken, das macht mir ungeheuer Spaß. Und daneben erfüllt mich natürlich die ganze Wagner-Reihe mit Stolz. Deshalb bin ich nach Karlsruhe gekommen – um Wagner zu dirigieren.

Sie haben in Karlsruhe fast den gesamten Musiktheater-Kanon von Wagner dirigiert. Welches Projekt war für Sie das beste?

Ich war von Anfang an ein Ring-Fan. Das bin ich immer noch. Aber insgesamt gelungener fand ich vor allem für meine Erfahrung den „Parsifal“. Was ich nicht erwartet hätte. Ich war immer ein bisschen ängstlich in Bezug auf Wagners letzte Oper und dachte, ohne einen langen Bart und 80 Jahre hinter sich zu haben, kann man „Parsifal“ nicht dirigieren. Das braucht so viel Zen und Buddhismus, weil viel fernöstliche Philosophie darin steckt. Das merkt man besonders beim Dirigieren. Man braucht dafür ganz viel Atem. Früher im Leben habe ich mich nie getraut. Daher war ich ziemlich stolz, als es herauskam. Aber die absolute Lieblings-Oper von Wagner ist für mich „Tristan und Isolde“, und unsere Tristan-Produktion mit Christopher Alden zählt sicher auch zu den Höhepunkten meiner Karlsruher Zeit.

Manchmal machen wiederum gerade die kleinen Dinge besonders glücklich. War da etwas?

Oh ja. Es gibt Highlights, die man nicht erwartet, oft kammermusikalisch, und zwar manchmal als Zuschauer. Es gab dieses Kammerkonzert einmal im Studio, das ganz verblüffend war. Ich musste auf dem Boden sitzen, weil ich zu spät kam, und meine Kollegin Miho Uchida spielte mit einem Streichquartett aus der Staatskapelle das Brahms-Klavierquintett. Das war so unglaublich schön musiziert. Ich war sehr dankbar, das erleben zu dürfen. Genauso die Liederabende mit John Parr, dem früheren Casting-Direktor. Wenn ich nur so spielen könnte!

Und das Orchester?

Ganz viele Highlights, selbstverständlich! Die Entwicklung ist für mich sehr faszinierend. Das Orchester hat sich verjüngt und seinen Stil geändert. Insbesondere bei Wagner. Anfangs herrschte da noch die alte Schule des tiefen Klangs, das hat mir sehr gut gefallen. Aber jetzt hört man eine Durchsichtigkeit, die wir mit „Tristan“ oder dem zweiten Ring-Zyklus erreicht haben. Und das ging fast ohne Worte.

Welches waren Ihre Ziele, als Sie nach Karlsruhe kamen?

Ich hatte zwei. Zum einen wollte ich in den deutschen Musikklang wachsen. Ich war als Assistent von Leonard Bernstein oft in Deutschland und in Wien. Ich fand diesen Klang so wunderbar und wollte ihn in Deutschland lernen. Zum anderen ging es mir um Repertoire. In Karlsruhe wurden alle Wünsche wahr. Von den „Gurre-Liedern“ bis hin zu den zeitgenössischen Werken wie zum Beispiel Messiaens „Éclairs sur l’au-delà“.

Eigentlich wollten Sie schon vor zwei Jahren gehen. Ist es mittlerweile noch schwieriger geworden, Adieu zu sagen?

Mein Problem ist, dass ich sowieso nur schlecht Adieu sagen kann. Deshalb bin ich so froh, jetzt hier zu sein, trotz dieser seltsamen Art zu musizieren. Niemand darf näher als drei Meter voneinander entfernt spielen. Aber das akzeptieren alle, und wir machen einfach Musik. Ich bin bestimmt nicht der einzige, der in diesen Zeiten Abschied nimmt, ohne richtige Verabschiedung, und ohne Party. Das ist schwer. Aber ich versuche, nicht darüber nachzudenken. Es ist wie es ist.

Was wird sich Ihrer Meinung nach ändern?

Alle sind zwar sehr geduldig, aber auch ängstlich. Besonders in der Welt des Theaters. Ich glaube, wir werden alle vorsichtiger werden. Aber ich glaube nicht an jene, die fürchten, man wird nicht mehr in großer Besetzung konzertieren, keinen Mahler und Strauss mehr also. Ich bin optimistischer. Ich glaube, wir finden einen Weg. Oder wir lernen, dass zum Leben auch Risiko gehört. Und ein Leben ohne lebende Kunst ist das größte Risiko.

Termine

Kammerkonzert am 27. Juni, 19.30 Uhr, mit Justin Brown am Klavier im Großen Haus (ausverkauft). – Streaming-Premiere und Public Viewing der Oper „Wahnfried“ am 28. Juni, 18 Uhr. – Browns Filmprojekt „Beethovens Chorfantasie“ mit der Staatskapelle, dem Staatsopernchor und Mitgliedern der Oper feiert am 11. Juli, 20 Uhr, online auf den Kanälen des Badischen Staatstheaters Premiere. www.staatstheater.karlsruhe.de

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