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Alternative zum Werderplatz

In diesem Raum können Abhängige und Obdachlose in Karlsruhe Alkohol trinken

Alkohol ist im Sommer auf dem Karlsruher Werderplatz verboten. Abhängige, Arbeitssuchende und Wohnsitzlose können stattdessen im „Alkohol akzeptierenden Aufenthaltsraum“ um die Ecke trinken. Das Angebot finden viele so gut, dass sie auch im Winter nicht zur alten Szene zurückwollen.

Hogge trinkt selten Alkohol, dafür im Aufenthaltsraum auch mal einen Kaffee.
Hogge trinkt selten Alkohol, dafür im Aufenthaltsraum auch mal einen Kaffee. Foto: Weller

Der neue Werderplatz hat Eckbänke mit Blümchenpolstern und einen grauen Linoleumboden. Peter, Atze und Siggi sitzen um einen Tisch herum, vor ihnen drei Flaschen Rössel Export, eine Dose Turmbräu, eine Spezi. Früher saßen sie ab und zu draußen am Indianerbrunnen, mit dem Rössel Export und dem Turmbräu und vielleicht auch mit der Spezi. Jetzt sitzen die drei in einem warmen Raum und sehen zu, wie die Rauchschwaden durchs Zimmer schweben. „Für mich ist das hier Familie“, sagt Atze, der sonst nicht viel sagt.

Der Werderplatz ist trotz Ende des Alkoholverbots wie leergefegt.
Der Werderplatz ist trotz Ende des Alkoholverbots wie leergefegt. Foto: Weller

Der alte Werderplatz liegt voller Laub, ansonsten ist er leer. Die Gastronomen haben ihre Sonnenschirme längst zusammengepackt. Ein einziger Mann steht am Indianerbrunnen, in der Hand einen Energydrink. Er dürfte auch wieder Alkohol trinken, denn seit dem 1. November ist das sommerliche Konsumverbot auf dem Platz beendet.

Werderplatz-Szene ist zum Teil abgewandert

Doch von den Menschenansammlungen und Scherbenhaufen früherer Zeiten ist an diesem Herbsttag nichts zu sehen. Die Situation sei so gut wie seit Jahrzehnten nicht, sagt der Leiter des Karlsruher Ordnungsamtes. Und führt als Grund nicht nur das temporäre Alkoholverbot an, sondern auch den A³, wo Peter, Atze und Siggi jetzt sitzen.

Im Raucherraum herrscht reges Kommen und Gehen. Manche Gäste bleiben nur eine Stunde, andere den ganzen Tag.
Im Raucherraum herrscht reges Kommen und Gehen. Manche Gäste bleiben nur eine Stunde, andere den ganzen Tag. Foto: Weller

Der „Alkohol akzeptierende Aufenthaltsraum“, so der vollständige Name, soll eine gesunde Alternative zum Werderplatz sein. Hier können die Leute im Warmen und im leichten Rausch zusammensitzen, ihre Wäsche waschen, etwas essen. Durch die Butzenscheiben der ehemaligen Gaststätte scheint schemenhaft die Schützenstraße herein. Wer an dem blassrosa Haus mit den Säulen auf den Balkonen vorbeispaziert, hält das Gebäude für ein Hotel. Das war es auch mal, heute sind die Zimmer dauerhaft vermietet.

Drogen sind streng verboten

Zum Beispiel an Horst. Er wohnt in der Schützenstraße 2, das heißt: Er lebt im A³ und schläft ein Stockwerk höher. Horst trinkt keinen Alkohol, dafür jeden Tag seinen Kaffee im Aufenthaltsraum. „Wenn hier zu ist, samstags und sonntags, das fehlt richtig“, sagt der Witwer. Zwanzig Euro werfe er am Monatsanfang in die Spendenkasse, einfach dafür, dass er alleine vor der karierten Tischdecke im Nichtraucherzimmer sitzen und seine Ruhe haben kann. „Ich hab Hektik genug gehabt in meinem Leben.“

In den Löffel wurde ein Loch gebohrt. So kann er nicht als Drogenbesteck missbraucht werden.
In den Löffel wurde ein Loch gebohrt. So kann er nicht als Drogenbesteck missbraucht werden. Foto: Weller

Ein Mitarbeiter bringt eine neue Tasse Kaffee, in den Löffel wurde ein Loch gebohrt. Drogen sind tabu im A³, genau wie hochprozentiger Alkohol. Das stört Peter jedoch nicht, der im Raucherraum gerade zwei Flaschen Whisky ausgepackt hat. Er wolle sie nur mal zeigen, erklärt er, ganz günstig hat er sie bekommen. Auf die mahnenden Worte eines Mitarbeiters hin packt er die Flaschen schnell wieder weg, ein Hausverbot möchte er nicht riskieren.

