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Weniger Ware, mehr Nachfrage

„Für die Tafeln fällt deutlich weniger ab“: Warum Bühl trotzdem keinen Aufnahmestopp verhängt

Von den Supermärkten kommt weniger Ware – gleichzeitig nimmt die Nachfrage dramatisch zu. Die Vorsitzende der Bühler Tafel erklärt, warum noch kein Aufnahmestopp verhängt wurde.

Blick in die Tafel 2
Ein dauerhafter Betrieb der Tafel 2 wird nicht möglich sein. Der Besitzer stellt die Räume nur befristet zur Verfügung. Foto: Katrin König-Derki

Das Gros der Tafeln bundesweit hat im Zuge des Ukraine-Kriegs einen Aufnahmestopp für Neukunden verhängt. Nicht so die Bühler Tafel.

Wie es dem Team um Sandra Hüsges gelingt, der drastisch gestiegenen Nachfrage gerecht zu werden, schildert die Vorsitzende des Vereins „Bühler Tafel“ im Interview mit unserer Mitarbeiterin Katrin König-Derki.

Frau mit Brille
Sandra Hüsges. Foto: Katrin König-Derki

Die Überlastung deutscher Tafeln hat mit der Pandemie, spätestens aber mit dem Ukraine-Krieg einen neuen Höhepunkt erreicht. Wie stellt sich die Situation in der Region dar?
Hüsges

Wir wissen von den Tafeln in unmittelbarer Umgebung wie in Baden-Baden, Achern und Rastatt, dass ein Aufnahmestopp verhängt wurde. Dort folgt man dem ursprünglichen Grundsatz der Tafeln: Sie sollen überschüssige, aber noch verwertbare Lebensmittel sammeln und an Bedürftige abgeben.

Für die Vielzahl an Menschen in Not reicht das aber nicht mehr aus, zumal ausgerechnet zu Beginn dieses wirklich schwierigen Jahres auch noch die Supermärkte umstrukturiert haben: Sie planen besser und verkaufen selbst mehr Produkte etwa vom Vortrag zu Sonderpreisen. Für die Tafeln fällt so deutlich weniger ab.

Wie gelingt es der Tafel Bühl, den Betrieb dennoch ohne Aufnahmestopp weiter am Laufen zu halten?
Hüsges

Wir nutzen die aktuelle Kulanz der Tafel Deutschland und kaufen mit den Geldspenden, die uns von Bürgern, Firmen und Institutionen zur Verfügung gestellt werden, Lebensmittel hinzu. Das ist für uns einfacher, weil wir ein unabhängiger Verein sind.

Wir achten außerdem darauf, dass jeder Kunde nur eine begrenzte Menge gerade von knappen Lebensmitteln wie Obst, Gemüse und Milchprodukten einkauft. Immerhin haben wir durch die Pandemie und den Krieg etwa dreimal so viele Kunden wie vorher, Tendenz steigend.

Wir denken, dass in einer Zeit solch dynamischer Entwicklungen über allem das Ziel stehen sollte, Bedürftigen zu helfen. Nur über den Zukauf können wir auch mittelfristig den Bedarf einigermaßen decken. Wenn die Not, wie zu erwarten, angesichts der Inflation geradezu explodiert, gehen wir vermutlich unter – oder können nur noch einen Bruchteil der Kunden versorgen.

Wie erhalten Sie die Spendenbereitschaft auch viele Monate nach Kriegsausbruch?
Hüsges

Auf der einen Seite werden wir von der örtlichen Tageszeitungen ja bestens begleitet. Zusätzliche Klientel erreichen wir über die sozialen Medien, in denen wir über viele Aktionen, die weit über das Alltagsgeschäft einer Tafel hinausgehen, berichten – seien es Einzelschicksale von Flüchtlingen, Helferfeste oder Spendenübergaben. So bleibt das Thema im Bewusstsein der Menschen verankert.

Ich finde es trotzdem bemerkenswert, wie großzügig wir seit Monaten mit Sach- und Geldspenden bedacht werden, dafür sind wir sehr dankbar. Das beginnt mit Mädchen, die durch einen Blumenverkauf 50 Euro für uns zusammenbekommen, bis hin zu Hilfsprojekten an Schulen oder Großspenden von Unternehmen und Kirchen.

