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Tanz und Alter

Ballett mit 65: Warum Beate Feurer und Isabelle Heckner aus Baden-Baden ihr Hobby nicht aufgeben

Klassischer Tanz ist ein anstrengendes Ganzkörpertraining. Ist Ballett deshalb kein Sport für 60plus? In Baden-Baden stehen auch ältere Freizeittänzerinnen auf Spitzenschuhen.

Beate Feurer (vorne) und Isabell Heckner mit erhobenen Armen und einem Bein auf der Ballettstange
Ein Leben ohne Ballett – Beate Feurer (vorne) und Isabell Heckner können sich das nicht vorstellen. Sie trainieren mindestens einmal wöchentlich in der Ballettschule Baden-Baden. Foto: Andrea Fabry

Und los! Tendu, Tendu, Plié: 14 Füße schleifen nach vorne über den Fußboden, werden zurückgezogen, schnellen erneut vor und wieder zurück. Dann die Beugung der Knie. Die Frauen und Mädchen sind konzentriert, jede Bewegung führen sie akkurat aus. „Sehr gut“, sagt Stefan Hammel. Er steht am Rand des Ballettsaals und verfolgt aufmerksam die Beinarbeit der Tänzerinnen.

Eine ganz normale Ballettstunde. Und doch fällt etwas auf: Stefan Hammel, Leiter der Ballettschule Baden-Baden, unterrichtet an diesem Abend keineswegs nur Teenager und junge Frauen. In dem Raum in einem Hinterhaus unweit des Leopoldsplatzes trainieren unter seiner Anleitung auch ältere Semester.

Die Altersspanne in dieser Fortgeschrittenen-Klasse reicht von zwölf bis 65 Jahren. Mascha ist die Jüngste, Beate Feurer die Älteste in der Gruppe.

Eignet sich Ballett nur für junge Menschen?

Wer sich in Ballettschulen umsieht, trifft fast nur Kinder und Jugendliche an. Sie – mehrheitlich sind es Mädchen – haben in der Regel früh mit dem Tanzen begonnen. Es begleitet sie ein paar Jahre. Doch spätestens mit dem Ende der Schulzeit geben die meisten dieses Hobby auf.

Tänzerin bindet Bänder eines Spitzenschuhs.
Der Spitzentanz ist in Baden-Baden fester Bestandteil des Unterrichts. Auch für Ältere? Foto: Andrea Fabry

Nur wenige bewegen sich noch als Erwachsene zu klassischer Musik. Und je älter sie werden, desto abwegiger erscheint es ihnen, kerzengerade an der Ballettstange zu stehen und komplexe Schrittfolgen zu üben.

Aber warum ist das so? Ist der klassische Tanz kein Sport für 50plus und schon gar nicht für Seniorinnen und Senioren? Weil er ein anstrengendes Ganzkörper-Training ist?

Beate Feurer legt ihr rechtes Bein gestreckt auf die hohe Ballettstange, beugt ihren Oberkörper nach hinten und wieder vor, stellt sich links auf den Ballen und hebt beide Arme rund über den Kopf. Die Anstrengung ist ihr nicht anzusehen, und auch den beiden anderen Mittsechzigern nicht.

„Ballett gehört zu meinem Leben“, wird Beate Feurer nach dem Unterricht sagen. Und die ein Jahr jüngere Isabelle Heckner, die neben ihr an der Stange tanzt, wird ergänzen: „Ich brauche Ballett zum Atmen.“

Regelmäßiges Training ist das A und O

Die zwei Frauen kamen als kleine Mädchen erstmals in die Ballettschule, die 1950 von Ulla Baumheimer in Baden-Baden gegründet worden war. Abgesehen von kurzen Unterbrechungen – nie haben sie sich komplett vom klassischen Tanz verabschiedet.

Die ausgefeilte Technik überlassen wir eben den Jüngeren.
Isabelle Heckner
64-jährige Freizeittänzerin aus Baden-Baden

Isabelle Heckner nimmt auch heute noch mehrmals die Woche am Training teil. Und bei Beate Feurer, die viel Zeit in ihr zweites Hobby, den Standard- und Lateintanz, investiert und im knapp 40 Kilometer entfernten Rheinau-Freistett lebt, ist der Dienstagabend für Ballett reserviert.

„Natürlich sind wir nicht so beweglich wie früher“, sagt die 65-Jährige. Und der Körper nimmt nun jede verpasste Ballettstunde übel, weil er mehr als zuvor die Regelmäßigkeit braucht. Doch was soll’s! „Die ausgefeilte Technik überlassen wir eben den Jüngeren“, meint Isabelle Heckner. Auch abgespeckt sind die Übungen für die Haltung und den Gleichgewichtssinn gut

Primaballerina Maja Plissezkaja trat noch mit 71 Jahren auf

Dass niemand einen falschen Ehrgeiz entwickelt und die eigenen Grenzen respektiert – darauf achtet Stefan Hammel. Seit der 44-Jährige vor 13 Jahren die Schule in Baden-Baden übernahm, unterrichtet er auch Frauen, die über 50 sind.