Wer die Regeln bricht, riskiert ein Hausverbot

„Wir haben manchmal Abrutscher, dass Leute verbal aggressiv werden“, sagt Anita Beneta. Sie ist Bereichsleiterin der Sozialen Arbeit beim Diakonischen Werk Karlsruhe, das den Raum betreibt. Ab und zu müsse die Polizei kommen. Im Großen und Ganzen seien Beneta und ihr Team aber überrascht, wie gut der Raum und seine Regeln von den Klienten angenommen werden.

Am Tresen führt Sofia Moylan genau Strichliste. Zehn Frauen und mehr als zwanzig Männer waren an diesem Montag schon da. „Damit wir wissen, wie viel Geld wir brauchen“, sagt die 21-Jährige mit Blick auf den Zettel. Moylan absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Straßensozialarbeit der Diakonie, die von der Stadt Karlsruhe finanziert wird. Kämen keine Besucher mehr in den A³, könnte man die Kosten von rund 150.000 Euro jährlich nicht rechtfertigen.

Roland hat eine Beschäftigung im A³ gefunden: Er hilft hier an der Theke aus und räumt die Spülmaschine aus. Sofia Moylan absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Straßensozialarbeit der Diakonie und ist ebenfalls im Alkoholkonsumraum eingesetzt.
Roland hat eine Beschäftigung im A³ gefunden: Er hilft hier an der Theke aus und räumt die Spülmaschine aus. Sofia Moylan absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Straßensozialarbeit der Diakonie und ist ebenfalls im Alkoholkonsumraum eingesetzt. Foto: Weller

Doch im ersten Jahr kamen bereits mehr als 6.000 Menschen, davon ein Drittel Frauen. Das sind verhältnismäßig mehr Frauen, als die Streetworker draußen auf der Straße erreichen. Eine Freundin würde später noch vorbeikommen, erzählt Peter.

Wenn jemand vom Alkohol loskommen will, werden wir alles tun, um ihm zu helfen.
Anita Beneta (Diakonie)

Wenn er wollte, könnte er mit dem Trinken aufhören, sagt der 62-Jährige. Will er aber nicht. Ein Grundsatz ist Sozialarbeiterin Anita Beneta wichtig: Der Klient bestimmt das Ziel des Angebots. „Wenn jemand vom Alkohol loskommen will, werden wir alles tun, um ihm zu helfen.“ Und wer trinken will, der darf eben trinken. Drei Leute seien seit der Eröffnung vor etwas mehr als einem Jahr schon trocken geworden.

Manche Klienten trinken im A³ einfach nur Tee oder Kaffee, aber Bier und Wein sind erlaubt und akzeptiert.
Manche Klienten trinken im A³ einfach nur Tee oder Kaffee, aber Bier und Wein sind erlaubt und akzeptiert. Foto: Weller

Viele Besucher hätten aber auch andere Probleme als den Alkohol: Manche Klienten befänden sich in Drogenersatztherapien. Wer im Keller des A³ auf die Toilette gehen möchte, muss vorher an der Theke Bescheid geben, damit das Licht angeschaltet wird. Ansonsten leuchtet dort nur bläuliches Schwarzlicht, das es Abhängigen unmöglich macht, die eigenen Venen zu erkennen und sich einen Schuss zu setzen.

