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Critical Mass

300 Radfahrer erobern aus Protest den Karlsruher Autotunnel

Von Ost nach West: 300 Radfahrer haben während einer Demo von Critical Mass kurzzeitig den Karlsruher Autotunnel erobert. Worum geht es ihnen?

Eroberung: Radfahrer verlassen den Autotunnel unter der Kriegsstraße bei der Ausfahrt am Karlstor nach gut zehn Minuten unterirdischer Fahrt.
Eroberung: Radfahrer verlassen den Autotunnel unter der Kriegsstraße bei der Ausfahrt am Karlstor nach gut zehn Minuten unterirdischer Fahrt. Foto: Peter Sandbiller

Die Fahrradklingeln klingen schriller als gewohnt. Das Echo von den Betonwänden der Tunnelröhre verzerrt Megafondurchsagen der Polizei. Links Platz lassen, dazu werden die Menschen gelegentlich aufgefordert: In der nach Westen führenden Röhre des neuen Autotunnels unter der Kriegsstraße sind immerhin mehrere hundert Radfahrer unterwegs. Da sind ordnende und zu dem Zweck links überholende Begleiter kein Luxus.

In den 13 Minuten zwischen 18.58 und 19.11 Uhr passieren im ausklingenden Berufsverkehr mindestens 300 Radfahrer den kompletten Tunnel. Polizeimotorräder lassen ihre Blaulichter flackern. Sie haben den Radlerkonvoi schon oberirdisch durch den Stadtverkehr gelotst. Die Protestbewegung Critical Mass ist – wie immer am letzten Freitag des Monats – um 18 Uhr auf dem Kronenplatz gestartet, auf eine insgesamt zwölf Kilometer lange Route.

Passage des Karlsruher Autotunnels ist eine Attraktion

Die Hauptattraktion ist der Tunnel. Doch auch der warme und trockene Abend begünstigt das Interesse. Mit einem kleinen und einem größeren Sohn ist Daniel Möwes dabei. Der Fahrer eines imponierenden Cruisermodells ist sehr einverstanden mit dem neuen Autotunnel: „Das ist ein wichtiger Bestandteil des städtebaulichen Verkehrskonzepts.“

Der zwölfjährige Sohn Clemens fährt viel per Rad an der Kriegsstraße, seit sie umgestaltet ist. Die bevorstehende Fahrt durch den Tunnel findet er spannend. Er hat schon einmal eine ähnliche Chance genutzt: „Durch den U-Bahn-Tunnel zu fahren war auch toll.“

Hier gehört eigentlich oberirdisch eine Fahrradstraße hin.
Sven Geggus, Radfahrer und Critical-Mass-Teilnehmer

Ganz anders sieht Sven Geggus die Sache. „Hier gehört eigentlich oberirdisch eine Fahrradstraße hin“, moniert er. „Jetzt hat man zwei Autostraßen angelegt.“ Dabei wäre seiner Meinung nach genug Platz gewesen für eine Lösung nach niederländischem Vorbild: „Auf einer Seite die Spuren für Radfahrer in beide Richtungen, dann die Gleise und anschließend der Autoverkehr auch mit je einer Spur für jede Richtung.“

In grünen Jacken sind vier der rund 45 Karlsruher Greenpeace-Aktiven am Start. „Uns geht es um die Mobilitätswende“, erklärt Janine Vetter. Zusammen mit Familien und Rennradfahrern, futuristisch verkleideten Liegerädern und einem Tandem fahren sie diesmal zunächst nach Norden zum Adenauerring. Weiter geht es von dort durch die Oststadt zum unechten Kreisel beim Schloss Gottesaue.

Critical Mass: Radfahrer fahren mit Schwung in die Tunnelröhre

Kurz darauf erreicht der Radlerkonvoi auf der Ludwig-Erhard-Allee sein eigentliches Ziel: Auf Höhe des Alten Friedhofs tauchen die Radfahrer ab in die unterirdische Autopassage. Der Tunnel ist seit dem 19. Oktober für den Verkehr freigegeben und seither Kraftfahrzeugen vorbehalten.

