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„Color Video“ in der Karlstraße

Harald Wetzel betreibt die letzte Videothek in Karlsruhe

„Alien und Harry Potter gehen immer“, sagt Harald Wetzel, der Betreiber der letzten Videothek in Karlsruhe. Seine Stammkunden haben mit Streaming-Diensten nichts am Hut.

ein Mann steht in einer Videothek und hält DVDs hoch
Die Mischung macht’s: Videothekar und wandelndes Filmlexikon Harald Wetzel verleiht alte Klassiker wie Star Wars ebenso wie brandneue Filme wie „City of Lies“ mit Johnny Depp. Foto: Volker Knopf

Etwas vergilbt vom Sonnenlicht sind sie schon, die DVD-Hüllen in der Auslage von „Color Video“ in der Karlstraße. Das schmälert jedoch nicht den Enthusiasmus von Harald Wetzel, letzter Videothekar der Fächerstadt.

Mehr als 10.000 Videos, so die Schätzung des 56-jährigen, warten auf Kundschaft. Doch gibt es diese in Zeiten von Netflix oder Amazon überhaupt noch?

„Klar, ich habe eine treue Stammkundschaft, viele sind so zwischen 50 und 60 Jahre alt und mit den Videotheken in den 80er-Jahren aufgewachsen“, sagt Wetzel.

Wie zum Beweis betritt Thomas Reiser den Laden. Er hält nichts von Streaming-Diensten und winkt ab. „Das ist viel zu viel, was da auf einen einprasselt. Ich gehe lieber ganz altmodisch in die Videothek und suche mir in aller Ruhe einen Film aus“, betont der 60-Jährige.

Thorsten Beier steht auf Science-Fiction und Horror

Nicht anders geht es Thorsten Beier. Er hat kein Internet und steht auf Science-Fiction und Horror. Wetzel hat jede Menge davon.

„Die Klassiker gehen immer. Die Alien-Reihe, alte John-Carpenter-Horror-Filme oder Godzilla“, zählt der Ladeninhaber auf. Momentan sei auch James Bond sehr gefragt und überraschenderweise auch Harry Potter, der eigentlich gefühlt jede Woche im Fernsehen läuft.

Es ist nicht so, dass in dem Geschäft nur die 80er-Jahre zelebriert werden. Der Mann aus Oberreut hat auch jede Menge neue Filme in seinem Sortiment. Er zieht „City of Lies“ aus dem Regal, brandneu mit Johnny Depp in der Hauptrolle.

Ein Polit-Thriller oder „The Marksman“, ein neuer Film des unverwüstlichen Liam Neeson. Es sei die Mischung, die viele Kunden anziehe, weiß Wetzel aus 25 Jahren Erfahrung hinter dem Tresen. Neben dem klassischen Ausleihen kann man bei ihm auch DVDs und Blu-Rays kaufen.

Wetzel ist mit vielen Kunden per Du

Auffällig ist, dass Wetzel mit vielen Kunden per Du ist. Ein Schwätzchen ist immer drin, der soziale Kontakt für viele Besucher offensichtlich nicht unwichtig. Auch anspruchsvolle Arthouse-Filme hat er im Repertoire. Der gelernte Industriekaufmann verkauft Videos, auf die man so nie kommen würde.

„Einige ältere Damen kaufen bei mir auch schon mal ,Derrick’- oder ,Der Alte’-Boxen“, sagt er während hinter ihm das Cover von „Das Beste aus dem Musikladen“ von Radio Bremen aus dem Regal lugt.

Ein Zeitflash zurück in die 70er, die jeder per Knopfdruck selbstständig aktivieren kann. Oder: Viele kämen in den Laden und fragen gezielt nach Filmen mit Clint Eastwood oder Charles Bronson.

Karlsruher Videothekar ist Kind der 80er

Wetzel, ein Kind der 80er, könnte stundenlang über die Spezialeffekte in Horrorstreifen wie „Braindead“ oder „Bad Taste“ plaudern. Beides Splatter-Orgien und frühe Filme von Peter Jackson, hochgerühmter Regisseur der „Herr der Ringe Trilogie“, wie er anmerkt. Keine Frage, der 56-Jährige ist ein echter Filmfreak.

Sonst würde er den Job wohl auch nicht machen, denn „reich wird man nicht“, wie er schulterzuckend anmerkt. Er erinnert sich gerne an seine Kindheit und Jugend zurück, als die Schauburg sein Dorado war.

„Die Non-stop-Filme waren klasse, wir sind immer direkt nach der Schule hin.“ Die eigentliche Filmleidenschaft packte ihn mit dem Start der Star-Wars-Saga 1977. Ein prägendes Jahr: Wetzel siedelte damals mit der Familie von Oberschlesien nach Karlsruhe über.

Ich mache das, solange es geht und mir die Kunden die Treue halten.
Harald Wetzel, Videothekar

Im Hier und Jetzt hat ihm die Corona-Krise wirtschaftlich stark zugesetzt. Wenn keine neuen Filme ins Kino kommen, weil diese geschlossen sind, dann hat auch der Videotheken-Betreiber kein neues Futter, das er seinen Kunden anbieten kann. Aber seit die Lichtspieltheater wieder geöffnet haben, gerate auch er mit seinem Laden in der Südweststadt wieder in ruhigeres Fahrwasser.

In einem gibt sich der Familienvater keinen Illusionen hin: Seine Zeit als Videothekar ist zeitlich begrenzt. Schon, dass sein Laden noch existiert, ist ein echter Anachronismus. „Ich mache das, solange es geht und mir die Kunden die Treue halten. Aber bis zur Rente wird das definitiv nicht funktionieren. Wenn der Vertrieb komplett auf digital umgestellt wird, ist auch für mich Schicht“, sagt er stirnrunzelnd.

Aber darüber macht sich der letzte Videotheken-Betreiber in der Region aktuell noch keine Gedanken. So lange wacht Uma Thurman mit Samurai-Schwert im legendären Kill-Bill-Film von Quentin Tarantino über ihm. Das Plakat von Django Unchained hängt direkt daneben.

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