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Zustellbasis Karlsruhe

Kalter Kaffee, keine Pause, zwei Minuten je Paket: Unterwegs mit einem Zusteller in Ettlingen

Ein Parkplatz in Ettlingen-West im Landkreis Karlsruhe, ein paar Minuten nach 12 Uhr: Im Laderaum vom Jochen Steinhübels Zustellfahrzeug liegen etwas mehr als 180 Pakete. Er hat knapp fünf Stunden, um sie auszuliefern - schafft er das?

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Zusteller Jochen Steinhübel von der DHL unterwegs in Ettlingen. Foto: Markus Pöhlking

Ein Parkplatz in Ettlingen-West, ein paar Minuten nach 12 Uhr: Im Laderaum von Jochen Steinhübels Zustellfahrzeug liegen etwas mehr als 160 Pakete. Er hat knapp fünf Stunden, um sie auszuliefern - schafft er das?

Es ist ein Mittwoch, sonnig und ziemlich kalt. Das ist auch im Zustellfahrzeug von Jochen Steinhübel spürbar. Die Heizung läuft nämlich nicht. Wozu auch? Steinhübel wird die nächsten Stunden ohnehin nie länger als eine oder zwei Minuten hinterm Steuer sitzen. Er trägt einen dünnen Fleecepullover, auf dem links das Logo der DHL prangt. Im Moment ist ihm der genug. "Ich bin ja ohnehin die ganze Zeit in Bewegung", sagt er.

Steinhübel ist ein hagerer Mann Mitte 50. Als er Zusteller wurde, gab es noch die Bundespost; er hat daher einen Altvertrag und könne sich nicht beklagen, sagt er. Seit vier Jahren liegt sein Zustellbezirk in Ettlingen-West. Er mag das Gebiet. Viele Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften, eine eher bürgerliche Gegend. In den Straßen ist meist genug Platz, um das Fahrzeug zu parken.

Karlsruhe kostet Zeit

Es gibt Zusteller, die können von solchen Bedingungen nur träumen. "Ich habe Kollegen, die sind in Karlsruhe in Gebieten unterwegs, wo sie mit dem Wagen eigentlich nirgends halten können, weil die Straßen zu eng sind und alles vollgeparkt ist", sagt Steinhübel. "Und dann kriegen sie die Pakete oft nicht los, weil niemand zu Hause ist. Da verliert man dann schon viel Zeit."

Steinhübel tritt aufs Gaspedal, vom Parkplatz eines Supermarktes fährt er in den Odertalweg, es sind nur ein paar hundert Meter. Den Vormittag hat er damit verbracht, das Fahrzeug im Karlsruher Depot zu beladen und jeden einzelnen Karton mit dem Handscanner zu erfassen. Mit 187 Paketen ist er nach Ettlingen aufgebrochen, zwanzig Stück hat er schon an einer Packstation abgeliefert. Den Rest muss er an der Haustür zustellen.

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IMG_3408 Foto: Markus Pöhlking

In manchen Fenstern der Häuser, die Steinhübel passiert, hängen leuchtende Sterne. In den Vorgärten stehen hier und da Weihnachtsmänner, anderswo hängen Lichterketten. Es ist Advent und wie immer im Advent vermeldet die Logistikbranche, das Paketaufkommen habe einen neuen Rekordwert erreicht. Steinhübels Arbeitgeber, die DHL, stellt daher jedes Jahr für die Weihnachtszeit zusätzliche Leute ein. 10.000 Aushilfskräfte habe das Unternehmen in diesem Jahr gewinnen können, erklärt ein Sprecher. Damit könne das zusätzliche Arbeitsaufkommen bewältigt werden.

Wie ist das Paket in die Wohnung gekommen?

An den beiden vorherigen Tagen hatte Steinhübel dennoch deutlich mehr Pakete im Wagen, als eigentlich vorgesehen ist -  weit über 200 nämlich. "Der Plan für meine Tour sieht eigentlich vor, dass es nicht mehr als 180 sein sollten", sagt er. Aber die Paketschwemme in der Weihnachtszeit sei nun mal nie so ganz exakt planbar. Es gebe immer mal einen Tag, an dem sich zuviel Last auf zu wenig Schultern verteile. "Das ist dann eben so. Grundsätzlich achtet der Arbeitgeber schon darauf, dass es keine Überlastung gibt und wir unsere Arbeitszeiten einhalten", sagt Steinhübel. Und schiebt nach: "Ich mache den Job gern."

