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So funktioniert die Methode

Mehr Corona-Fälle nach großen Festen? Das sagt das Karlsruher Abwasserorakel

Mit einem Abwasserorakel beobachtet Karlsruhe seit Sommer 2020 die Corona-Lage. Nun gibt es Erkenntnisse, wie sich „Das Fest“ auf das Geschehen ausgewirkt hat.

 Klaerwerk Neureut
Im Fokus: Im Klärwerk Neureut fließt das Abwasser aus Karlsruhe sowie von einigen Umlandgemeinden zusammen. Zweimal pro Woche werden Proben für das Corona-Abwasserorakel genommen. Foto: Jörg Donecker

Anders als von einigen befürchtet, scheinen die Corona-Zahlen in Karlsruhe nach „Das Fest“ nicht durch die Decke zu schießen. „Wir beobachten seit wenigen Tagen einen leichten Anstieg, aber nichts Dramatisches“, sagt Andreas Tiehm vom Technologiezentrum Wasser (TZW).

Er und seine Kollegen analysieren im Hagsfelder Labor das Karlsruher Abwasser. Eine Methode, die nach Überzeugung vieler Experten eine bessere Lageeinschätzung erlaubt als der Blick auf die klassische Inzidenz, in die positive PCR-Tests, aber keine Selbsttests und schon gar keine von den Betroffenen nicht bemerkte Infektionen einfließen.

Die offiziell vom Land gemeldete 7-Tage-Inzidenz sinkt in Karlsruhe seit Wochen: Von 858,5 am 15. Juli über 721,1 am 28. Juli auf 629,3 am 2. August. Dies entspricht dem landes- und bundesweiten Trend. „Wir gehen aber weiter von einer Dunkelziffer mit einem Faktor zwei bis drei aus“, so Tiehm. Die Werte seien insgesamt so hoch, dass naturgemäß selbst Großveranstaltungen nicht sehr stark ins Gewicht fielen. Und bei dem nun festgestellten leichten Anstieg sei es noch zu früh, von einem Trend zu sprechen.

Andreas Tiehm
Die Analyse läuft: Seit Sommer 2020 wird in Karlsruhe das Abwasser analysiert. Auf dieser Basis schätzen Andreas Tiehm und seine Kollegen die Corona-Lage ein. Foto: TZW: DVGW-Technologiezentrum Wasser

„Wir müssen das abwarten.“ Zuletzt hatt auch das Landratsamt darauf hingewiesen, dass sich bei den Infektionszahlen schwer kausale Zusammenhänge mit einzelnen Events herstellen lassen. Grund ist, dass es aktuell viele Möglichkeiten der Begegnung gibt, angefangen beim Durlacher Altstadtfest über Peter-und-Paul in Bretten bis eben hin zum „Fest“, bei dem weit über 90 Prozent der Karten an Käufer in der unmittelbaren Region gingen.

Lauterbach will in Karlsruhe praktizierte Methode nutzen

Die auch Abwasserorakel genannte Abwasseranalyse rückt derweil auch bundesweit mehr in den Fokus. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will diese Werte ebenso wie die Inzidenz und die Zahl der Krankenhauseinweisungen in Zusammenhang mit Covid verstärkt beobachten lassen. „Wir können uns da ein wenig auf die Schulter klopfen“, meint Tiehm. Seines Wissens habe Karlsruhe dieses Verfahren als erstes gestartet – unterstützt von der Stadt sowie verbunden mit einem Forschungsprojekt des Bundesforschungsministeriums. Die Analyse für Corona läuft seit Sommer 2020.

Ein paar hundert Milliliter reichen.
Andreas Tiehm, Biologe

Ausgewertet wird dabei das Abwasser im Klärwerk Neureut, das aus der Stadt selbst sowie aus einigen Umlandgemeinden stammt. „Zweimal pro Woche werden Proben genommen“, erklärt Tiehm. Es handle sich um Mischwasser von 24 Stunden. „Wir brauchen nicht literweise Wasser, ein paar hundert Milliliter reichen“, so der Mikrobiologe. Das Sammeln der Probe sei nicht schwierig, das finde in Klärwerken ohnehin statt. Bei 20 Anlagen werden nach Angaben von Tiehm nun bundesweit die Voraussetzungen zur nachfolgenden Analyse eingerichtet, finanziell unterstützt von der Europäischen Union.

Die eigentliche Herausforderung steht nämlich bei der Auswertung an. „Da ist natürlich viel Schmutz im Wasser“, versichert Tiehm. Er und seine Kollegen suchen dann nicht nach dem Coronavirus an sich, „man kann sich auch am Abwasser nicht anstecken“. Vielmehr gehe es um Bruchstücke, um Erbmaterial, sogenannte Nukleinsäure.

Verfahren des Orakels nicht auf Corona beschränkt

Dieses Verfahren wiederum sei nicht auf Corona beschränkt. „Man kann das auf andere Viren oder Bakterien ausweiten“, ist Tiehm sicher. Man müsse sich im Einzelfall ansehen, ob Erbmaterial vom Körper ausgeschieden werde und zur Kläranlage gelange. Bei Affenpocken beispielsweise sei eine Abwasseranalyse denkbar, jedoch nur, wenn es auch wirklich eine messbare Zahl an Fällen gäbe.

Die Hagsfelder Experten stehen eigenen Angaben zufolge inzwischen im bundesweiten Austausch mit anderen Wissenschaftlern. „Auch in Albanien steht eine Schulung an, dort geht es ebenfalls um Corona“, erzählt Tiehm. Als Teil des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) ist das TZW gemeinnützig und unabhängig.

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