Skip to main content

Der Sachstand im Sommer 2018

Der PFC-Skandal in Mittelbaden: Eine Dokumentation

Wir befinden uns im Jahre fünf nach Bekanntwerden der regionalen PFC-Belastung. Ist das Wasser nun PFC-frei, die Böden unbelastet und wurden der/die Schuldige(n) zur Rechenschaft gezogen? Ist nun also alles wieder gut? Die Antwort: Ein klares Nein.

None
560 Hektar sind in Mittelbaden PFC-belastet. Die Pflanzen nehmen den Stoff in unterschiedlichem Maß auf. Foto: Patricia Klatt

Der vorliegende Text ist eine aktualisierte Fassung der BNN-PFC-Dokumentation von 2016.

Im mittelbadischen PFC-Skandal geht es um die Verseuchung von mehr als 640 Hektar Ackerfläche, die vermutlich durch mit Papierschlämmen versetzten Kompost verursacht worden ist. Betroffen von den gesundheitsschädlichen Chemikalien-Rückständen sind vor allem Landwirte und die Wasserversorgung. (PFC steht als Abkürzung für per- und polyfluorierte Chemikalien). #

Vor fünf Jahren wurde die Belastung des Wassers durch PFC bekannt. Ist inzwischen alles wieder in Ordnung und geklärt? Die Antwort: Ein klares Nein.

Die (fast) perfekte Verwaltung eines Skandals

Es wird nicht saniert, weil es (noch) nicht möglich ist, der Skandal wird bearbeitet und verwaltet, das allerdings nicht schlecht und in den meisten Punkten wohl auch zufriedenstellend und ausreichend. Und auch der Anspruch, den Umweltminister Untersteller im Interview mit der BNN 2016 formulierte, ist nicht mehr als ein frommer Wunsch geblieben:

Die Verursacherfrage ist seit mehr als fünf Jahren aber immer noch der Gegenstand der Untersuchungen von Behörden und Justiz und somit nicht so einfach zu beantworten. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen gegen den als Verursacher in Verdacht stehenden Komposthändler im Januar 2017 wegen fehlendem Vorsatzes und Verjährung jedenfalls ein, er muss sich allerdings auch noch verwaltungsrechtlich und zivilrechtlich verantworten, diese Verfahren dauern an.

Als die PFC-Belastung in Mittelbaden 2013 bekannt wurde, herrschte zunächst einmal eine Art „Schock-Management“ ohne eine länderübergreifende Einbeziehung von Fachleuten aus anderen Bundesländern, die sich schon sehr lange mit PFC beschäftigten. Das hat sich mittlerweile aber grundlegend geändert, wenn man das PFC-Problem auch nicht lösen kann. In der Region werden Böden systematisch untersucht, aktuell sind mehr als 560 Hektar mit PFC belastet.

Es wurden Anbauempfehlungen vom Regierungspräsidium in Karlsruhe ausgesprochen und ein Vorernte-Monitoring eingeführt, die Lebensmittel werden stichprobenartig untersucht und auch die Beregnung der Felder sollte angepasst sein. Ein Grundwassermodell zur Abschätzung der Verteilung der diversen PFC im Grundwasserstrom wurde von der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) entwickelt. Gewerbegebiete, Baugebiete, alles wird gegebenenfalls auf PFC untersucht, das Problem der Deponierung des belasteten Bodens ist allerdings nicht zufriedenstellend gelöst. Auf hochbelasteten Flächen sind Photovoltaikanlagen angedacht.

Bund hat sich des Problems angenommen

Endlich hat sich nun auch der Bund des PFC-Problems angenommen und im September 2017 einen Bericht über die bekannten bundesweiten „PFC-Fakten“ in einzelnen ziBundesländern vorgestellt. Forschungsvorhaben wurden bundesweit ausgeschrieben, an verschiedenen Universitäten laufen bereits seit vielen Jahren „PFC-Projekte“ unterschiedlichster Art und auch einzelne Firmen sind auf der Suche nach Möglichkeiten der Sanierung der belasteten Böden.

