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Uraufführung von „Narrenschiff“

Neues Stück in der Orgelfabrik Durlach: Der Irrsinn kommt wie nebenbei

Das „Narrenschiff“, das neue Stück des Autorenduos Gabriele Michel und Franco Rosa, ist von Edgar Allan Poe inspiriert und eine famose, spannende Sache, findet der Rezensent Jens Wehn.

Zu sehen sind (von links nach rechts) Oliver Fobe, Oliver Grimm, Ulrike Schmitt, Kumar Ramayya, Rainer Haring.
„Ein trauriger Tag“: Auf dem Narrenschiff unterwegs sind (von links nach rechts) Oliver Fobe, Oliver Grimm, Ulrike Schmitt, Kumar Ramayya und Rainer Haring. Foto: Monika Biehmelt

Ein Paar hat im Nirgendwo eine Autopanne. In der Nähe befindet sich ein altes Schloss. Dort möchte das Paar nach dem Pannendienst telefonieren. Im Schloss aber warten seltsame Menschen und Begebenheiten.

Es geht nicht um die Rocky Horror Picture Show. Was so verführerisch ähnlich beginnt, ist das „Narrenschiff“, das neue Stück des Theaters in der Orgelfabrik, das jetzt seine bejubelte Uraufführung hatte.

Von Edgar Allan Poe hat das Autorenduo Gabriele Michel und Franco Rosa die Anregung, nicht zum ersten Mal. Durch den amerikanischen Schriftsteller haben sich beide schon zu einigen sehr erfolgreichen Stücken inspirieren lassen, darunter „Das Haus in der Rue Morgue“, das sie 2016 auf die Bühne brachten. Diesmal beflügelt Edgar Allan Poes „The System of Doctor Tarr and Professor Fether“ die Fantasie der beiden, die wie immer auch als Schauspieler mitwirken.

Auch diesmal ist aus der literarischen Anregung ein eigenständiges Stück geworden. Nicht das Imitieren, sondern das Weiterspinnen, Haken schlagen und Um- und Neudeuten ist die Stärke von Gabriele Michel und Franco Rosa. Herausgekommen ist dabei eine famose Theaterarbeit. Komisch, aber nicht aufdringlich. Unheimlich, aber nicht voyeuristisch. Und über die Maßen spannend.

„Narrenschiff“ in Karlsruhe-Durlach: Eine Führung durch die Irrenanstalt

Das Paar mit der Autopanne besteht aus Hermine (Michel) und Anibal (Rosa) – Halbgeschwistern, worauf Hermine großen Wert legt. Sie kommen zwar ins Schloss hinein, aber nicht mehr hinaus. Auch Telefonieren klappt nicht, die Leitung ist gekappt. Getrennt bekommt jeder für sich eine Führung durch das Schloss, das sich „Chateau de Santé“ nennt und eine Irrenanstalt ist.

Vier Ärzte gibt es, die Doctores Buckel (Oliver Grimm), Herz (Rainer Haring), Shastri (Kumar Ramayya), und Maillard (Winfried Spiegel), letzterer ist der Leiter der Klinik, dazu seine Nichte Ella (Ulrike Schmitt) sowie Pfleger Harry (Oliver Fobe) und Schwester Erika (Véronique Weber). Eigentlich ist soweit alles normal. Gut, ein paar Schrullen im Verhalten haben sie – und auch die Kunst, einen nicht mehr loszulassen, ist man erstmal bei ihnen, beherrschen sie. So gut, dass Anibal ganz gerne bleiben würde. Das Essen ist jedenfalls vorzüglich und die Küche wird immer wieder gepriesen.

Das Unheimliche schleicht sich ein

Aber etwas scheint doch zu fehlen. Wo sind eigentlich die Patienten? Was macht so scharrende Geräusche? Und sind es wirklich nur Ratten und Katzen, die vor Ratten angeblich Angst haben, wie die Weißkittel gerne beschwichtigen?

Das Unheimliche kommt hier auf leisen Sohlen. Es schleicht sich an und darf vom Publikum geahnt werden. Als Regisseur spannt Franco Rosa mit seiner Kunst der Andeutung die Zuschauer auf die Folter. Der Irrsinn kommt in kleinen Dosen, man gewöhnt sich an ihn – bis er brachial wird. Die Monologe, mit denen jede Figur ihr individuelles Verrücktsein vorstellt, sind treffliche schauspielerische Leistungen.

Das Ensemble schlägt den Bogen von der Norm zum Wahn und vom Wahn zum Irrsinn als neuer Normalität: „Ein trauriger Tag. Frieden und keine Aussicht auf Krieg.“ Der Satz fällt bei einem Festmahl und streift die aktuelle Politik. Zuvor ist man gemeinsam zum Mond gereist. Wie man das macht? Es lohnt sich, hinzugehen und mitzufahren auf dem Narrenschiff.

Service

Die nächsten Vorstellungen sind am 18., 19. und 20. August jeweils um 20 Uhr in der Orgelfabrik in Durlach, Amthausstraße 19. Weitere Termine unter www.theaterinderorgelfabrik.de im Internet.

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