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Fütterungskreislauf

Karlsruher Zoo: Eisbär, Luchs und Erdmännchen fressen auch Gämsen aus dem Tierpark Oberwald

Was fressen eigentlich Zootiere? Mitunter andere Zootiere. Dass Gämsen, Antilopen oder Ziegen zur Fütterung getötet werden, dient mehreren Zwecken. Auch die Arterhaltung gehört dazu.

Ein Luchs aus dem Zoo frisst eine Gämse aus dem Tierpark Oberwald.
Eine Gämse für den Luchs: Im Gehege wird das Fleisch aufgehängt, auch, um die Tiere beim Fressen zu beschäftigen. Dass der Luchs das tote Tier mit „Haut und Haaren“ bekommt, entspricht seinem natürlichen Verhalten. Foto: Timo Deible/Zoo Karlsruhe

Die Sonne scheint durch die Bäume, wirft kleine Lichtpunkte auf den Boden. Vögel singen, die Gämsen grasen.

Bevor an diesem Morgen die ersten Schulklassen einfallen, liegt eine friedliche Ruhe über dem Tierpark im Karlsruher Oberwald.

Am Rande des Geheges stehen Marco Roller und Lukas Reese mit Blasrohren in der Hand. Sie bewegen sich kaum, justieren nur die Rohre immer wieder nach. Darin stecken Narkosepfeile. Der Tod kommt leise.

Erst Betäuben, dann Bolzenschuss

Drei männliche Gämsen werden die beiden Karlsruher Zootierärzte an diesem Morgen damit betäuben. Nach der Betäubung erfolgt ein Bolzenschuss, bevor die Tiere in den bereitgestellten weißen Plastikwannen ausbluten.

Besseres und einwandfreieres Fleisch können wir nicht bekommen.
Lukas Reese, Zootierarzt

Was manchem im ersten Moment vielleicht makaber vorkommt ist der ganz natürliche Fütterungskreislauf im Zoo: Eigene Tiere werden getötet und anschließend an die Raubtiere verfüttert. „Besseres und einwandfreieres Fleisch können wir nicht bekommen“, stellt Tierarzt Lukas Reese klar.

Tierarzt Marco Roller mit Blasrohr im Gehege der Gämsen im Tierpark Oberwald.
Hier ist Geduld gefragt: Zootierarzt Marco Roller zielt mit einem Blasrohr auf die Gämse. Nachdem das Tier betäubt wurde, erfolgt der Bolzenschuss, anschließend butet das Tier aus. Foto: Jörg Donecker

Die Alternative sei Fleisch aus konventioneller Haltung von Tieren, die unter fragwürdigen Bedingungen gehalten würden. „Unsere Tiere hier hatten ein gutes Leben“, sagt der Veterinär. Kein Schlachthaus, keine Tiertransporte.

Karlsruher Zoo: Rund ein Drittel des Fleischs stammt von eigenen Tieren

Rund ein Drittel des im Zoos verfütterten Fleischs stammt laut Tierarzt Marco Roller aus dem eigenen Bestand. Neben Gämsen wandert auch das Fleisch von Hirschziegenantilopen, Ziegen oder Schafen am Ende in das Gehege von Eisbär, Erdmännchen oder Luchs. Die Tiere werden komplett verfüttert, mit Haut und Haaren und Innereien.

„Das hat auch einen ernährungsphysiologischen Vorteil“, erklärt Roller. Der ganze Tierkörper enthalte wichtige Mineralstoffe für die Tiere. Bei zugekauftem Fleisch bekomme man „nur Fleisch und Knochen“ – und müsse entsprechend Stoffe zuführen.

Anders als in einem Schlachtbetrieb, haben die Mitarbeiter des Zoos hier vor allem eins: Zeit. Bei einem Massenbetrieb könne keiner sagen, wie sehr die Tiere letztlich leiden, ob eine Betäubung auch wirklich wirksam ist, bevor das Tier getötet wird. Marco Roller und Lukas Reese können sich für diesen Vorgang Zeit nehmen, bis die drei Tiere in den weißen Plastikwannen letztlich in den Transporter verfrachtet werden.

Eine Tötung macht nie Spaß.
Marco Roller, Zootierarzt

Zur Hand geht ihnen an diesem Morgen Tierpflegerin Yvonne Bierer, die im Tierpark Oberwald unter anderem für die Gämsen zuständig ist. „Es gibt schönere Sachen“, räumt die Tierpflegerin ein. „Aber es gehört eben zum Job dazu.“

„Eine Tötung macht nie Spaß“, sagt auch Tierarzt Marco Roller. Er bemüht sich aber, das große Ganze zu sehen, den Zweck, den das Tier erfüllt. So bekomme man durch die Tötung nicht nur Futter für die eigenen Raubtiere, man trage auch einen Teil zum Artenschutz bei.

Da die Gruppe der Gämsen im Oberwald nicht beliebig wachsen könne, müssten junge männliche Gamsböcke die Gruppe immer wieder verlassen. Während manche getötet und verfüttert werden, ziehen andere in andere Zoos oder Tierparks um, wieder andere werden ausgewildert. Gerade mit der Auswilderung trage man einen Teil zur Erhaltung der Art bei.

Tiere können wie in der Natur gehalten werden

„Durch dieses Vorgehen können die Tiere hier wie in der Natur gehalten werden“, verdeutlicht Zoosprecher Timo Deible. So sei etwa die Jungtieraufzucht kein Problem, wenn ältere Tiere die Gruppe immer wieder verließen.

Die Aufzucht der Gämsen funktioniere im Tierpark Oberwald übrigens so gut wie in keinem anderen europäischen Zoo, sagt Marco Roller.

Ein Magen-Darm-Trakt geht an die Forschung

Die Tierärzte sind mit den weißen Wannen im Zoo angekommen. Roller und Reese hängen die toten Tiere mit Haken an die Decke, zerteilen sie routiniert. Beine, Korpus und Kopf wandern zurück in die Wannen. Davor erfolgt die Fleischbeschau.

„Wir gucken uns die Organe an um sicherzugehen, dass das Fleisch auch bedenkenlos verfüttert werden kann“, sagt Lukas Reese. Den Magen-Darm-Trakt eines Tieres werden die Veterinäre für eine Anatomie-Studie außerdem an die Universität in Zürich schicken.

Forschungs- und Bildungsauftrag

Neben der Arterhaltung habe man auch einen Forschungsauftrag, finden die Karlsruher Zootierärzte. Zudem sehen sie auch einen Bildungsauftrag: Sie wollen Zoobesucher über den Fütterungskreislauf aufklären. „So etwas muss man der Bevölkerung zumuten können“, findet Roller. Mit der Aufklärung wolle man auch einer gewissen Entfremdung von der Natur entgegenwirken.

Die Arbeit ist erledigt. Zwei Tierpflegerinnen kommen und fahren die weißen Wannen weg. Vorher besprechen sie mit den Tierärzten, was genau an welches Tier verfüttert wird. Am Ende bekommen Luchse und Schneeleoparden die Beine, ein Korpus geht ins Erdmännchen-Gehege. Die anderen Korpen sind für die Eisbären Lloyd und Charlotte bestimmt. Für Lloyd gibt es einen mit Innereien, „der braucht ein bisschen mehr“.

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