Viele juchzen bei der Einfahrt in den Tunnel. Die linke Spur der Ludwig-Erhard-Allee hat so viel Gefälle, dass den Radfahrern ordentlich Fahrtwind ins Gesicht bläst.

28.10.2022: Dank Polizeieskorte haben die Radfahrer bei der Critical-Mass-Ausfahrt im neuen Autotunnel unter der Kriegsstraße freie Fahrt.
Kein Limit: Dank Polizeieskorte haben die Radfahrer bei der Critical-Mass-Ausfahrt im neuen Autotunnel unter der Kriegsstraße freie Fahrt. Foto: Kirsten Etzold

Viel leiser wird es nicht bis zum Wiederauftauchen direkt vor der Fuß- und Radquerung an der Kreuzung der Kriegsstraße mit der Hirschstraße. Bei der Tunneleinfahrt werden Autofahrer nur kurz aufgehalten. Enger geht es an der Tunnelausfahrt zu. Dort stehen Autofahrer oberirdisch kurzzeitig im Stau.

Leichter Abgasgeruch hängt in der Luft

Es riecht nicht frisch, sondern leicht nach Abgasen in der Tunnelröhre. Weil sie hell ausgeleuchtet ist, fällt es nicht schwer, trotz der vielen Mitradler Kurs zu halten. Die Tempo-50-Schilder strahlen, einige fröhliche Gesichter auch.

Das Ordnungsamt der Stadt Karlsruhe hatte zu bedenken gegeben, dass die Versammlungsteilnehmer im Tunnel durch Feinstaub belastet werden könnten. Die Versammlungsleiterin von Critical Mass hatte die Einwände der Stadt als „vorgeschoben“ bezeichnet. In Stuttgart fahre die Critical Mass schließlich regelmäßig ohne Probleme durch den Tunnel.

Den Teilnehmern hatten die Organisatoren wegen des Feinstaubs und wegen der Corona-Zahlen empfohlen, eine Maske zu tragen. Bei der Tunnelfahrt sind aber nur ganz vereinzelt Maskenträger in der Menge zu entdecken.

Vorfahrt: Hinter der Radfahrern staut sich der Autoverkehr.
Vorfahrt: Hinter der Radfahrern staut sich der Autoverkehr. Foto: Kirsten Etzold

Die Organisatoren der Ausfahrt sehen den Karoline-Luise-Tunnel unter der Kriegsstraße als Teil der Kombilösung kritisch. Der Protest der nur lose organisierten, verkehrspolitisch engagierten Radfahrer richtet sich dagegen, dass Radfahrer durch den neuen Tunnel keinen nennenswerten Vorteil hätten.

Sie monieren, der Tunnelbau sei eine „einseitige Verwendung öffentlicher Mittel zur Beschleunigung des Autoverkehrs in der Kriegsstraße“.

Erste Demonstration im Tunnel läuft nach Angaben der Polizei flüssig

Die erste Demonstration im Tunnel verläuft nach Angaben des Polizeipräsidiums Karlsruhe so flüssig, wie es die Beamten erwartet hatten.

Passieren die Radfahrer Kreuzungen, werden sie teils kurz für andere Verkehrsteilnehmer gesperrt. Im Tunnel müssen einzelne Autofahrer in der unterirdischen Ausfahrt des Parkhauses warten.

Auch oberirdisch staut sich der Autoverkehr kurzzeitig wegen der Fahrt von Critical Mass durch den Karlsruher Autotunnel.
Auch oberirdisch staut sich der Autoverkehr kurzzeitig wegen der Fahrt von Critical Mass durch den Karlsruher Autotunnel. Foto: Kirsten Etzold

Außerdem steht es Autofahrern frei, von der Ludwig-Erhard-Allee aus in den Tunnel zu fahren – anschließend sind sie allerdings ausgebremst.

So kommt es, dass hinter dem Fahrradkonvoi und dem Polizeifahrzeug am Schluss einige Autos herzuckeln, bis sich die Wege nach der Hirschstraße wieder trennen.

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