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Selbsthilfe-Angebot wächst

Wie eine doppelt getroffene Karlsruherin Leidensgefährten hilft und Mut macht

Die Diagnose Epilepsie macht Susanne Viehbacher schlagartig klar: „Damit komme ich nicht alleine zurecht.“ Sie gründet eine der ersten Selbsthilfegruppen in Karlsruhe. Seither hat sich viel verbessert – jetzt kommt der nächste Schritt.

Drei Frauen sprechen miteinander vor Info-Bannern von Selbsthilfegruppen.
Expertinnen für Selbsthilfe sind Silke Gassner-Kerscher, Susanne Viehbacher und Tanja Henkenhaf (von links). Foto: Kirsten Etzold

Flüchtig huscht die Erinnerung an den Zahnarzttermin durch den Kopf. An die örtliche Betäubung, die das Sprechen etwas nuschelig macht. Oder an ein Telefonat, bei dem der Angerufene hörbar noch schnell einen Bissen verdrückt.

Susanne Viehbacher hat eindeutig eine klarere Aussprache und ist gut zu verstehen. Trotzdem erklärt sie am Telefon oft kurz, dass ihr ein Stück Zunge fehlt: „Dann weiß mein Gegenüber Bescheid.“

Viehbacher spricht lieber persönlich mit Menschen, oder sie schreibt Mails. Ans Telefon geht sie aber auch. Denn als Vorsitzende zweier Selbsthilfegruppen ist ihre Unterstützung gefragt.

Selbsthilfegruppen füllen Lücken in und um Karlsruhe

Menschen mit Epilepsie wenden sich an die Karlsruherin. Zudem melden sich Menschen, die Hilfe, Rat oder Austausch suchen im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung an Kopf, Hals oder Mund.

Ich wusste, ich komme nicht allein damit zurecht.
Susanne Viehbacher
Gründerin zweier Selbsthilfegruppen

Das Angebot für Betroffene ist noch dünn, als die Bankkauffrau aus der Oststadt 1986 eine der frühen Selbsthilfegruppen in Karlsruhe gründet. „Ich habe damals vergeblich gesucht“, erzählt Susanne Viehbacher.

Bei ihrem ersten Klinikaufenthalt wegen Epilepsie erfährt sie von der Zimmernachbarin von dieser Unterstützungsform und erkennt sofort die Bedeutung. „Ich wusste, ich komme nicht allein damit zurecht“, erinnert sie sich. „Ich brauche Gleichgesinnte.“

Der zweite Schicksalsschlag trifft die 1962 geborene Frau 2016. Sie erkrankt an einem bösartigen Tumor im Bereich von Mundhöhle und Rachen, so wie laut Robert-Koch-Institut jedes Jahr mehr als 14.000 Menschen.

Die Diagnose ist ein gravierender Einschnitt, ebenso die Behandlung. Beim Sprechen, Essen, Trinken und Atmen eingeschränkt zu sein, hat körperliche und seelische Folgen. Die operative Entfernung des Tumors hat oft außerdem sichtbare Veränderungen.

Nach der Operation des Tumors im Mundraum nutzt Viehbacher ihre Erfahrungen. Sie gründet die Selbsthilfegruppe Karlsruhe des Vereins Kopf-Hals-M.U.N.D.-Krebs. M steht für Mitmachen, U für Unterstützung, N für Netzwerke, D für deutschlandweit. Seither ist sie Kontaktperson der Gruppe, inzwischen zusammen mit Holger Franke.

Knapp 170 Selbsthilfegruppen gibt es in Karlsruhe und im Umkreis

Aus den Anfängen in den 1980er Jahren ist in und um Karlsruhe ein großes Geflecht erwachsen. Dabei spielt das Selbsthilfebüro Karlsruhe bei den Paritätischen Sozialdiensten im Kanalweg 40/42 eine zentrale Rolle. 167 Selbsthilfegruppen in der Stadt und im Landkreis listet das Büro aktuell auf, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Zu rund 300 gesundheitlichen, sozialen und psychischen Themen gibt es so Ansprechpartner – angefangen bei A wie Abhängigkeit, Ängsten oder ADHS bis hin zu Trennung und Scheidung. Eine Studie habe die Wirksamkeit von Selbsthilfe belegt, betonen Tanja Henkenhaf und Silke Gassner-Kerscher vom Selbsthilfebüro Karlsruhe.

 Ich ermutige Menschen auch dazu, selbst aktiv zu werden.
Susanne Viehbacher
Karlsruherin im Haus der Selbsthilfe Bonn

Privat finanziert wie zu Beginn ist die Selbsthilfearbeit längst nicht mehr. Ein Antrag auf Förderung pro Jahr ist zu schreiben. Förderung gewährt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV), die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland, zum Beispiel für Referenten und Raummieten.

Die Karlsruher Selbsthilfe-Gründerin der ersten Generation engagiert sich inzwischen auch deutschlandweit im Vorstand des Hauses der Selbsthilfe in Bonn. Anrufe erreichen Susanne Viehbacher aus dem Schwarzwald, aus Offenburg und Freiburg, aus der Pfalz. „Wo es keine Gruppe gibt, probiere ich zu helfen“, sagt sie, „und ich ermutige Menschen auch dazu, selbst aktiv zu werden.“

Öffentlich stärker wahrgenommen zu werden, ist ganz weit vorn auf unserer Prioritätenliste.
Tanja Henkenhaf
Selbsthilfebüro Karlsruhe

„Öffentlich stärker wahrgenommen zu werden, ist ganz weit vorn auf unserer Prioritätenliste“, sagt Tanja Henkenhaf vom Selbsthilfebüro Karlsruhe. Zumal nicht nur Betroffene die Gruppen nutzen, sondern auch Partner, Angehörige und andere Interessierte.

Um den Kontakt so einfach wie möglich zu machen, geht das Selbsthilfebüro neue Wege. Eine Pop-up-Präsentation in einem Pavillon am Ludwigsplatz bietet den vielen Selbsthilfegruppen einerseits Raum, sich mitten in der Stadt zu zeigen.

Den Adressaten macht das neue Konzept die direkte Begegnung mit Ansprechpartnern leicht, die aus eigener Erfahrung sprechen, Mitgefühl, Unterstützung und durchaus auch konkrete Hilfe zu bieten haben.

Den Anfang 2024 machen am Freitag, 22. März, von 11 bis 15 Uhr gemeinsam die Selbsthilfegruppe M.U.N.D. mit Susanne Viehbacher und der Diabetiker Treff Karlsruhe.

Kontakt

Das Selbsthilfebüro Karlsruhe im Kanalweg 40/42 hat die Festnetznummer (07 21) 9 12 30 25. Sprechzeiten sind Dienstag 14 bis 18 Uhr, Mittwoch 8 bis 12 Uhr und Donnerstag 12 bis 16 Uhr. Der Internetauftritt www.selbsthilfe-ka.de ist im Dezember 2023 unter anderem für seine Gestaltung und Funktionen mit dem German Design Award ausgezeichnet worden.

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