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Trendsport Calisthenics

Die Trimm-dich-Bewegung erobert die Karlsruher Innenstadt

Calisthenics liegt im Trend. Der Mix aus Turnen und Kraftsport begeistert junge Leute. In Karlsruhe fordert die aktive Szene neuen Anlagen.

Auf der Hagsfelder Calisthenics-Anlage herrscht viel Betrieb.
Auf der Hagsfelder Calisthenics-Anlage herrscht viel Betrieb. Foto: Jörg Donecker

Beidhändige Klimmzüge sind für Christian Merkel die einfachste Übung. Wenn der 25-jährige Karlsruher eine echte Herausforderung sucht, zieht er seinen durchtrainierten Körper nur mit einer Hand nach oben oder drückt sich auf zwei parallel angebrachten Stahlstangen in den Handstand.

Sein bevorzugtes Trainingsrevier ist dabei die Calisthenics-Anlage neben dem Jugendzentrum „Blaues Haus“ in Hagsfeld. Dort organisiert Merkel zweimal wöchentlich in der losen Gruppe „Zeusathletics“ Trainingsabende und bei gutem Wetter tummeln sich knapp zwei Dutzend Kraftsportler auf der Anlage.

Dann werden nach einem kurzen Aufwärmprogramm Tricks und Kniffe für spektakuläre Übungen wie einarmige Klimmzüge oder mehrfache Felgumschwünge gezeigt. „Calistehnics ist ein Mix zwischen Kraftsport und Turnen. Aber es gibt keine starren Vorgaben, man braucht keine teure Ausrüstung und muss auch keinen monatlichen Beitrag bezahlen“, beschreibt Merkel die Vorzüge des Trendsports.

Auch ohne die Übungsgruppen herrscht an den Fitnessgeräten regelmäßig Hochbetrieb. „Im Sommer ist hier den ganzen Tag über was los. Manchmal bilden sich vor den Geräten sogar Schlangen“, sagt Maximilian Still vom Stadtjugendausschuss Karlsruhe. Der Leiter des benachbarten Jugendtreffs freut sich über positive Synergie-Effekte.

Viele seiner Stammgäste treiben mittlerweile Sport an den Kletterstangen. Und mehrere Kinder und Jugendliche haben über Calisthenics den Weg ins „Blaue Haus“ gefunden.

Trend ist in Karlsruhe angekommen

Selbst wenn die Anlage im Hagsfelder Ortsteil Geroldsäcker noch als Vorzeigeprojekt gilt, ist der Trend mittlerweile im ganzen Stadtgebiet angekommen In Grötzingen und Oberreut gibt es kleinere Anlagen, größere stehen in der Oststadt und am Karlsruher Institut für Technologie.

In der Südstadt baut das Gartenbauamt den nächsten größeren Calisthenics-Park, im Jugendtreff in der Südweststadt steht das Projekt „Pump and Cook“ - erst trainieren, dann kochen - auf dem Programm, und das Kinder- und Jugendhaus „Westside Paradise“ hat ebenfalls Bedarf an einem Kletterparcours angemeldet.

Auch bei den Vereinen ist der Eigengewicht-Sport Thema: Auf der PSV-Anlage am Oberwald gibt es mehrere Klettergeräte. Und der SSC Karlsruhe möchte seine Außenanlagen im Traugott-Bender-Sportpark mit einer öffentlich zugänglichen Calisthenics-Anlage aufwerten.

Sportbürgermeister Lenz sieht Bedarf für zehn Calisthenics-Anlagen

Unterstützung erhalten Vereine und Jugendhäuser von der Stadtverwaltung. „Wenn es gut läuft, haben wir bis 2030 mindestens zehn große Anlagen im Stadtgebiet“, prognostiziert Sportbürgermeister Martin Lenz.

Mit den Trainingsanlagen könne der steigende Bedarf nach Sport im öffentlichen Raum gestillt werden. „Für die Kleinen werden überall Kinderspielplätze gebaut. Aber für Jugendliche und junge Erwachsene gibt es nicht überall genügend Angebote“, sagt Lenz.

In den vergangenen Jahren habe die Stadt mit dem Bau der Skateranlage im Otto-Dullenkopf-Park und von Bolzplätzen wie auf einem Supermarktdach in der Nordweststadt dieser Entwicklung Tribut gezollt. Nun soll diese Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden. Bei der Suche nach den besten Standorten soll die Jugendkonferenz eingebunden werden. „

Die jungen Leute wissen schließlich am besten, wo sie welchen Sport treiben wollen“, sagt Lenz. Vollkommen neu sei der Fitnesstrend allerdings nicht. Bereits in den 1980er-Jahren wurden in den Waldgebieten um Großstädte zahlreiche Trimm-dich-Pfade mit Fitnessstationen eingerichtet. „Nun holen wir die Trimm-dich-Bewegung in die Innenstadt“, so Lenz.

Bedarf muss mit Jugendlichen ermittelt werden

Zunächst einmal müsse der Bedarf für größere Anlagen ermittelt werden, tritt der stellvertretende Gartenbauamtsleiter Klaus Weindel auf die Euphoriebremse. „Bei einem Trendsport weiß man nie, wohin es geht. Vielleicht sind wenige zentrale Anlagen besser als mehrere dezentrale“, argumentiert Weindel.

Deshalb müsse man einen Schritt nach dem anderen machen. Bei einer Umfrage des Stadtjugendausschusses haben aber bereits über 160 Jugendliche Interesse an Calisthenics angemeldet.

Für Christian Merkel und seine Mitstreiter ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht. „Wenn neue Anlagen gebaut werden, zieht das auch neue Leute an“, lautet sein Argument. Das habe er bei seinen regelmäßigen Besuchen in Berlin erfahren.

Die Hauptstadt hat nach Merkels Einschätzung die größte und kreativste Calisthenics-Szene in Deutschland. Andere Länder wie Russland seien noch weiter. Dort sei das Eigengewichtstraining an Kletterstangen schon lange in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Idealer Sport für sozialpädagogische Brennpunktarbeit

Seine ersten Klimmzüge machte Merkel übrigens an einer Reckstange in seinem Jugendzimmer. Als er 15 Jahre alt war, baute ihm sein Vater im Garten eine kleine Kletter- und Kraftsportanlage.

„Das war bald ein beliebter Treff für die Jugendlichen aus dem ganzen Stadtteil“, erinnert sich der Hagsfelder. In den Jahren darauf war Merkel dann eine der treibenden Kräfte beim Bau der Hagsfelder Anlage, die im Mai 2018 eröffnet wurde.

Sein Hobby ist mittlerweile auch Merkels Mission. Neben seinem Brotberuf als Elektroniker absolviert er eine Ausbildung zum Fitnesstrainer. Außerdem ist Merkel bestens vernetzt. Bei regelmäßigen Besuchen in anderen Städten bringt er immer wieder neue Impulse mit nach Karlsruhe.

Nächste Woche fährt er nach Bremen. Dort ist Calisthenics mittlerweile ein wichtiger Eckpfeiler bei der sozialpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen aus Brennpunktvierteln. Auch für Christian Merkel ist Calisthenics weit mehr als ein Trendsport. „Das Wichtigste ist das Miteinander“, sagt er. „Und weil jeder mitmachen darf, ist es ein Sport für Leute aus sämtlichen sozialen Schichten.“

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