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Vor 100 Jahren

Wie Großherzogin Luise die Novemberrevolution erlebte

Großherzogin Luise erlebte in der Novemberrevolution 1918 den Zusammenbruch ihrer adligen Welt. Als nachts Schüsse auf das Schloss fielen, floh die Großherzogin mit ihrer Familie sogar an den Neckar.

Ein altes Foto einer alten Frau
Großherzogin Luise von Baden hielt ihrer Gefühle bei der Flucht aus Karlsruhe und der Abdankung ihres Sohnes schriftlich fest. Foto: Generallandesarchiv Karlsruhe 69 Baden, Sammlung 1995 F | Nr. 2258, Bild 1

Den „dornenvollen Kreuzesweg“ suchte Großherzogin Luise vor 100 Jahren weiterzugehen, „tief gebeugten Hauptes, aber fest in glaubensstarker Hingebung an Gottes Willen“.

Was es bedeute, „am Schicksal zu stehen zwischen Monarchie und Republik“ – das sei kaum in Worte zu fassen. Und doch wollte die bald 80-jährige Witwe ihre Eindrücke von den „überwältigend schweren Tagen“ der Novemberrevolution festhalten.

Am 9. November 1918 hatte Reichskanzler Max von Baden in Berlin eigenmächtig die Abdankung „unseres teuren Kaisers“ Wilhelms II. verkündet. – Beide Herren waren Neffen Luises. In Karlsruhe traf die Kunde um halb drei Uhr nachmittags ein. Und: „Die Berliner Revolution wurde in wenigen Stunden … zur badischen Revolution.“

Am folgenden Tag begann die greise Fürstin, ihre ganz persönliche Sicht auf die Ereignisse aufzuzeichnen. Dass schließlich auch ihr Sohn, Großherzog Friedrich II., die Regierungsgewalt abgeben und in „den Abgrund des Sozialismus“ untergehen lassen musste, empfand sie als „Opfergang unermesslichen Umfangs“.

Tagebuchblätter der Großherzogin Luise

Die Originale der Tagebuchblätter, denen die prominente Vertreterin der badischen Monarchie vor 100 Jahren ihre Beobachtungen, Hoffnungen und Befürchtungen anvertraute, befinden sich heute im Generallandesarchiv Karlsruhe.

Erst vor wenigen Jahren – 2012 – hat das Haus Baden sie zur Aufbewahrung im dort untergebrachten Großherzoglichen Familienarchiv abgeliefert. „Die privaten Aufzeichnungen der Großherzogin Luise geben einen vertraulichen Einblick in die Ereignisse vom November 1918 in Baden und im Deutschen Reich“, erläutert Peter Exner vom Generallandesarchiv. „Vor allem spiegeln sie ihre Wahrnehmung der Kriegsniederlage, der Revolution und der Entstehung der Republik wider.“

Wer sich dafür interessiert, muss sich seit kurzem nicht einmal mehr die Mühe machen, im Archiv Luises eigenwillige Handschrift zu entziffern. Exner hat den Text ediert. In dem Buch „Demokratie wagen? Baden 1818–1919“ kann man ihn nachlesen.

„Der verhängnisvolle 11. November“

Der Umsturz ging in Baden vergleichsweise zahm vonstatten. Die ersten Tage der Revolution verbrachte Großherzogin Luise völlig unbehelligt noch in Karlsruhe. Auch der „verhängnisvolle 11. November“ begann „ohne ein Zeichen der Beunruhigung ernster Art“. Es war der Tag, an dem mit dem Waffenstillstand von Compiègne offiziell der Erste Weltkrieg endete.

Im Karlsruher Schloss widmeten sich Luise und ihre Tochter Viktoria, die zu Besuch in ihrer Heimat weilende Königin von Schweden, „kummervoll“ der Zeitungslektüre.

Als „wohltuend“ empfanden die beiden Fürstinnen die Besuche von „treuen Freunden“. Der Soldatenrat hatte den Damen versichert, dass sie keinerlei Belästigungen zu befürchten hatten. Sie sollten nur das Schloss nicht verlassen.

Eine Frage der Sicherheit

Tatsächlich hatte es „Menschenansammlungen, Arbeiterzüge und dergleichen mehr“ bislang nur auf dem Rathausplatz gegeben. Als bitter empfand es Luise jedoch, dass sie seit dem Kaisersturz keinen direkten Kontakt mehr zu ihrem Sohn hatte: Friedrich II. harrte im Erbgroßherzoglichen Palais (heute: Bundesgerichtshof) aus.

Er hatte das Palais auch in besseren Zeiten als Wohnsitz genutzt. Am Nachmittag des 11. November 1918 meldete sich der Großherzog dann telefonisch. Er kündigte an, dass er und seine Gemahlin Hilda ebenfalls ins Schloss umsiedeln würden. „Auf Wunsch des Oberbürgermeisters, der größeren Sicherheit wegen“. Luise notierte: „Sie kamen unbehelligt zu Fuß durch die Stadt“.

Friedrich II. will bleiben

Und doch schien sich etwas zusammen zu brauen. Minister der alten und der neuen, provisorischen Regierung drängten darauf, dass der Großherzog Karlsruhe bald möglichst verlasse.

Am besten solle er nach Baden-Baden fahren – „wohin der Weg in völliger Sicherheit garantiert sei durch den Soldatenrat.“ Friedrich II. wollte von einer Abreise nichts wissen. Trotzdem ließ er im Fasanengarten zwei Automobile bereitstellen. Für alle Fälle.

Schüsse aufs Schloss

Zunächst blieb alles ruhig. Und von 21 Uhr abends an, so hieß es, müssten ohnehin alle Straßen geräumt sein. Gegen 22 Uhr wünschte Großherzogin Luise ihrer Tochter gute Nacht.