Kaum ein Klient im Aufenthaltsraum ist gesund

Die Waschmaschine im Keller ist fertig, ihr Piepsen dringt über die Treppe in den Gastraum. Dort wird es übertönt von einem Mann mit Baskenmütze, der ein französisches Chanson singt. Peter daneben sieht mit seiner Lederjacke und dem Kopftuch immer noch aus wie ein Biker, obwohl der Lappen seit zwei Jahren weg ist. „Bisschen Haschisch“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Arbeitslos ist er jetzt auch, und Gürtelrose hat er noch dazu. Er zieht sein T-Shirt hoch und zeigt die roten Flecken. „Aber nicht mehr ansteckend, sonst wär ich nicht hier.“

So schnell geben wir den Löffel nicht ab.
Klaus

Fast alle in der Runde haben Krankheiten durchstanden oder noch mit ihnen zu kämpfen: Der eine hat Diabetes, der nächste Darmkrebs, der dritte eine OP nach der anderen. „Aber so schnell geben wir den Löffel nicht ab“, sagt Klaus. Atze wischt mit der Hand Asche vom Tisch in einen Becher.

Die Möbel aus Holzpaletten auf der Terrasse haben die Klienten selbst mitgestaltet. Dort stehen in mehreren Sprachen Worte wie "Zukunft", "Ehrlichkeit", "Liebe" und "Toleranz".
Die Möbel aus Holzpaletten auf der Terrasse haben die Klienten selbst mitgestaltet. Dort stehen in mehreren Sprachen Worte wie "Zukunft", "Ehrlichkeit", "Liebe" und "Toleranz". Foto: Weller

Dass man seit wenigen Tagen am Werderplatz wieder Alkohol trinken darf, hat im A³ schon die Runde gemacht. Sonderlich beeindruckt sind die Besucher davon aber nicht: Hier drin ist es gemütlicher, sauberer, die meisten wollen gar nicht zurück. Der Mann mit der Baskenmütze teilt salziges Knabberzeug aus, im Radio läuft „Imagine“. „You may say I'm a dreamer, but I'm not the only one“, stimmt er ein.

Nach Einbruch in sein Zimmer schläft Atze lieber auf der Straße

Atze fallen immer wieder die Augen zu. Der 55-Jährige wohnt eigentlich in einem kleinen Zimmer an der Rheinstraße in Mühlburg, aber momentan schläft er lieber auf der Straße. Seine Wohnungstür sei eingetreten worden und der Backofen geklaut, erklärt Peter. Seit der Eröffnung des A³s habe Atze an zwei oder drei Tagen gefehlt, ansonsten sei er täglich da gewesen. „Ich finde es toll, dass es Leute gibt, die sich um einen kümmern“, murmelt Atze und fummelt mit zittrigen Händen die Einzelteile einer kleinen Motorradfigur zusammen.

Atze ist froh, dass es im A³ Leute gibt, die sich um ihn kümmern.
Atze ist froh, dass es im A³ Leute gibt, die sich um ihn kümmern. Foto: Weller

Glaubt man dem 63-jährigen Hogge, finden nicht alle Menschen die städtischen Maßnahmen gegen den Alkoholmissbrauch am Werderplatz so toll. „Das mit dem Verbot ist doch ein Beschiss, da geht es nur um die Geschäftsleute“, sagt Hogge, der eigentlich Klaus heißt. Von denen gibt es in Karlsruhe aber nun so einige, weswegen der gebürtige Hockenheimer sich nach seiner Herkunft nennen lässt.

Drogenabhängige sammeln sich in der Karlsruher Südstadt

Er hat zehn Jahre auf der Straße gelebt, sagt er, und auf dem Werderplatz früher für Ordnung gesorgt. „Ich kenne sie alle“, sagt Hogge und erzählt, dass die meisten Mitglieder der alten Werderplatzszene längst gestorben seien. „Wenn es da dreckig war, haben wir alles weggekehrt.“ Seit aber immer mehr Drogenabhängige in die Südstadt gekommen waren, um dort einen der wenigen Substitutionsärzte aufzusuchen, sei die Situation eskaliert.

