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Nach Merkels Entschuldigung

Wut und Erleichterung in der Region im Drama um „Oster-Ruhetage“: „Wer weiß, was die noch aushecken können“

Viel Enttäuschung, Bitterkeit, Unverständnis - aber auch Erleichterung gibt es in der Region, nachdem die Idee der zusätzlichen arbeitsfreien „Ruhetage“ wieder gekippt wurde. Handel, Industrie und Logistik sprechen eine Warnung an die Politik aus.

eine beschriftete Tafel in einer Fußgängerzone
Viele Unternehmen sind froh, dass der Gründonnerstag nicht länger „Ruhetag“ werden soll: Dieser Tag gilt, was die Umsätze mit Lebensmitteln betrifft, sogar als der wichtigste Tag des Jahres. Foto: Kira Hofmann picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Bei Harald Seifert hat Angela Merkels demütige Entschuldigung nicht viel bewirkt. Das merkt man gleich am Telefon. Der Geschäftsführer des Logistikunternehmens mit Niederlassungen in Rastatt, Durmersheim, Malsch und Gaggenau kann es nicht verstehen, wie die Kanzlerin auf die Idee kommen konnte, in der Osterwoche zwei zusätzliche „Ruhetage“ vorzuschlagen.

„Ich bin maßlos enttäuscht. Stinksauer. Ein Unding. Das geht gar nicht“: Der schwäbische Unternehmer klingt so, als stellte er sich im fernen Berlin gerade die Verantwortlichen vor, die er verbal ohrfeigen würde.

„Mir bleibt der Atem stehen“, schließt Seifert seine Attacke und holt Luft. „Egal, ob Entschuldigung oder nicht, ich kann einfach keine Politiker mehr sehen“.

Ich bin maßlos enttäuscht. Stinksauer. Ein Unding.
Harald Seifert, Logistiker

Das Ergebnis des nächtlichen Beratungsmarathons von Bund und Ländern war in der Zentrale des Ulmer Transportriesen gar nicht gut angekommen. Die Seifert Logistics Group mit rund 2.000 Mitarbeitern versorgt unter anderem Daimler- und Porsche-Werke im Südwesten - „minutiös und stundengenau“, wie der Geschäftsführer versichert.

Das Hin und Her der Politik hinterlässt Spuren

Was wäre passiert, wenn er am Gründonnerstag hätte schließen müssen? „An einem Tag wären dann mehrere Hunderttausend Euro kaputtgegangen“, sagt Seifert und wirkt dabei nicht erleichtert. Eher durcheinander. „Wer weiß“, schließt der Unternehmer, „was die dort noch aushecken könnten“.

Wer weiß, was die dort noch aushecken könnten.
Harald Seifert, Logistiker

Das Hin und Her der Politik um die Oster-“Ruhetage“ hat Spuren hinterlassen. An diesem Mittwoch wollen sich viele den Ärger von der Seele reden. Wie zum Beispiel Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmen Baden (WVIB): Er nennt Merkels Entschuldigung „entwaffnend“ - und lehnt trotzdem die Idee der Kanzlerin als einen „konfusen April-Scherz“ ab, der wenig gebracht, aber viel gekostet hätte.

Blinder Aktionismus bringt nichts, er zerstört Ressourcen und Vertrauen.
Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer WVIB

Laut Münzer liefen im Verband die Mitgliedsfirmen am Montag „Sturm wie nie zuvor“. Die Regelung hätte für sie einen enormen Planungsaufwand bedeutet. Lieferketten wären unterbrochen, die Arbeits- und Schichtpläne durchkreuzt worden. „Blinder Aktionismus bringt nichts, er zerstört Ressourcen und vor allem Vertrauen“, kritisiert der WVIB-Chef. „Gut wäre es, wenn wir aus diesem Vorgang lernen und keine nächtlichen Schnellschüsse rausballern, die als Querschläger nur irritieren.“

Wir sind seit Monaten die Gequälten und Betroffenen.
Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin HBW