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IMG_3319 Foto: Markus Pöhlking

Eine der ersten Sendungen, die er heute zustellt, ist ein sperriges Paket, weder besonders handlich noch besonders leicht. Es geht an eine ältere Dame, die sichtlich Mühe damit hätte, würde ihr Steinhübel den Karton einfach in die Hand drücken oder vor die Füße stellen. Genau dazu ist Steinhübel aber verpflichtet, denn als Zusteller darf er die Wohnung eigentlich nicht betreten. Am Ende jedenfalls steht die Sendung im Flur der Wohnung an einem Platz, wo sie niemanden stört. Die Empfängerin leistet dankbar ihre Unterschrift und ruft zum Abschied: "Tschüss, Jochen!"

Der Name fällt in den nächsten Stunden immer wieder. Für viele Bewohner in Ettlingen West ist aus Herrn Steinhübel längst der Jochen geworden. Wenn er irgendwo klingelt, ruft er oft einfach "Jochen hier" in die Gegensprechanlage, die Leute wissen dann schon Bescheid.

Wenn was zwickt, auf die Couch

Der Jochen, also Steinhübel, ist für sein Alter ziemlich fit. Er rennt Treppenhäuser hoch und runter wie ein junger Gebirgsjäger, wuchtet mehrere Kilo schwere Pakete problemlos aus dem Transporter auf die Schubkarre und schleppt sie von dort aus an die Haustüren der Empfänger.

Einmal jährlich untersucht ein Betriebsarzt ihn und seine Kollegen. Nicht wenigen Zustellern in seiner Altersklasse macht der körperliche Verschleiß, den die Arbeit mit sich bringt, zu schaffen. Sie müssen schauen, wie sie fit bleiben bis zur Rente. Steinhübel hat Glück: Der Rücken, die Gelenke, alles sei noch in Ordnung. "Obwohl ich jetzt wirklich nicht besonders rückenschonend arbeite."

Wenn doch mal was zwickt, legt er sich nach Feierabend auf die Couch. "Am nächsten Tag reicht es dann meist wieder."

Tatsächlich verbringt Steinhübel viel Zeit in gekrümmter Haltung. Mit krummem Rücken sucht er Pakete vom Boden des Zustellfahrzeugs zusammen. Mit gekrümmtem Rücken schichtet er Pakete auf der Schubkarre um. Mit gekrümmtem Rücken stellt er Pakete auf dem Boden ab und liest sie wieder auf, wenn er wo klingelt, um dann vornübergebeugt die Treppenstufen hochzuhasten.

Zwei Minuten je Paket

Am Anfang von Steinhübels Tour steht eine Reihe von mehrgeschossigen Häusern. In seinem Gebiet kalkuliere die DHL mit einer Zustelldauer von zwei Minuten je Paket, sagt Steinhübel. Das Zeitfenster muss er also einhalten, um Pausen nehmen und pünktlich Feierabend machen zu können.

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IMG_3327 Foto: Markus Pöhlking

Manchmal öffnen Bewohner erst nach dem zweiten Klingeln, in anderen Wohnungen reagiert niemand. Steinhübel hastet dann in den vierten Stock, übergibt eine Sendung, lässt den Empfänger unterschreiben und fragt, ob er vielleicht noch die Bestellung eines abwesenden Nachbarn entgegennehmen können. Bis er wieder unten ist und das nächste Paket zustellen kann, ist von den zwei Minuten manchmal nicht mehr viel übrig und meist zahlt Steinhübel sogar drauf.

Dennoch ist er heute ganz zufrieden. Um 17.45 Uhr muss er das Fahrzeug in Karlsruhe im Depot abgegeben haben und im Feierabend sein, so sieht es sein Einsatzplan vor. "Müsste eigentlich klappen heute", schätzt Steinhübel, als er den ersten Schwung Pakete abgeliefert hat.