Stefan Hammel weiß: Bis zu welchem Alter jemand in den Spagat gehen oder Pirouetten drehen kann, „ist von Person zu Person sehr unterschiedlich“. Es gibt sowohl Laien als auch Profis, die bereits mit 40 Jahren vom Balletttanz Abstand nehmen müssen. Anderen dagegen erlaubt ihr Körper, bis ins vorgerückte Alter leichtfüßig durch den Raum zu trippeln.

Wie lange jemand tanzen kann, ist von Person zu Person sehr unterschiedlich.
Stefan Hammel
Leiter der Ballettschule Baden-Baden

Die russische Primaballerina Maja Plissezkaja (1925–2015) etwa stand noch als Seniorin auf der Bühne. Ihre letzte Vorstellung gab die weltberühmte Tänzerin, als sie 71 Jahre alt war. Sie tanzte bis zuletzt in Spitzenschuhen.

Ballett mit Arthose?

„Der Spitzentanz kräftig die Fuß- und Wadenmuskulatur“, weiß Isabelle Heckner. „Und die Fußgelenke“, sagt Beate Feurer. Wie die meisten ihrer Mittänzerinnen ziehen sich die beiden Frauen nach etwa der Hälfte des Unterrichts die Spitzenschuhe an. Das zu unterlassen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Im Gegenteil: Die Fußarbeit beim Spitzentanz betrachten sie auch als Arthrose-Prophylaxe.

Ballettunterricht an der Stange. Die Tänzerinnen üben den Spitzentanz.
In Baden-Baden tanzen auch die Älteren in der Gruppe noch auf Spitze. Der Spitzentanz kräftigt Muskeln sowie Gelenke und hilft auch bei Arthrose. Foto: Andrea Fabry

Die Gruppe tanzt durch den Raum. Ob mit Spitzenschuhen oder Schläppchen – Konzentration ist gefragt. Stefan Hammel hat mit den Frauen und Mädchen die kleine Choreografie kurz wiederholt, nun sind sie auf sich alleine gestellt. Welcher Schritt folgt als nächster? In welche Position kommen die Arme?

Ballett hält Körper und Geist fit.
Beate Feurer
65-jährige Schülerin der Ballettschule Baden-Baden

„Ballett fordert das Gedächtnis“, sagt Isabelle Heckner. Komplizierte Bewegungsabläufe müssen sich gemerkt und schnell umgesetzt werden. „Klassischer Tanz ist daher ein Sport, der neben dem Körper auch den Geist fit hält“, betont Beate Feurer.

Und somit ein Hobby zum Altwerden? „Nur für diejenigen, die immer in Bewegung geblieben sind“, sagt Stefan Hammel. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass man schon als Kind Sprünge oder Drehungen geübt haben muss.

Zu den älteren Schülerinnen des Pädagogen zählen auch Frauen, die das Ballett erst spät als Erwachsene für sich entdeckt haben. Wichtig sei eine gewisse Kontinuität, die lebenslange Sportlichkeit also. „Ansonsten wird es schwierig.“

Jung und Alt tanzen zusammen

In kaum einer Ballettschule gibt es Kurse, die sich ausschließlich an 50plus richten. Warum auch? Hammels ältere Schülerinnen würden nur ungern ohne die Teenager und jungen Frauen trainieren. Sie empfinden es als belebend, gemeinsam mit ihnen zu tanzen. Und auch ihr Lehrer sagt: „Die Älteren motiviert das Tempo der Jüngeren, und die Jüngeren profitieren von der Erfahrung und Disziplin der Älteren.“

Erst wenn sich Beate Feurer oder Isabelle Heckner entscheiden, nicht mehr in die Ballettstunde, sondern zur Gymnastik zu kommen, werden sie nur mit Seniorinnen üben. Zu dieser Gruppe gehört heute eine 90-Jährige, die noch vor zehn Jahren bei einer Schulaufführung des Balletts „Der Nussknacker“ mitwirkte. „Aber irgendwann ist Schluss“, weiß Hammel.

Und hopp. Und hopp. Die Tänzerinnen springen zu Musik aus „Schwanensee“ von rechts nach links, von links nach rechts. Flott, dennoch elegant. Beate Feurer und Isabelle Hecker sagen: „Wir tanzen so lange, wie es geht.“

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