Ein bis zwei Fälle pro Monat sind es. Dann steht eine Frau, die sexualisierte Gewalt oder eine Vergewaltigung erlebt hat, vor Ute Felten oder ihren Kollegen. Felten ist die ärztliche Direktorin der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Bruchsal.
So schön das Thema Geburtshilfe in ihrer Arbeit sein mag, so dramatisch kann es auf der anderen Seite des Spektrums sein. Felten und ihr Team können betroffenen Frauen helfen. Auch wenn die Tat nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. Dabei gibt es einiges zu beachten.
Täter sind meistens keine Fremden
Doch von vorne: „Zwölf bis 13 Prozent aller Frauen erfahren sexualisierte Gewalt“, zitiert Felten eine Statistik. Sie schätzt die Dunkelziffer weitaus höher.
Je nach Definition schwanken die Zahlen. Laut Bundessozialministerium und repräsentativen Befragungen erleben zwei von drei Frauen in ihrem Leben sexuelle Belästigung.
Je früher Sie hierher kommen, desto größer sind die Chancen, dass man noch Spuren findet.Ute Felten, Ärztliche Direktorin der Bruchsaler Frauenklinik
Jede siebte Frau werde demnach Opfer schwerer sexualisierter Gewalt, etwa einer Vergewaltigung. Als gesichert gilt, das kann Felten aus ihrer Arbeit berichten: „Der Täter ist meist nicht der böse Fremde.“
Es passiere im Bekanntenkreis, im engeren oder weiteren Umfeld, vom eigenen Partner. „Ganz oft geschieht es auch in fröhlicher, lockerer Runde“, sagt Felten.
Kriminalpolizei kann Spuren direkt im Bruchsaler Krankenhaus mitnehmen
Ein Grundsatz ihrer Arbeit ist ihr wichtig, sollte etwa eine Vergewaltigung später noch juristisch beweisbar sein: „Je früher Sie hierher kommen, desto größer sind die Chancen, dass man noch Spuren findet.“
Wobei man im Krankenhaus Bruchsal, darauf verweist Felten, Vergewaltigungen erst dann rechtssicher dokumentieren kann, wenn die Kriminalpolizei mitkommt. Sprich, wenn das Opfer zuvor Anzeige bei der Polizei erstattet hat.
„Wir können alle Untersuchungen vornehmen, wir schauen nach Verletzungen, aber wir können die gerichtsverwertbaren Spuren hier nicht sichern.“ Zumindest nicht prophylaktisch. Wenn die Kriminalpolizei aber die Spuren sofort mitnimmt, geht das auch im Bruchsaler Krankenhaus.
Heidelberger Gewaltambulanz ist rund um die Uhr erreichbar
Ist die Vergewaltigung noch nicht angezeigt, empfiehlt Felten die Gewaltambulanz in Heidelberg. Rund um die Uhr können Gewaltopfer dort ihre Verletzungen oder Spuren der Tat sichern lassen, auch wenn sie noch nicht bei der Polizei waren und die Tat noch nicht angezeigt haben.
Die Heidelberger Rechtsmediziner werben damit, dass ihre Einrichtung in Baden-Württemberg einzigartig ist. Sie wollen „ein niederschwelliges Angebot“ machen, und „einen Beitrag zur Erkennung von Gewalt und zur Aufklärung gewaltsamer Vorfälle liefern“.
Spuren einer Vergewaltigung müssen fürs Gericht lückenlos dokumentiert werden
Kommt eine Patientin mit der Kriminalpolizei in die Bruchsaler Klinik, können auch Felten und ihre Ärzte eine Vergewaltigung beziehungsweise ihre Spuren lückenlos dokumentieren. Dann geht es um Hämatome, um Verletzungen, um Abstriche, um Sperma, um fremde Schamhaare und generell um fremde DNA.
„Wir arbeiten ein ganz bestimmtes Protokoll ab“, erklärt Felten. Es dient dazu, dass die gesicherten Spuren auch vor Gericht eingesetzt werden können. „Alles muss wasserdicht sein“, sagt die Frauenärztin.
Bei ihrem Ärzteteam geht es auch um die Gesundheitsvorsorge. Um eine gynäkologische Untersuchung nach einer Vergewaltigung. Um den Schutz vor Infektionen oder um eine ungewollte Schwangerschaft. „Wir sagen den Frauen, was wir leisten können und was nicht.“
Opfer sind im Ausnahmezustand
Die Opfer sind oft in einem emotionalen Ausnahmezustand. „Jede reagiert unterschiedlich“. Die Tat anzeigen oder lieber nicht? Felten gibt dazu keine generellen Ratschläge. „Man muss immer schauen, wie weit die Kraft reicht. Wir schauen nicht weg.
Wir bieten unsere Hilfe an“, so das Prinzip der Klinik. Und, das räumt die Frauenärztin ein: „Es gibt auch vorgetäuschte Vergewaltigungen. Das gehört zur Wahrheit.“
Auch in ihrer Arbeit hat sie bei einer Untersuchung schon Zweifel bekommen. „Ich beneide die Menschen nicht, die das am Ende beurteilen müssen.“
Ärzte fühlen mit, halten aber professionelle Distanz
Für ihre Arbeit sind folgende Punkte wichtig: „Möglichst früh nach der Tat zum Arzt gehen.“ Wenn man schon drei Mal geduscht hat, finde man kaum noch Spuren. Und das Opfer müsse sich klar werden: Will es die Tat anzeigen oder nicht?
Die Ärzte haben Adressen parat, bei denen Opfer sich Hilfe holen können. Die Gewaltambulanz in Heidelberg sei eine gute erste Anlaufstelle. „Und dann muss ich auch fragen: Was kommt danach?“ Die medizinische Nachsorge ist das eine. Aber auch die psychologische. „Da wird oft eine heile Welt zerstört“, sagt die Klinikchefin.
Felten lassen die Fälle nicht kalt. „Natürlich bewegt einen das. Aber wir müssen auch eine professionelle Distanz wahren.“ Wer zu sehr involviert sei als Arzt, könne nicht mehr gut beraten.