Bundes- und europaweit sind einzelne PFC reglementiert oder verboten, weitere Einschränkungen sind in Vorbereitung. Es gibt neue Werte für PFC im Trinkwasser und für Grund- und Beregnungswasser, PFC werden im Klärschlamm, in der Düngemittel- und Bioabfallverordnung reglementiert. Momentan bearbeiten das Landratsamt Rastatt (LRA), das Regierungspräsidium Karlsruhe, die LUBW, das Technologiezentrum Wasser (TZW), das Landwirtschaftliche Technologiezentrum (LTZ) Augustenberg, das Landwirtschafts-, das Umwelt- und das Sozialministerium sowie das Landesgesundheitsamt die verschiedenen Aspekte der PFC-Belastung.

Eine Ressort-übergreifende Kontaktgruppe trifft sich regelmäßig, um sich auszutauschen und abzustimmen und im März 2017 wurde im Regierungspräsidium Karlsruhe die Stabsstelle PFC eingerichtet – die eine zentrale Anlaufstelle für alle Fragen rund um den PFC-Skandal sein soll.

Informationen zu PFC

Detaillierte und fortlaufend aktualisierte Informationen zu den einzelnen Punkten finden sich auf der Homepage des Landratsamtes, der Stabsstelle PFC sowie auf den Seiten des Umweltbundesamtes.

https://rp.baden-wuerttemberg.de/rpk/Abt5/Ref541/PFC/Seiten/default.aspx

https://www.landkreis-rastatt.de/,Lde/PFC.html

https://www.umweltbundesamt.de/



Die wichtigsten Themen: Sanierung und Beregnungswasser

„Die Landwirte“ ergreifen diese Gegenmaßnahme, „die Landwirte“ haben jene Einbußen, „die Landwirte“ machen dies und das. Der Datenschutz steht im Vordergrund und man unterscheidet in der Öffentlichkeit lediglich zwischen den 30 Bauern, die den Papierschlammkompost aufbringen ließen und jenen, die über das PFC-belastete Beregnungswasser betroffen, aber keine Verursacher sind. Informationen dazu, was „die Landwirte“ machen und tun, erhält die Öffentlichkeit in der Regel über das Landwirtschaftsamt und den Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband. Es gibt nur wenige Betroffene, die selber etwas dazu sagen wollen. „Die Bevölkerung geht mit diesem Thema sehr kritisch um, unsere Kunden selbstverständlich auch, wobei die Großzahl uns auch in diesem Thema vertraut, da sie uns kennen und dadurch eine jahrelange Bindung besteht“, so ein Landwirt gegenüber der BNN.

Das meinen die Landwirte (anonym):

- Es herrscht auch unter den Landwirten das große Schweigen zu PFC, auch diejenigen, die belastetes Beregnungswasser haben, versuchen es „unter dem Deckel zu halten“.

- Unterstützt werden wir im Moment nur durch das Vorerntemonitoring des Landwirtschaftsamts.

- Das Risiko des konventionellen Anbaus, Geldgier und mangelnde Vorschriften und Kontrollen der Behörden, führte zu einer Ackerboden- und Grundwasser-Belastung. Im Bioanbau hingegen sind Klärschlamm und Papierschlamm von Anbeginn verboten.

- Gut gelaufen ist, dass die Behörden nach einiger Zeit die Problematik erfasst haben. Sie haben das Vorerntemonitoring zum Schutz der Verbraucher, aber auch der Landwirte eingeführt.

- Nicht gut ist, dass die Umsetzung der Hilfsmaßnahmen für einzelne Betriebe sehr schwierig anläuft und auf die Bedürfnisse der einzelnen Betriebe nicht angepasst wird.

- Wenn die Behörden Teile der Gelder des Vorernte-Monitorings stattdessen in neue Wasserleitungen hin zu den belasteten Beregnungsbrunnen der Felder investiert hätten, wären diese Äcker heute PFC-frei.

- Kosten für Analysen, Stadtwasser zur Beregnung, zuletzt auch Ernteausfälle – konkret bleiben wir auf hohen Kosten sitzen.

- Dieses „PFC-Problem“ verwaltet das Landratsamt mit Mühen. Die Kommunen sind finanziell überfordert, wenn es darum geht Trinkwasserleitungen zu Aussiedlerhöfe zu verlegen.

- Unbeteiligte, unschuldige Bauern, die PFC im Grundwasser zur Bewässerung ihrer Felder verwendeten, bevor das Problem bekannt war, werden mit Ihren Problemen von der Landesregierung allein gelassen.

