Wiesental, Kirrlach, Ubstadt-Weiher, Heilbronn, Guabiruba in Brasilien. Was diese Orte verbindet? Eine Kirchenglocke. Genauer eine Bronzeglocke, die in diesem Jahr 160 Jahre alt wird. Ihre Geschichte belegt: „Die Welt ist ein Dorf.“ Erst recht, seit mit Internet und sozialen Netzwerken Entfernungen keine wesentliche Rolle mehr spielen.
Doch zurück zum Anfang. Nicht ganz ins Jahr 1864, sondern zunächst ins Jahr 2021, als sich Bernd Petermann aus Kirrlach dauerhaft in Guabiruba niederließ. Die Wahl für diese Stadt im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina traf der 58-Jährige nicht zufällig.
Im Zuge seiner Ahnenforschung fand er eine Familie Petermann, „die 1860 nach Brasilien ausgewandert ist und zu den Gründerfamilien der Stadt Brusque gehört“, berichtet er. Die dortige Region wurde damals von badischen Einwanderern besiedelt. Er nahm Kontakt auf und lernte seine Cousine siebten Grades Rosita Petermann-Kohler kennen, die nach wie vor den badischen Dialekt pflegt.
Wie kam die Glocke von Waghäusel nach Brasilien?
Geschichtsinteressiert hat Bernd Petermann viel recherchiert und festgestellt, dass es in Guabiruba nicht nur eine „Weiemer Stroß“ gibt, sondern in der Kapelle Unserer Lieben Frau von Aparecida eine überaus bemerkenswerte Glocke hängt. Da er schon vor einigen Jahren Kontakt zum Heimatverein Ubstadt-Weiher hatte, informierte er sich auch in Brasilien in Facebook über dessen Aktivitäten.
Und las so auch über das Projekt zur Erforschung der Ubstadt-Weiherer Glocken mit dem Heilbronner Glockenexperten Norbert Jung. Nachdem er dessen Email-Adresse herausgefunden hatte, machten sie sich gemeinsam daran, mehr über den Hintergrund der Glocke in Guabiruba zu erfahren – der eine vor Ort in Brasilien, der andere mithilfe seines profunden Wissens und umfangreichen Archivs. Er ist einer von vielen, die den Geschichten von Kirchenglocken nachgehen.
Bernd Petermann erklomm mit einer Leiter den Kirchturm und fotografierte die Glocke. Sie trägt die Inschrift: „Karl Riedel goss mich in Wiesental für Theodor Reichert und Franz Karl Bohn aus Hambrücken 1864“.
Die Zahl der gegossenen Glocken ist begrenzt gewesen.Norbert Jung
Glockenforscher
Aus vielen Puzzleteilen zusammengefügt ergibt sich nun folgendes Bild: Die beiden Hambrücker haben als frühe Auswanderer die Glocke gesponsert. Hergestellt wurde sie von dem „aus Neckarelz stammenden und 1869 verstorbenen Gießer Carl Riedel“, dessen Gießerei von circa 1836 bis 1864 in Wiesental stand, weiß Norbert Jung.
Glocke wurde vor vor dem Krieg gerettet
Eine Seltenheit: „Die Zahl der gegossenen Glocken ist begrenzt gewesen“, so der Glockenforscher. Außerdem seien gerade solche jungen Glocken in den Weltkriegen beschlagnahmt und eingeschmolzen worden. Darüber hinaus habe Riedel, der seine Glocken mit einem typischen umlaufenden Blattfries versehen hat, nur einen lokal begrenzten Markt beliefert.
All das mache die brasilianische Riedel-Glocke zu einer wahren Rarität. Dass sie nun tatsächlich ihren 160. Geburtstag begehen kann, verdankt sie einer Verwandten von Bernd Petermann. Die Riedel-Glocke hing ursprünglich in der Hauptkirche der brasilianischen Gemeinde. Nach deren Renovierung sollte sie eingeschmolzen werden.
Weil aber die Kapelle Unsere Liebe Frau von Aparecida eine Glocke brauchte, wurde sie dort weiterverwendet. Diese Kapelle wurde 1977 auf einem Grundstück erbaut, das Catarina Kohler-Petermann, die Großmutter der Cousine siebten Grades von Bernd Petermann, gespendet hat. Und so kommt es, dass die Riedelglocke „bis heute im schwer zugänglichen Glockenturm badische Glockengießkunst dokumentiert“, so Forscher Jung.