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Zwischen Moor und Meer

Auf dem „Wild Atlantic Way“ zu den Feen in Irlands wildem Nordwesten

Wer den Menschen in Irlands Nordwesten mit „Leprechauns“ kommt, erntet nur Gespött. Hier, wo das die Insel touristisch noch nicht so erschlossen ist, glaubt man nur an ordentliche Fabelwesen.

Der Felsen Dun Briste vor der Küstenformation Downpatrick Head
Atemberaubend schön: Einen prachtvollen Anblick entlang des Wild Atlantic Way bietet die Küstenformation Downpatrick Head. Der vor ihr liegende Felsen „Dún Briste“ war im 14. Jahrhundert während eines Sturms abgebrochen. Foto: Sebastian/Adobe Stock

Nur an wenigen Tagen im Jahr, heißt es, ist es möglich, die Grenze zwischen der Menschenwelt und der Feenwelt zu überschreiten.

An diesen Tagen erscheinen auf der Nordseite des „Ben Bulben“, einem Tafelberg nahe der Stadt Sligo im Nordwesten von Irland, hoch oben zwischen Kalksteinfelsen, die Umrisse einer Tür.

In Irland soll es geheime Eingänge ins Feenreich geben

Wer sie durchschreitet, soll das Reich der Feen betreten. Passiert ist das allerdings wohl noch nie, denn selbst die allgegenwärtigen und furchtlosen irischen Schafe kommen da nicht hoch, wo die Felsen des nur 527 Meter hohen, aber mächtigen Berges in eleganten Falten in die Höhe ragen.

Schafe grasen vor Tafelberg in Irland
Mächtiger Berg: Auf dem imposanten „Ben Bulben“ grasen Irlands beühmte, bunt bestrühten Schafe. Foto: Martha Steinfeld

„Ben Bulben“ und auch Sligo, die 20.000 Einwohner fassende, kleine Stadt in seiner Nähe, sind sogenannte „thin places“. Zu deutsch „dünne Orte“, an denen den Überlieferungen nach der Übergang zwischen den Welten schmaler und einfacher zu kreuzen ist, als woanders.

Das wusste schon William Butler Yeats, der irische Nationaldichter und Literaturnobelpreisträger, der am Fuße des „Ben Bulben“ im Kirchhof des Dörfchens Drumcliffe begraben liegt und auch über den geheimnisvollen Berg schrieb.

Warum man sich in Irland mit den Feen nicht anlegen sollte

Nicht, dass der Wechsel in die andere Welt besonders erstrebenswert wäre: „In der irischen Mythologie sind Feen ehemalige Götter, die in den Untergrund gehen mussten“, sagt David Lawless, der in und um Sligo geführte Touren anbietet. Dementsprechend wütend seien sie Menschen gegenüber eingestellt.

Amüsante und oft auch gruselige Geschichten erzählt man sich hier im Nordwesten der irischen Insel. Von Feen, die dafür sorgen, dass man nach dem Pub-Besuch den Weg nach Hause durch die Felder nicht mehr findet. Von „Merrows“, den Meer-Menschen, deren rote Kopfbedeckungen Zauberkräfte verleihen. Oder von „Changelings“, Wechselbälgern, die von den Feen gegen echte Kinder ausgetauscht wurden.

Nur von „Leprechauns“, jenen grünen Kobolden, über die man in der Hauptstadt Dublin und ihrer Umgebung überall stolpert, ist hier keine Rede. „Leprechauns sind Folklore, eine Erfindung mit Hollywood-Charakter“, sagt David Lawless. Feen seien Tausende Jahre älter – echte Mythologie.

Was es mit dem „Wild Atlantic Way“ auf sich hat

Sligo liegt am Wild Atlantic Way, einer 2.500 Kilometer lange Küstenstraße, die über den gesamten Norden und Westen Irlands reicht. Sie führt an einer Masse irischer Sehnsuchtsorte vorbei, darunter den weltberühmten Cliffs of Moher und Städten wie Donegal und Galway. Drei Stunden dauert es vom Flughafen Dublin aus, ihren Startpunkt im Norden in der Ortschaft Muff an der nordirischen Grenze oder den im Süden in Kinsale zu erreichen.

2014 haben findige Marketingmenschen der in weiten Teilen bereits bestehenden Straße ihren glanzvollen neuen Namen und ein Logo gegeben, das entlang des Weges die Richtung weist: eine stilisierte weiße Welle auf hellblauem Grund.

Parallel wurde angefangen, den Wild Atlantic Way mit weiteren Attraktionen zu bestücken. Ein streckenübergreifender Fernwanderweg ist bis heute noch nicht dabei.

Gehen und wandern kann man auf zahlreichen Routen trotzdem ganz vorzüglich, obwohl und gerade weil nicht alles touristisch erschlossen ist.