Er steigt ins kalte Fahrzeug, greift zu einem Kaffeebecher, der schon die ganze Zeit in einer Halterung am Armaturenbrett klemmt, nimmt einen kleinen Schluck und stellt ihn zurück . Etwas weiter rechts liegt eine Brötchentüte. Sie wird auch noch da liegen, wenn es längst dunkel ist. "Ich mache eigentlich keine Pause, sonst schafft man das ja gar nicht, den Zeitplan einzuhalten", sagt Steinhübel. Falls doch mal Luft ist, nimmt er sich lieber die Zeit für ein kurzes Gespräch an der Tür oder am Gartentor.

Außer den paar Schlucken Kaffee trinkt er nichts während seiner Tour. Wenn er dennoch mal wohin muss, sucht er sich irgendwo einen Baum.

Ein Schulbusfahrer probt den Aufstand

Steinhübel steuert den Wagen durch den Odertalweg, vor der Gartenschule wird es eng: viele Bullis zur Schülerbeförderung parken dort. Ein weiterer kommt Steinhübel entgegengerast. Dessen Fahrer muss abbremsen, weil die Straße für beide Fahrzeuge fast ein wenig zu eng ist.

Er beginnt zu Fluchen, kurbelt das Fenster runter, beschimpft Steinhübel. Der gibt ein halbherziges Kontra, nimmt die Sache aber sonst nicht weiter ernst. "Bei den nächsten Häusern wird es einfacher", freut er sich. "Da kann man überall ebenerdig zustellen."

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IMG_3370 Foto: Markus Pöhlking

Bevor es soweit ist, sortiert Steinhübel in gekrümmter Haltung auf dem Boden seines Fahrzeuges die Pakete vor, gleicht sie mit den Infos auf dem Handscanner ab, belädt die Schubkarre und marschiert dann durch den Magnolienweg.

Wenn er weiß, dass irgendwo ein kleines Baby schlafen könnte, klopft er nur leise an den Türen. Fast überall ist wer daheim, ansonsten nehmen die Nachbarn die Pakete an. Steinhübel kommt zügig vorwärts, runzelt aber dennoch die Stirn. "Gleich kommen die Problemhäuser". sagt er. Da müsse er jeden Tag eine Ladung Pakete abliefern, es sei aber praktisch nie jemand zu Hause.

So ist es auch heute: Steinhübel räumt die Sendungen erstmal wieder in seinen Wagen, will es später noch mal versuchen. Das wird ihn wieder Zeit kosten. "Ich versuche loszukriegen, was ich loskriegen kann. Wenn ich später was bei der Post zum Abholen deponiere und das verschwindet dann, habe ich als Fahrer am Ende den Ärger", sagt Steinhübel.

Die Zigarette wird auf dem Gehsteig zwischengelagert

Etwas später bleibt er kurz beim Josef-Stöhrer-Weg stehen, deutet auf eine Adresse. "Da wohnt eine junge Frau, die im Sommer fast jeden Tag irgendwelche Klamotten geliefert bekommen hat. Sie ist aber nie da. Das regt mich dann manchmal schon ein bisschen auf, dass ich dennoch immer erstmal an die Haustür liefern muss, weil es die Kunden so wünschen."

Am Himmel über Ettlingen-West strahlt die Sonne mittlerweile nicht mehr ganz so hell, langsam zieht die Dämmerung herauf. Wind zieht durch die Straßenzüge, die Kälte durchdringt die Kleidung. Steinhübel schiebt in seinem dünnen Fleece-Pulli die Schubkarre durch die Siedlung, klingelt an unzähligen Haustüren: "Hallo, Jochen hier!"

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IMG_3436 Foto: Markus Pöhlking

Dann parkt er das Fahrzeug ein paar hundert Meter weiter, nimmt mal wieder einen Schluck Kaffee aus dem Pappbecher. Ohne den gehe es nicht, sagt Steinhübel, auch wenn der Kaffee natürlich längst kalt ist.

Kaffee und ab und zu eine Zigarette, das muss schon sein bei der Arbeit

sagt Steinhübel, als er nach Stunden eine Schachtel Kippen aus der Tasche zieht.