Da knallte es. Luise dachte zunächst an einen Defekt im Aufzug. Doch die Schüsse wiederholten sich.

Ein „sehr verdächtiger Matrose“

Die Schlossbewohner eilten herbei. Zum Schutz der großherzoglichen Familie waren Kriminalbeamte abgestellt, doch die befanden sich in einem anderen Teil des Gebäudes. Mehrere Soldaten um einen betrunkenen und „sehr verdächtigen“ Matrosen begehrten Einlass.

Sie verlangen, den Großherzog zu sprechen. Das wurde abgelehnt. „Das Schießen ging weiter und nahm zu“, berichtete die Großherzogin. Daher habe die Familie beschlossen, sofort das Schloss zu verlassen.

Flucht aus Karlsruhe

Durch dunkle Räume eilte man in den Fasanengarten. „Mein Sohn voraus, für alles sorgend, in vollkommener Finsternis“. Zu Denken gab den Fliehenden, dass die Fahrt nach Baden-Baden von der provisorischen Regierung angeregt worden war.

Sie befürchteten „Schwierigkeiten“. Da „genug Benzol vorhanden“ war, beschlossen der Großherzog und seine Angehörigen, nach Zwingenberg am Neckar zu fliehen. Nachts um halb drei kamen sie dort an.

Die Dienerschaft brachte am nächsten Tag das Gepäck nach. Sie berichtete Näheres über den „Überfall“ aufs Karlsruher Schloss. Eine „große Verwirrung unter Zuströmung von größeren Menschenmengen“ habe offenbar zu „planlosen Schießereien“ geführt.

„Doch gottlob ohne Verwundung“, hielt Großherzogin Luise fest. „Sogenannte Sicherheitsmannschaften sollen versagt haben.“ (Der Initiator des Tumults, der Matrose Heinrich Klumpp, wurde später wegen Landfriedensbruchs verhaftet.)

Herbstglanz in Zwingenberg

Es klingt fast unwirklich, wenn Großherzogin Luise nun vom wunderbaren Herbstglanz rund um Schloss Zwingenberg schreibt. Und von der prachtvollen Aussicht aufs Neckartal.

„Dankbar für Gottes gnädige Beschützung“ sei die aus Karlsruhe geflüchtete Familie gewesen. „Gemütlich“ waren sie „in inniger Gemeinschaft vereint“. Doch die nächste Prüfung ließ nicht lange auf sich warten.

Politiker-Besuch aus Karlsruhe

Am Abend des 13. Novembers ließ sich der ehemalige Staatsminister Heinrich von und zu Bodman melden. Er war mit dem Sozialdemokraten Anton Geiß, dem Vorsitzenden der vorläufigen Regierung, angereist. Die Herren legten dem Großherzog die „sehr kritisch gewordene Situation in Karlsruhe“ dar.

„Die Verkündung der Republik sei unvermeidlich.“ Um Blutvergießen zu vermeiden, sollte Friedrich II. seine Regierungsgewalt ruhen lassen. Nach langen Gesprächen willigte der Großherzog ein.

Ihr Sohn habe „seine Ruhe in bewunderungswürdiger Weise“ gewahrt, notierte Luise. „Wir (die Familie) blieben alle noch vereint in stiller weihevoller Stimmung.“ Später aber, als sie und ihre Tochter in ihre Zimmer zurückgekehrt waren, „flossen heiße Tränen, im Gefühl der Vernichtung, welche über unser Fürstenhaus gekommen war.“

Der Großherzog dankt ab

„Das allerschwerste Opfer“, „das Letzte“, „das Entscheidende“ brachte Luises Sohn aber erst am 22. November 1918 in Schloss Langenstein im Hegau. Großherzog Friedrich II. dankte offiziell ab. Er verzichtete für sich selbst, seinen designierten Nachfolger Prinz Max und dessen Nachfahren auf den badischen Thron.

Für Luise, die geborene Prinzessin von Preußen, die als knapp 18-Jährige badische Großherzogin geworden war, brach mit der Monarchie ihre Welt zusammen. Sie sah das Werk ihres verstorbenen Gemahls, mit dem sie 51 Jahre verheiratet gewesen war, „vernichtet“, ihren Sohn „und mit ihm das Haus Zähringen beseitigt“.

Die Welt der Großherzogin Luise bricht zusammen

„Möchte nur der Erfolg dieser unmenschlichen Opfer der Größe des Opfers entsprechen“, flehte die Frau, die Peter Exner als „das Gesicht der Monarchie“ bezeichnet. Die fromme Luise sprach sich selbst Mut zu.

Das „feste Gottvertrauen, dass einmal eine bessere Zeit kommen wird“, dürfe nie weichen. Doch die deutsche Zukunft sah sie auf einem „immer abschüssigeren Weg“.

„Deutschland in seiner Not“

Die privaten Aufzeichnungen der alten Großherzogin vom November 1918 enden mit dem Seufzer: „Umsturz droht von allen Seiten. Und wenn auch mit scheinbarer Ruhe bricht zusammen, was die Parteien aufzubauen wähnen im Streit und Kampf der einzelnen Richtungen. Gott walte über Deutschland in seiner Not.“

Buchtipp

Eine Edition der privaten Aufzeichnungen der Großherzogin Luise vom November 1918 findet man in dem von Peter Exner herausgegebenen Buch „Demokratie wagen? Baden 1818–1919“ (Verlag W. Kohlhammer, 212 Seiten, 20 Euro). Es handelt sich um den Begleitband zur gleichnamigen Wanderausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg. Diese war in Karlsruhe und Freiburg bereits zu sehen. Ab 8. Dezember 2018 wird sie im Museum im Ritterhaus in Offenburg gezeigt.

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