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Eine Familie auf der Flucht

Enkelin des Demokraten besucht Pfinztaler Ludwig-Marum-Gymnasium

Die Erinnerungskultur an den von den Nazis ermordeten Karlsruher Rechtsanwalt und Sozialdemokraten wird am Ludwig-Marum-Gymnasium seit Jahrzehnten gepflegt. 

Enkelin Dominique Avery und Urenkel Alexander Marum
Marums Enkelin Dominique Avery und Urenkel Alexander Marum sprechen mit den Pfinztaler Schülern über Vergangenheit und Gegenwart. Foto: Susanne Dürr

Die Erinnerungskultur und die politische Auseinandersetzung zum Namensgeber der Schule wird am Ludwig-Marum-Gymnasium (LMG) in Pfinztal großgeschrieben. Dazu gehört die jährliche Preisverleihung an engagierte Personen oder Organisationen durch die Ludwig-Marum-Stiftung. Der Ludwig-Marum-Tag betrachtet das Wirken des von den Nazis ermordeten Demokraten und greift aktuelle Fragen zu Antisemitismus, Flucht, Vertreibung oder Zivilcourage auf. Auch der Kontaktpflege zu Marums Familienmitgliedern und deren Besuchen an der Schule wird ein hoher Stellenwert eingeräumt.

Welches Schicksal die Hinterblieben über Generationen hinweg erfahren, wenn das Familienoberhaupt auf schreckliche Weise aus der Mitte gerissen wird, konnten eine achte und neunte Klasse sowie die sowie Schüler des LMG–World-Ausschusses erfahren.

„Wenn ich hier mit euch spreche, fühle ich, dass mein Großvater gelebt hat“, sagte Dominique Avery. Die Enkelin von Ludwig Marum hat ihren Großvater nie kennengelernt. Eigens aus den USA war die 80-Jährige angereist, um sich den Fragen der Schüler zu stellen. An ihrer Seite der Urenkel Alexander Marum aus Stuttgart.

Deutschland als zweite Heimat

Die 45-minütige Schulstunde war viel zu kurz, bedauerte die Neuntklässlerin Stella Askani nach dem gehaltvollen Dialog. Den Geschichtsunterricht hatte Rebecca Winter genutzt, um den Schülern vorab Briefkontakt zu Dominique Avery herzustellen.

Ja, sie wisse Bescheid über Deutschland, ihre zweite Heimat, zu der sie eine große Zuneigung empfinde, erklärte die ehemalige Journalistin. Obwohl ihre Mutter mit ihr das Land verließ, als sie acht Jahre alt war, ist sie immer wieder zurückgekommen, hat Deutsch als Fremdsprache studiert und in einem Sprachkurs in Heidelberg vertieft. Sie sei stolz auf den Erfolg des 1984 erschienenen Buchs ihrer Mutter Elisabeth, „Briefe aus dem Konzentrationslager Kislau“. Der Briefverkehr aus der „Schutzhaft“ an die Ehefrau Johanna zeige die ungebrochene Haltung des Anwalts und Politikers ebenso wie die Liebe des Vaters zur Familie.

„Davor kannte keiner den von den Nazis ermordeten Reichstagsabgeordneten“, so Avery. Und dieses Buch war seinerzeit die Grundlage für das Bestreben von engagierten Pfinztaler Schülern, ihren Großvater durch die Namensgebung des Gymnasiums zu ehren. Die jährliche Verleihung des Ludwig-Marum-Preises halte ebenso die Erinnerung wach, wofür sie der Schule sehr dankbar sei.

Dass die Mörder ihres Großvaters inhaftiert wurden und ihnen bereits sehr früh – 1948 – der Prozess gemacht wurde, sei keine Selbstverständlichkeit gewesen in einer Zeit, als viele Verbrechen ungesühnt blieben, erklärte Avery zur Frage über die gerechte Strafe. Der Haupttäter habe nach erfolgreicher Darstellung tief empfundener Reue eine erhebliche Haftverkürzung erhalten, ergänzte Alexander Marum.

Die Ermordung Ludwig Marums zwang einen Familienverband zur Flucht. Seine Nachkommen leben heute in Deutschland, den USA und Israel. „Lange hatte ich gar keinen Kontakt zu meiner Familie“, schilderte die Enkelin die Zeit, als ein Teil der Verwandtschaft in Mexiko lebte. Zwar habe sie in späteren Jahren ihre Großmutter Johanna in Berlin besucht, die „komplizierte Frau“ sei allerdings schwer zugänglich gewesen.

Die Demokratie ist am Sterben.
Dominique Avery
Enkelin von Ludwig Marum

Zusammen mit der vor zwei Jahren verstorbenen Andrée Fischer-Marum hat Dominique Avery vor drei Jahren zuletzt das Gymnasium besucht. Beim zehntägigen Besuch der Amerikanerin steht auch ein Theaterbesuch an der Badischen Landesbühne in Bruchsal an. Dort wird das Stück „Der Mann des Rechts: Ludwig Marum“ gespielt. Der Theaterwissenschaftler Hajo Kurzenberger hat das Stück anhand historischer Dokumente erarbeitet. Auch in der Pfinztaler Schule ist eine Aufführung des Stücks am 12. April geplant. „Auch Familienmitglieder aus Israel wollten ursprünglich zum Theaterstück kommen“, sagte Alexander Marum.

Bis vor kurzem war im Schulgebäude die Wanderausstellung des Landesarchivs „Ein Leben für Recht und Republik: Ludwig Marum 1882 – 1934“ zu sehen. „Ich hatte beim Anblick der Fotos die Stimmen meiner Verwandten im Ohr“, so Marum zur Ausstellung. Zu den politischen Entwicklungen in Deutschland befragt, erklärte Avery mit Blick auf die AfD und Donald Trump, dem sie gute Chancen für einen Wahlgewinn einräumte: „Die Demokratie ist am Sterben.“

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