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Unesco-Erbe im Bodensee

Karlsruher Experten inszenieren Blüte der Buchkunst auf der Reichenau

Für die Große Landesausstellung „1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“ ertüchtigt das Badische Landesmuseums das kleine Museum in Mittelzell. Geschickt nutzen die Karlsruher die Magie des Ortes.

Ein Mann auf einer Leiter beklebt eine hohe Wand mit einer schwarzen Folie, die mit mittelalterlichen Schriftzeichen bedruckt ist
Endspurt: Karlsruher Expertenwissen verwandelt das Museum in Mittelzell für die Große Landesausstellung „1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“. Foto: Kirsten Etzold

Die hölzerne Schatzkiste für kostbare Bücher steht, als staubdicht verpackter Nachbau, hinter einer aufgeklappten Bockleiter. Die halb beschriftete Pergamentseite, das Schreibpult aus altem Holz, die goldglänzende Szene mittelalterlichen Glockengeläuts – alles wartet auf den großen Auftritt an einem Ort, der, so klein er ist, seinesgleichen sucht.

Im Herzen der Insel Reichenau im Bodensee, im Museum in Mittelzell, lassen Karlsruher Experten frühmittelalterliche Buchkunst exakt dort lebendig werden, wo sie seinerzeit entstand.

Bis Mitte der Woche muss alles sitzen und blitzen. Am Samstag, 20. April, startet die Große Landesausstellung „Welterbe des Mittelalters – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“.

Karlsruher machen Schätze der Reichenau zum Erlebnis

Schmirgelpapier kratzt über samtschwarzen Lack, ein Akkubohrer surrt. Ein halbes Dutzend Fachleute kleidet den Schauraum komplett neu ein. Keine 300 Meter entfernt vom Münster St. Maria und Markus und den alten Klostergebäuden spielen die Ausstellungsmacher auf der Klaviatur sinnlicher Erfahrungen.

Sehen, Hören, Riechen und Ertasten: Der Schreibkunst als Ausdruck der Blütezeit des Klosters Reichenau kommen die Besucher dadurch ganz nah.

Und das, obwohl die Originale zwar erstmals seit ihrer Entstehung wieder am Bodensee zusammengeführt werden, aber nicht auf der Insel, sondern rund zehn Kilometer entfernt in Konstanz gezeigt werden.

Doch natürlich dreht sich auch im Museum in Mittelzell alles um das unschätzbar wertvolle Unesco-Weltdokumentenerbe.

Nach einem Jahr Vorarbeit entfaltet sich jetzt die Magie

Als Faksimiles werden die herausragenden Zeugnisse ottonischer Buchmalerei geschickt in Szene gesetzt, unaufdringlich garniert mit Impulsen, die Neugier wecken und vertiefendes Wissen bieten.

„Wir machen den Besuchern hier ein Erlebnis möglich“, sagt Cristina Negele, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Badischen Landesmuseums. Sie und der Ausstellungskoordinator Lars Petersen arbeiten seit fast einem Jahr am Konzept. Beim Endspurt führt Negele Regie. Und unter ihrer Aufsicht entfaltet sich Magie.

Schnupperproben entführen in den Klostergarten

Da gibt es Bücher, die sich dank digitaler Tricks wie von Zauberhand zu Kunstwerken entwickeln. Einen Inselgrundriss, auf dem das Kloster vor den Augen der Besucher zu voller Pracht erblüht. Und Schnupperproben, die in den „Hortulus“ entführen, den frühmittelalterlichen Garten des Reichenauer Abtes Walahfrid Strabo.

Nach Strabos Gartenbuch ist auch der Klostergarten am Münster zur 1300-Jahr-Feier neu gestaltet.

Wir wollen den Zugang für alle möglichst erleichtern.
Cristina Negele
Badisches Landesmuseum

„Wir wollen den Zugang für alle möglichst erleichtern“, betont Cristina Negele. Dass der Eingang zum Museum nur fünf Fußminuten von der Reichenauer Abtei entfernt ist, fügt sich ideal ins Konzept. Denn wer vom Münster aus der Burgstraße aufwärts folgt bis zum Museum an der zentralen Pirminstraße, der bewegt sich mitten in der Klosteranlage.

Gegründet durch Pirmin im Jahr 724, bestand das Benediktiner-Kloster auf der Insel bis zur Säkularisation 1803, als die letzten Mönche die Reichenau verließen. Doch die weltliche Gemeinde übernahm die Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude des Klosters nahtlos und erhielt ihre Substanz.

Die Ausstellungsorte

Die Klosterinsel Reichenau und ihre historischen Klosterbauten sind Hauptexponat und Zentrum der Großen Landesausstellung. Die Kunstschätze mit vielen internationalen Leihgaben werden bis 20. Oktober im Archäologischen Landesmuseum Konstanz präsentiert, darunter auch Exponate aus Karlsruhe wie die Gründungsurkunde der Insel Reichenau aus dem Generallandesarchiv und kostbare Handschriften aus der Badischen Landesbibliothek.

Parallel läuft in Karlsruhe ein Sonderausstellungsprogramm: im Generallandesarchiv zu Kriminalfällen rund ums Kloster am Bodensee aus der Zeit des Spätmittelalters, in der Badischen Landesbibliothek für junge Künstler zu alten Büchern des Klosters und im Badischen Landesmuseum im Karlsruher Schloss mit Einblicken ins mittelalterliche Klosterleben.

Viele frühere Klostergebäude sind noch zugänglich

Noch immer sind die meisten ehemaligen Klostergebäude grundsätzlich zugänglich als Rathaus, Winzerkeller oder Restaurant, mit dem Start des Jubiläumsjahrs auch als Münsterladen. Die Gesamtanlage ist unverändert, auch wenn einige wenige Gebäude inzwischen in privater Hand oder Seniorenwohnanlage sind.

Seit 2001 leben wieder Benediktinermönche auf der Reichenau, seit 2004 ist ihre Kloster-Cella offiziell ein Ableger des Klosters Beuron. Die Klosterinsel ist seit dem Jahr 2000 Unesco-Welterbe, seit 2003 sind es auch die Hauptwerke der Reichenauer Handschriften.

Tipps für die Anreise

Die Insel Reichenau liegt rund zehn Kilometer von Konstanz entfernt und ist von Karlsruhe aus gut mit der Bahn, mit dem Schiff, dem Auto oder Fahrrad zu erreichen.

Die Schwarzwaldbahn fährt als Doppeldeckerzug ab Hauptbahnhof Karlsruhe teils stündlich Richtung Konstanz, wofür sie knapp vier Stunden braucht. Die Strecke verläuft ab Offenburg reizvoll durch Tunnel und auf kurviger Strecke über den Schwarzwald bei Triberg und St. Georgen, entlang der jungen Donau zu den Vulkankegeln des Hegau und von Singen am Hohentwiel aus an den Bodensee. Wer auf die Reichenau will, steigt in Allensbach aus. Eine Fähre bringt Passagiere, auch mit Fahrrad, von dort direkt nach Mittelzell. Andernfalls geht es mit dem Seehas-Zug weiter zum Bahnhof Reichenau und per Bus über den Damm. Der Fuß- und Radweg ist von der Fahrbahn getrennt.

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