Ein Felsen, der so schön ist, dass man weinen muss

So steht dankenswerterweise keine Souvenirbude herum, wenn man die 500 Meter vom Parkplatz zur Küstenformation Downpatrick Head geht, die etwa eine Stunde westlich von Sligo liegt.

Vor ein paar hundert Jahren war hier ein Teil der Klippen während eines heftigen Sturms abgebrochen und steht nun einige Meter entfernt wie ein Pfeiler in der Brandung. Und ist dabei so schön, dass es einem die Tränen in die Augen treibt.

Zwei Radfahrer blicken aufs Moor hinaus.
Mondlandschaft: Der Nordwesten Irlands besteht zu großen Teilen aus Moor. Foto: Martha Steinfeld

Wer längere Touren gehen will, ist im Wild Nephin Nationalpark (früher: Ballycroy National Park) gut aufgehoben, der in der Grafschaft Mayo noch weiter westlich liegt. Hier wird vermehrt gälisch (oder: irisch) gesprochen, und die typisch grüne Landschaft ist zum Moor übergegangen, das einen großen Teil dieser Gegend bedeckt. Doch während anderorts Torfabbau und Erosion das für das Klima außerordentlich wichtige Moor immer weiter reduzierten, ist es hier geradezu unberührt.

Wo man in Irland sogar Nordlichter sehen kann

Das Ballycroy Visitor Centre in der gleichnamigen kleinen Ortschaft bietet als zentraler Anlaufpunkt des Parks eine eindrückliche Ausstellung über das Moor und dessen Bedeutung sowie Informationen zu den Wanderwegen, die durch den Nationalpark führen.

Ein Nationalpark, der auch und vor allem nachts einen Besuch wert ist: Von mehreren Punkten aus kann man hier ohne jede Lichtverschmutzung die Milchstraße beobachten – und ab und an sogar Nordlichter sehen.

Auch Achill Island, die westlichste Insel der Gegend, in die sich schon Heinrich Böll einst verliebte und dort seine zweite Heimat fand, bietet einige Wanderwege. Wer fit ist, wagt sich auf die „Croaghaun Cliffs“ und wird mit einer spektakulären Aussicht belohnt.

Eine Bucht voller winziger Inseln

Wem das zu viel ist, sollte „Keem Bay“, einer ausgesprochen malerischen Bucht, einen Besuch abstatten. Von Achill Island aus wurde vor einigen Jahren eine 42 Kilometer lange, autofreie Radstrecke angelegt, der „Great Western Greenway“. Er ist mit Leihrädern mit oder ohne Elektroantrieb gut zu bewältigen und führt zurück ins Binnenland – ins hübsche Westport.

Couple beside the National Famine Memorial, Murrisk, Co Mayo, Ireland.
Grusel vor Idylle: Das Famine Memorial erinnert eindrücklich an die große Hungersnot. Wer genau hinsieht, erkennt auf der Schiffsskulptur Dutzende Skelette. Dahinter erstreckt sich die malerische Clew Bay mit ihren Inseln. Foto: Tourism Ireland

Die Stadt liegt direkt am Clew Bay, einer etwa elfmal 15 Kilometer großen Bucht, die sich zu Recht ihrer zahlreichen Inseln rühmt. „Drumlins“ heißen diese eiszeitlichen Überbleibsel, deren Anzahl die Iren gerne mit 365 beziffern – für jeden Tag eine. Aber Michael Mangan zufolge, der hier Gäste durch die Gegend führt, liegt sie in Wahrheit bei 141.

Drei davon sind bewohnt. Einst waren es viel mehr gewesen, doch die Große Hungersnot, die Mitte des 19. Jahrhunderts über Jahre die Bevölkerungszahl Irlands von über acht auf unter drei Millionen Menschen reduzierte, ließ auch die Inseln größtenteils menschenleer zurück.

Ein Mahnmal erinnert an die entsetzliche Hungersnot

Bis heute hat sich die Einwohnerzahl des Landes davon nicht erholt. Eine Zäsur, der in jedem größeren Dorf ein Mahnmal gesetzt ist. In Westport ist es ein großes bronzenes Schiff direkt am „Clew Bay“, dessen Takelwerk aus Skeletten eindrücklich an das Leiden von damals erinnert.

Ganz in der Nähe steht der „Croagh Patrick“, eine weitere Sehenswürdigkeit. Der fast perfekt konisch geformte Berg ist seit Jahrhunderten eine Wallfahrtsstätte für St. Patrick. Der irische Nationalheilige hatte auf dessen Gipfel gefastet und dort eine Kapelle erbaut.

Doch das ist nicht alles: Ganz in der Nähe deuten die „Megalithen von Killadangan“, eine Steinreihe aus der Bronzezeit mit Sichtbezug zum Berg, darauf hin, dass der Ort schon Tausende Jahre länger für Zeremonien genutzt wurde. Ein weiterer „thin place“? Das muss man selbst herausfinden.

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