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Kaspar ist aus Tirol

Karlsruher Nervenarzt: „Das Rätsel Kaspar Hauser ist restlos gelöst“

Um die Herkunft Kaspar Hausers, der 1828 in Nürnberg auftauchte, ranken sich viele Theorien. Der Karlsruher Nervenarzt Günter Hesse meint, das Rätsel gelöst zu haben.

Lithographie eines Mannes
Lithographie des legendären Findelkinds Kaspar Hauser (von Joh. Nicolaus nach dem Pastell von Johann Friedrich Carl Kreul - 1830) Foto: dpa

„Hier ruht Kaspar Hauser, das Rätsel seiner Zeit: von unbekannter Herkunft und geheimnisvollem Tod.“

So verkündet es eine lateinische Grabstein-Inschrift auf dem Ansbacher Friedhof. Sie bezieht sich auf einen 1833 zu Tode gekommenen jungen Mann, über dessen Schicksal es unzählige Bücher und verschiedene Theorien gibt. Die spektakulärste besagt, dass Kaspar Hauser ein badischer Prinz gewesen sei.

Er soll bald nach seiner Geburt gegen einen sterbenden Säugling ausgetauscht worden sein, um einem anderen den Weg zum Thron zu ebnen. Doch diese Prinzen-Theorie ist laut Günter Hesse endgültig erledigt. Er habe das „Rätsel Kaspar Hauser“ restlos gelöst, erklärt der Karlsruher Nervenarzt: „Hat aber 50 Jahre gedauert.“

Kaspar Hauser, der 1828 aus dem Nichts in Nürnberg auftauchte, war nach Günter Hesses Forschungen weder Prinz noch Badener. Vielmehr sei er der hirnkranke Sohn eines katholischen Pfarrers aus Tirol gewesen.

„Aus Versehen Suizid begangen“

Auch sei der junge Mann in Ansbach keineswegs das Opfer eines Meuchel-Mörders aus Karlsruhe geworden, sondern von eigener Hand gestorben. Hauser habe sich mit einem Dolch eigentlich nur leicht verletzen wollen, um Aufsehen zu erregen. Doch dabei habe er einen reflex-epileptischen Krampf-Anfall erlitten und quasi aus Versehen Suizid begangen.

Vor vielen Jahren war Hesse durch das Buch „Kaspar Hauser oder Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben eines Menschen“ des Rechtsgelehrten Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775-1833) auf den Findling aufmerksam geworden.

Der Fall weckte das Interesse des Nervenarztes. 1967 veröffentlichte er in den Münchner Medizinischen Wochenschrift eine Arbeit über „Die Krankheit Kaspar Hausers“, in der er dem Findling Temporallappen-Epilepsie bescheinigte.

Nachdem er Kaspar Hausers Hirn-Leiden entdeckt hatte, begann Hesse nach der Herkunft des Findlings zu forschen. Es sei, so Hesse, eine „Odyssee voller Irrungen und Enttäuschungen“ gewesen.

Der Heilige Virgilius wies die richtige Spur

Dem heiligen Virgilius habe er es zu verdanken, dass er schließlich doch fündig wurde. 1830 nämlich habe Hauser im Traum 25-mal dekliniert: „Virgilius, Virgilii, Virgilio.“ Alle hätten an den römischen Dichter gedacht – aber ihm, Günter Hesse, fiel der heilige Virgilius ein.

Er dachte an einen Kirchenpatron – das habe ihn auf die Spur gebracht. Und die führte ihn letztlich zu dem 1770 geborenen Wolfgang Hechenberger aus Tirol, einem Pfarrer und Botaniker.

Vom eigenen Vater abgeschoben

Dieser Mann war nach Hesses fester Überzeugung Kaspar Hausers Vater. Seinen Mitbürgern habe der Pfarrer erzählt, dass er aus christlicher Nächstenliebe den „Bayern-Bankert“ eines Nürnberger Soldaten aus der Besatzungszeit aufgenommen hätte.

Doch als sich Hausers Krankheitsbild verschlimmerte – mit der Epilepsie ging laut Hesse eine schwere Hautkrankheit einher – habe der Pfarrer seinen Sohn „abgeschoben“.

Um alle Zweifler davon zu überzeugen, dass er den Fall Kaspar Hauser vollständig geklärt hat, veröffentlichte der mittlerweile 97-jährige Günter Hesse jetzt ein Buch.

Es trägt den Titel „Kaspar Hauser, das Kind von Europa, der Sohn des Pfarrers und Botanikers Wolfgang Hechenberger aus Tirol, spricht Latein. Und kommt aus M.L.Ö.!“

Spezieller Titel – spezieller Inhalt

So speziell wie der Titel ist auch der Inhalt des Buches. Hesse setzt voraus, dass der Leser sich bereits mit Kaspar Hauser beschäftigt hat, mit der „Verlies-Legende“, der Prinzen-Theorie und so weiter vertraut ist.

Auf über 200 Seiten erläutert Hesse, worauf sich seine These stützt. Er interpretiert Schriftstücke und zeitgenössische Beschreibungen, präsentiert Gutachten und Bilder – auch eines von Pfarrer Hechenberger, dessen Physiognomie der von Kaspar Hauser ähnelt.

Allerdings verlässt Hesse häufig die sachliche Ebene – vor allem, wenn er auf die „gläubige Gemeinde“ zu sprechen kommt. Als solche bezeichnet er Verfechter und Anhänger der Prinzen-Theorie, denen er eine „spezifische Kaspar-Hauser-Pseudo-Demenz“ zuschreibt.

„Nicht um medizinische Fakten gekümmert“

Das große Manko der bisherigen Hauser-Forschung, so Hesse, sei, „dass sie sich nicht um medizinische Fakten kümmerte, statt dessen die dynastische Fabel Feuerbachs wiederkäute, aber seine minutiöse Deskription von Hausers neurologischer Symptomatik ignorierte.“

Es sei „einfach unbegreiflich, dass kein Kaspar-Hauser-Forscher ihre Bedeutung erkannte.“ Das blieb dem Nervenarzt aus Karlsruhe überlassen.

Buchtipp

Günter Hesse: „Kaspar Hauser, das Kind von Europa, der Sohn des Pfarrers und Botanikers Wolfgang Hechenberger aus Tirol, spricht Latein. Und kommt aus M.L.Ö.!“, Deutsche Literaturgesellschaft, ISBN 978-3-03831-123-2, 16,20 Euro.

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