Noch mehr Ratlosigkeit und Ärger gibt es beim Handel: Die Hauptgeschäftsführerin des zuständigen Landesverbandes HBW, Sabine Hagmann, will im Gespräch mit den BNN nichts beschönigen: „Wir sind seit Monaten die Gequälten und Betroffenen, und jetzt steht der Handel mit dem Rücken zur Wand. Die Beschlüsse in Berlin haben uns entsetzt.“

Laut Hagmann ist der Gründonnerstag der umsatzstärkste Tag des Jahres im Lebensmittelhandel. Nicht auszudenken, wenn die Geschäfte hätten schließen müssen. „Ein echter Skandal. Wir wussten nicht, wie wir das bezahlen und umsetzen sollten, ehe die Entwarnung kam“, berichtet die HBW-Chefin. Sie wünscht sich, dass die Kanzlerin und die Landeschefs derlei Entscheidungen in Zukunft besser durchdenken und eine Nacht darüber schlafen, ehe sie bekannt gegeben werden.

Respekt für die Entschuldigung der Kanzlerin

Immerhin zeigt auch sie sich beeindruckt von Merkels Rückzieher: „Wie sie dann die Fehlentscheidung zurücknimmt: Respekt!“

In Karlsruhe überwiegt die Erleichterung. Die Stadtwerke Karlsruhe freuen sich, dass sie wegen ihrer unterschiedlichen Arbeitszeitmodelle nicht länger die komplizierten Fragestellungen rund um die angekündigten „Ruhetage“ abklären müssen. Eine Sprecherin nennt als Beispiel die Frage, welche Schichtzuschläge an so einem Tag gelten, und wie man damit umgeht, dass einige Mitarbeiter frei hätten, andere jedoch arbeiten müssten: „Für uns wäre es in der Kürze der Zeit kompliziert gewesen.“

Die Regierung ist sehr bemüht, das Richtige zu tun.
Christoph Werner, dm-Chef

Die IHK Karlsruhe appelliert an die politisch Verantwortlichen, wirtschaftlich relevante Maßnahmen mit Kammern und Verbänden zu besprechen, bevor Entscheidungen getroffen werden. Der Geschäftsführer der Drogeriekette dm, Christoph Werner, bemüht sich um eine ausgewogene Analyse des Berliner Gipfeldebakels: „Die Regierung ist sehr bemüht, das Richtige zu tun, um diese dritte Welle zu brechen. Aber sie ist auch extrem gefordert, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, die realistisch sind und die uns helfen, aus der Krise herauszukommen.“

„Abriss der Warenverfügbarkeit“ abgewendet

Der Konzernchef sieht in der erratischen Anti-Pandemie-Strategie die „Grenzen einer Bürokratie, die nicht auf Beratungen mit der Zivilgesellschaft setzt, wie man das machen könnte“. Nach Werners Einschätzung hätten die vorgeschlagenen „Ruhetage“ den Drogerien enorme Probleme verursacht, zumal die Karwoche eine der umsatzstärksten Wochen im Jahr sei. „Die Warenmengen hätten sich konzentriert auf 40 Prozent weniger Tage, als Konsequenz wären bei uns die Regale leer gewesen, und die verunsicherten Menschen hätten sich bevorratet. Wir hätten einen Abriss der Warenverfügbarkeit erlebt, mit den entsprechenden psychologischen Folgen für das Kaufverhalten.“

Chef des Drogerieriesen dm setzt auf Schnelltests

Der dm-Chef sieht es als einen Fehler, dass die Politik fast ein Jahr lang nur auf zwei Strategien gesetzt habe: Lockdown und Impfen. „Es gab leider nichts dazwischen, was uns ermöglicht hätte, Wege im Umgang mit Corona zu finden, solange die Impfstoffe noch nicht verfügbar sind.“ Aus seiner Sicht sind die Schnelltests ein solcher Weg, der es den Bürgern ermöglicht, eine aktivere Rolle in der Pandemiebekämpfung zu spielen. Am Montag eröffnete dm nach Tübingen und Karlsruhe auch eine Corona-Teststation in Ettlingen.

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