Blümchenpolster an den Sitzbänken und karierte Tischdecken machen den A³ gemütlicher, als es der Werderplatz jemals sein könnte.
Blümchenpolster an den Sitzbänken und karierte Tischdecken machen den A³ gemütlicher, als es der Werderplatz jemals sein könnte. Foto: Weller

Hogge wohnt wie Horst direkt über dem A³. Er hatte Glück und hat eines der ehemaligen Doppelzimmer des ehemaligen Hotels erwischt. „Mein Bett hat vier Quadratmeter, das passt rein und ein Einbauschrank auch noch.“ Seit zwei Jahren sitzt Hogge im Rollstuhl, hat nur noch ein Bein, aber dafür zwei Herdplatten, auf denen er sonntags für die Hausbewohner kocht. „Wenn ich Sauerbraten mache, drehen sie alle durch“, sagt er.

Auch im A³ gibt es mehrmals in der Woche etwas Warmes zu essen. Der 21-jährigen Sofia Moylan gefällt ihr Freiwilligendienst im Alkoholkonsumraum gut: „Man hört jeden Tag eine andere Geschichte.“ Die junge Frau begleitet Klienten aufs Amt, liest mit ihnen Behördenbriefe durch und spricht über persönliche Schicksale.

Grenzt sich die Szene vom Rest der Gesellschaft ab?

Vor ihrem FSJ sei sie noch nie mit Menschen aus diesem Milieu in Kontakt gekommen, sagt Moylan. Dient der A³ nicht auch dazu, die Szene der Alkoholkranken von der restlichen Gesellschaft abzugrenzen? Nein, sagt Bereichsleiterin Anita Beneta und erzählt, dass zum einjährigen Bestehen ein Tag der offenen Tür mit vielen interessierten Gästen gefeiert wurde.

An allen anderen Tagen legen die Mitarbeiter jedoch Wert darauf, dass die Anwohner vom A³ möglichst wenig mitbekommen. Wenn der Raum um 16 Uhr schließt, sollen die Gäste nicht vor dem Haus herumlungern. Peter muss heute ohnehin schon früher weg: Es ist kurz vor Drei, als er seufzend auf sein Handy schaut. „In einer halben Stunde muss ich zum Arzt nach Durlach“, sagt er und greift nach einer Flasche. Ein Bier geht bis dahin noch.

Stadt Karlsruhe zieht positive Bilanz des Alkoholverbots am Werderplatz Zwischen dem 1. April und dem 1. November dieses Jahres war es am Werderplatz verboten, Alkohol zu trinken . Der Leiter des Karlsruher Ordnungsamts, Björn Weiße, zieht ein positives Fazit : Bevölkerung, Bürgerverein und Gewerbetreibende hätten die Rückmeldung gegeben, „dass die Situation so gut ist wie seit Jahrzehnten nicht.“ Bereits die Eröffnung des Alkoholkonsumraums im September 2018 sei ein großer Erfolg gewesen – die Situation am Werderplatz allein dadurch aber nicht besser geworden. „Jetzt funktioniert die Wechselwirkung super“, sagt Weiße über die Kombination des Verbotes mit einem Ausweichangebot im A³. Nicht alle Menschen, die früher auf dem Werderplatz zugegen waren, würden den Alkoholkonsumraum aber annehmen. „Die sind nun verdrängt und verteilen sich im Stadtgebiet.“ In der Vergangenheit hat es bereits Beschwerden vom Festplatz am Vierordtbad gegeben, wo sich eine neue Szene gebildet hatte . „Diese kleineren Gruppen sind sozialverträglicher“, sagt Ordnungsamtschef Weiße. „Natürlich freut sich niemand, der so eine Szene vor der Haustür hat, aber die Zahlen sind überhaupt nicht besorgniserregend.“

Die Situation auf dem Werderplatz habe sich verschärft, weil zur etablierten Szene vor sechs oder sieben Jahren neue Gruppen hinzugekommen seien, die keinen persönlichen Bezug zum Platz hatten, so Weiße. „Insbesondere russisch- und rumänischsprachige Menschen, die als Saisonarbeiter in beengten Verhältnissen leben.“ Während des Alkoholverbots habe der Kommunale Ordnungsdienst 363 Kontrollen auf dem Werderplatz durchgeführt, dabei 28 Platzverweise ausgesprochen und 68 Verwarnungen wegen Ordnungswidrigkeiten erteilt. Jetzt, nach Ende des Verbots, seien seine Mitarbeiter weiterhin vor Ort präsent, sagt Weiße. Eine Rückverlagerung von Ausschreitungen auf den Werderplatz fürchtet er nicht.

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