Wie bewältigen Sie das hohe Arbeitspensum personell?
Hüsges

Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich am Anschlag bin. Zwischen meinem Vollzeitjob bei Bosch und der Tafel bleibt momentan gar keine Freizeit mehr. Eine ganz große Stütze ist unsere Kassiererin Renate Anselm, die den riesigen finanziellen Aufwand erledigt. Und wenn mein Mann das Ganze nicht mittragen würde – er ist inzwischen Vorstandsmitglied –, wäre dieses Ehrenamt für mich nicht mehr zu stemmen. Sogar unseren Urlaub im August widmen wir der Tafel – nicht zuletzt, um die Mitarbeiter zu entlasten, denn die sind das Wertvollste, das wir haben. Sie engagieren sich enorm.

Wir bemühen uns um ein familiäres Miteinander, versorgen das Personal immer mal wieder mit Essen, gestalten Helferfeste. Ein Glücksfall ist, dass eine Ukrainerin zu Beginn des Kriegs anbot, uns zu helfen. Ihrem Beispiel sind viele Flüchtlinge gefolgt, wir haben jetzt 15 Helfer aus ihren Reihen. Auch in der Hinsicht unterscheiden wir uns von anderen Tafeln.

Als Problem gestaltet sich derzeit das Besorgen respektive Transportieren der Waren, die wir zukaufen. Wir bewegen Tonnen, das ist eine große Mehrbelastung für die Mitarbeiter. Ich habe angefangen, einiges online zu bestellen, dennoch muss alles ausgepackt, sortiert und gegebenenfalls gelagert werden.

Wird die Tafel 2 mit Sachspenden eine dauerhafte Ergänzung der Lebensmittel-Tafel in der Bühlertalstraße sein?
Hüsges

Das wäre schön! Aber nein, das wird vermutlich nicht möglich sein. Der Besitzer des Gebäudes in der Friedolin-Stigler-Straße stellt uns die Räume nur vorübergehend zur Verfügung, und schon das ist wirklich toll. Sobald diese Option entfällt, werden wir uns wieder deutlich einschränken müssen, auch was die Annahme, das Lagern und das Verteilen von Sachspenden angeht.

Diesbezüglich brauchen wir aktuell vor allem Handtücher, Bettwäsche, Kochtöpfe, Spielzeug und Fahrräder. Wenn Menschen uns Lebensmittel überlassen möchten, sind Dosen wegen der Haltbarkeit ideal. Nachgefragt bleiben auch Cornflakes, Marmelade und natürlich die Dauerbrenner Öl, Mehl und Zucker.

Finden Sie, dass Ukrainer im Vergleich zu Flüchtlingen aus anderen Herkunftsländern bevorzugt behandelt werden?
Hüsges

Ein Stück weit sicher schon. Aber ganz gewiss nicht an der Bühler Tafel! Wir haben zum Beispiel Syrer oder auch die afghanischen Ortskräfte genauso engagiert unterstützt. Unsere russischen Mitarbeiter und Kunden können außerdem bestätigen, dass wir keine Unterschiede machen.

Sie unterstützen die Ukrainer übrigens auch sprachlich enorm, da beobachte ich auf beiden Seiten keine Ressentiments. Es geht bei der Tafel um Menschen in Not, egal, welcher Nationalität, Religion oder Hautfarbe sie sind. Auch die Deutschen, die auf Hilfe angewiesen sind, dürfen dabei nicht vergessen werden.

Warum engagieren Sie sich in dieser herausragenden Weise?
Hüsges

In meiner Familie haben wir von jeher eine soziale Ader. Es ist ein schönes Gefühl, helfen zu können. Indem wir Menschen vernetzen, gelingt es sogar oft, ihnen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche zur Seite zu stehen und sie hier zu integrieren. Und man bekommt so viel Dankbarkeit zurück.

Manchmal entstehen sogar Freundschaften. Und wenn ein kleines ukrainisches Mädchen auf mich zurast, wenn es mich sieht, und mich mit Umarmung und Küsschen begrüßt, dann bin ich total gerührt und weiß: Wir tun das Richtige.

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