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Sorge in Achern

Exodus aus den Kirchen: Viel Vertrauen ist auf der Strecke geblieben

Auch vor dem Hintergrund zahlreicher Skandale sind 2022 in Deutschland mehr als eine halbe Million Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten. Hauptamtliche sind enttäuscht und besorgt.

Vor dem Hintergrund zahlreicher Skandale sind 2022 in Deutschland mehr als eine halbe Million Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten. Was sagen die Kirchenvertreter in der Region zu der Austrittswelle?
Die Krise der Kirchen ist nicht zu übersehen, im letzten Jahr traten so viele Christen aus beiden Kirchen aus, wie noch nie. Das trifft auch die Seelsorgeeinheiten in der Region um Achern hart. Foto: Roland Spether

„Ich bin deprimiert, das zieht Energie weg.“ Diese Aussage von Dekan Georg Schmitt (Kappelrodeck) zu den aktuellen Zahlen der Kirchenaustritte spricht Bände. Sie verdeutlicht den Schock aller, die sich in der Pastoral engagieren. 2022 haben 522.821 Personen der katholischen und 380.000 der evangelischen Kirche den Rücken gekehrt. So viele, wie noch nie.

„Ich kann es verstehen, dass viele Menschen aus Enttäuschung und Resignation die Kirche verlassen, weil durch sexuellen Missbrauch, den Reformstau und die Krise in der Bischofsleitung das Vertrauen in die Kirche verloren ging“, so Schmitt.

„Die Prognosen ließen Schlimmes ahnen, die genauen Zahlen machen das Ausmaß erschreckend deutlich“, sagt Ursula Knoll-Schneider (Lauf). Für die Vorsitzende des Dekanatsrates könnte dies das gesellschaftspolitische Klima entscheidend bestimmen, „wenn die verlässliche, sehr gute Arbeit vieler karitativer Einrichtungen personell wie finanziell nicht mehr überall getragen werden kann“. Auch wenn sie jede persönliche Entscheidung respektiere und manche verstehe, so sei diese Entwicklung „sehr, sehr schmerzlich“.

Gott geht auch in unbekannte Zukunft mit den Menschen.
Katrin Bessler-Koch
Pfarrerin Christus-Gemeinde Achern

Pfarrerin Katrin Bessler-Koch von der Christus-Gemeinde Achern stellt fest: „Es macht mich sehr traurig, dass so viele Menschen unsere Kirche verlassen und wir sie nicht mehr erreichen mit dem, was wir gerne weitergeben wollen von unserem Glauben an Jesus Christus.“ Die Kirche werde sich sehr verändern.

Doch Christen dürften dem nicht ängstlich entgegensehen, denn die Kirche veränderte sich immer wieder. „Was bleibt, ist Gott, er geht auch in unbekannte Zukunft mit den Menschen.“

Es sei schwierig, den wirkliche Grund für den Austritte zu erfahren, er müsse ja nicht begründet werden, sagt Regine Schwall-Geier, Vorsitzende des Acherner Pfarrgemeinderats. Oft würden die Unzufriedenheit mit der Kirche und die Kirchensteuer genannt, so dass der Austritt in einer Zeit hoher Kosten in Kombination mit Gleichgültigkeit oder Entfremdung „eine vermeintlich leichte Einsparmaßnahme“ sei. Den seit Jahren bekannten Missbrauchsskandal für den jüngsten Trend als alleinigen Grund zu nennen, sei nicht plausibel.

Pfarrer sieht langsamen Erosionsprozess

Pfarrer Christof Scherer von der Seelsorgeeinheit Achern nannte neben genannten Themen einen „langsamen Erosionsprozess“. Denn „die aktive Teilnahme am kirchlichen Leben, in Gottesdiensten und im Ehrenamt hat deutlich abgenommen“. Damit sinke die innere Bindung an Kirche. Der finanzielle Aspekt möge bei manchen eine Rolle spielen, nicht bewusst sei, wie viele gesellschaftliche Aufgaben mit Kirchensteuern wahrgenommen werden.

Am wichtigsten dafür sind Menschen, die bereit sind, sich einzubringen.
Ursula Knoll-Schneider
Vorsitzende Dekanatsrat

Wie gelingt es nun, eine offene, vertrauensvolle und einladende Kirche zu schaffen? „Auf die Menschen zugehen, mit ihnen reden, ihre Sorgen und Fragen hören, mit ihnen um den Glauben und das Leben ringen und füreinander da sein“, so Dekan Schmitt. Die Kirche müsse die Menschen dort aufsuchen, wo sie leben und arbeiten und sie müsse ihnen nachgehen.

Dies soll mit Blick auf die Pastoral 2030 intensiviert werden, um Kirche vor Ort lebendig zu gestalten und mit vielen Mitarbeitern die Botschaft Jesu weiterzutragen, so Knoll-Schneider. „Am wichtigsten dafür sind Menschen, die bereit sind, sich einzubringen.“

„Wir müssen mutiger über unseren Glauben, was uns trägt und Hoffnung im Leben ist, sprechen“, so Bessler-Koch. „Wir brauchen Orte, in denen Gemeinschaft gelebt wird und wo sich Menschen mit ihren Fragen und Sorgen, Freuden und Träume begegnen und austauschen.“ Es bedürfe auch der Räume, in denen der Glaube an Jesus Christus als großer Schatz gelebt und gefeiert werde, denn die Sehnsucht nach Gott und Spiritualität sei bei ganz vielen da.

Intensive Arbeit an der „neuen“ Pfarrei

„Wir laden alle ein, sich mit ihren jeweiligen Talenten und etwaiger Kritik einzubringen, statt auszutreten“, betont Schwall-Geier. Christen müssten als „aufgeschlossene und aktive Gemeinschaft“ erkennbar und erlebbar machen, dass sie Kirche Gottes sind. Vertrauen könne sich nur in konkreten Begegnungen aufbauen, sagt Scherer.

Deshalb würde intensiv an der Gestaltung der Pfarrei Neu und an neuen ökumenischen Konzepten für die Familienarbeit gearbeitet, neue Formate würden mit „Probiergottesdiensten“ getestet. Die Jugendkirche soll weiter ausgebaut werden.

Dennoch gebe es trotz vieler Aktivitäten Menschen, die nicht erreicht würden. Deshalb laute der Auftrag: „Gibt es Formen der Begegnung, die als Zeichen der Zeit gerade jetzt angezeigt sind?“

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