Er springt aus dem Wagen, zündet die Zigarette an, schnappt sich ein paar Pakete und läuft los. Im Fahrzeug darf er nicht rauchen, vorm Kunden auch nicht - also legt er die Zigarette nach zwei Zügen behutsam auf den Gehweg, liefert rasch aus, liest sie wieder auf. Inhaliert rasch ein paar Mal, legt sie dann auf einen Mauersims und eilt zur nächsten Haustür.

Ist in den Problemhäusern endlich wer daheim?

Es ist mittlerweile dunkel, der Verkehr in der Siedlung nimmt zu. Die Leute kommen heim von der Arbeit. Zeit, es nochmal bei den Problemhäusern zu versuchen. Steinhübel kurvt den Wagen zurück, schnappt sich die Pakete, klingelt bei allen Wohnungen. Nichts passiert. Er klingelt wieder. Stille. Steinhübel flucht, langsam sitzt ihm die Zeit doch ein wenig im Nacken.

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IMG_3439 Foto: Markus Pöhlking

Endlich meldet sich ein Bewohner, natürlich aus dem Dachgeschoss. Also schießt Steinhübel die Treppen hoch und fragt den Mann, ob er Pakete für seine Nachbarn entgegen nehmen könne. Der willigt ein, will aber im Gegenzug noch rasch seine Empörung über ein paar Nachrichten loswerden, die er gerade im Radio gehört hat.

Steinhübel hört zu, nickt ein paar Mal, kann sich dann endlich verabschieden. Schon fünf, ein paar Straßenzüge stehen noch aus. "Mist, wird doch später heute", sagt er. "Aber immerhin werde ich wohl alles loskriegen."

Es geht dann tatsächlich zügig. Nur einmal muss Steinhübel noch lange warten - auf sein Klingeln scheint niemand zu reagieren. "Ist immer so hier", sagt er im Dunkeln vor der Haustür. Der Kunde sei alt, sicher über 90, könne kaum noch laufen und müsse sich die Treppe runterquälen, um die Tür zu öffnen. Steinhübel schaut auf die Sendung: "Ist wahrscheinlich von einer Apotheke. Er braucht das ja. Den kann ich nicht zur nächsten Postfiliale laufen lassen." Also wird der Zeitrahmen von zwei Minuten ein weiteres Mal gesprengt.

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IMG_3444 Foto: Markus Pöhlking

Dann ist der Wagen wirklich leer, nur ein paar Retouren liegen noch hinten, die Steinhübel angenommen hat. Er zieht sich eine Winterjacke über. Es ist kurz nach halb sechs, als er über die Ettlinger Allee in Richtung Karlsruhe fährt. Seine Augen fallen auf auf das Armaturenbrett, auf die Tüte mit dem Brötchen. "Das könnte ich jetzt eigentlich auch mal essen", sagt er.

Ausgebeutet oder fair bezahlt – wie ist die Situation in der Zustellbranche? Die Situation ist uneinheitlich. Die Gewerkschaft Verdi etwa teilt mit, dass die Unternehmen Deutsche Post/DHL und UPS ihren Zustellern mittlerweile überwiegend mit festangestellten Zustellern arbeiten, die tariflich bezahlt werden. Die DHL erklärt, auch Aushilfskräften einen Stundenlohn von etwa 14 Euro zu zahlen - je nach Einsatzgebiet könne der Lohn geringfügig variieren. Eine aktuelle Stellenanzeige für Karlsruhe weißt einen Verdienst von 14,70 Euro je Stunde aus, die Wochenarbeitszeit beträgt demnach 38,5 Stunden. Andere Unternehmen würden speziell auf der sogenannten „letzten Meile“ auf die Dienste von Subunternehmern zurückgreifen. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit stellt im Umfeld der Zustellbranche immer wieder Verstöße gegen das Arbeitsgesetz, das Mindestlohngesetz und gegen das Sozialversicherungsrecht fest. Nach Erkenntnissen von Verdi und Finanzkontrolle setzen die Subunternehmer oft Beschäftigte aus Osteuropa ein, die ihre Rechte nicht kennen oder aus Angst vor einem Jobverlust nicht einfordern.

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