- Härtefälle werden ignoriert, die Region wird abgehängt, denn mit schmutzigen PFC-Problemen läßt sich keine politische Karriere befördern.

- Es wird sich, wenn überhaupt, nur sehr träge etwas ändern, da die Politik handeln muss. Die zwei wichtigsten Themen meiner Meinung nach, sind Sanierung und Beregnungswasser.

- Ich gehe davon aus, dass die Bürger bei der nächsten Wahl Denkzettel verteilen werden.

- Es interessieren sich nur die dafür, die auch betroffen sind, die anderen Landwirte sind gechillt.

- Die Behörden kontrollieren jetzt alles, auch bei Unbetroffenen, ob PFC im Grundwasser ist.

- Auch das Kaufverhalten der Landwirte untereinander hat sich geändert, es herrscht ein gesundes Misstrauen.

- Ich beregne meine Pflanzen lieber nicht, wenn ich es vermeiden kann.

- Ist das Geld für die Untersuchungen etwa limitiert? Oder werden nur Risikopflanzen untersucht?

- Verbraucher sollten sehr vorsichtig sein.

- Landwirte, die verseuchte Felder haben, sind die Deppen und die Verursacher bekommen keine Strafen.

Nicht nur die Landwirte, sondern die ganze Region ist vom PFC-Wasser betroffen. Durch ein engmaschiges Netz aus Messstellen kann die heutige Belastungssituation mittlerweile aber wenigstens eingeschätzt werden, bislang sind circa 625 Messstellen auf PFC untersucht und es wurden ungefähr 2900 Wasseranalysen durchgeführt. „Von den im Jahr 2017 etwas mehr als 100 auf PFC untersuchten Brunnen im Landkreis Rastatt, Stadtkreis Baden-Baden sowie dem Stadtkreis Mannheim sind circa 30 Prozent belastet“, so die Stabsstelle PFC im November 2017. Die Ergebnisse ermöglichen zusammen mit dem Grundwassermodell der LUBW Prognosen über die Ausbreitung der PFC-Fahne, die nordwestlich in Richtung Rhein fließt.

PFC-Wasser unterfließt mehrere Ortsteile

Auf seinem Weg dorthin erreicht das PFC-Wasser die Angelseen der Umgebung, einige Fische wie Hecht oder Zander sind deshalb nicht mehr zum Verzehr geeignet. Die Angler setzen mit Genehmigung des Regierungspräsidiums nun junge Fische aus dem Kühlsee in den unbelasteten Petersee um. PFC-Wasser unterfließt ganze Ortsteile wie Bühl Weitenung und -Balzhofen, die Rastatter Ortsteile Niederbühl, Rauental und die Münchfeldsiedlung und auch in Hügelsheim und einigen Ortsteilen von Sinzheim sollen die Gärten nun nicht mehr mit dem eigenen PFC-belasteten Brunnenwasser gegossen werden. „Die privaten Brunnenbesitzer konnten auf Kontaminationen hingewiesen werden und entsprechende Empfehlungen wurden ausgesprochen“, so dazu Reiner Söhlmann. Anfang des Jahres wurde ein Bericht über die PFC-Belastung der Oberflächengewässer veröffentlicht, „es wurden 45 Fließgewässer und 14 Seen im Landkreis südlich der Murg beprobt. Sie spiegeln letztendlich die Belastungen wieder, die von den Flächen ausgehen, auf denen schwerpunktmäßig die Kompostmischungen aufgebracht wurden“, erklärte dazu Wolfgang Hennegriff, der Leiter des Umweltamtes im Landratsamt gegenüber den BNN. Beim Vergleich zu den PFC-Messungen der letzten Jahre zeigten sich allerdings zum Teil drastische Erhöhungen der PFC-Gesamtsummenkonzentration.

Zur Autorin

Die Autorin Patricia Klatt ist Diplom-Biologin und freiberufliche Fachjournalistin und beschäftigt sich seit Sommer 2015 intensiv mit dem PFC-Skandal im Badischen. Sie wurde bei ihren Recherchen von der Journalistenvereinigung netzwerk recherche betreut und durch ein Stipendium der gemeinnützigen Olin gGmbH unterstützt. Der vorliegende Text ist eine aktualisierte Fassung der BNN-PFC-Dokumentation von 2016.



nach oben Zurück zum Seitenanfang