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Winterreise nach Norwegen

Lofoten: Wo der Seeadler kreist und das Nordlicht tanzt

Ein richtiger Winter, ein sehr spezielles Licht, viel Kunst und ein grün-violettes Feuerwerk am Himmel, wenn sich das Nordlicht die Ehre gibt: Die Lofoten im Norden Norwegens sind auch im Januar eine Reise wert.

Holzgestelle und kleine Fischerhütten an der schneebedeckten Küste
Typisch Lofoten: Trockengestelle für Stockfisch und Rorbuer. Die einstigen Fischerhütten sind heute attraktive Touristenunterkünfte. Foto: Jock

Die Sonne kitzelt den Horizont nur ein wenig – und taucht den Himmel nach und nach in sein komplettes Farbspektrum. In gelben, roten, blauen und violetten Streifen spannt es sich über die Szenerie aus Meer und schroffen Bergen. 

Wolken und Schnee reflektiert das noch schwache Licht. Dass die arktische Kälte langsam Fingerkuppen und Nasenspitze im Griff hat, tut dem Zauber noch keinen Abbruch. 

9 Uhr morgens ist es an diesem Januartag auf den Lofoten, als die ersten Sonnenstrahlen das Klischee vom dunklen und kalten arktischen Winter in Norwegens Norden aufweichen. Frisch ist es freilich schon – aber der Golfstrom sorgt dafür, dass die Temperatur nicht allzu weit unter den Gefrierpunkt rauscht.

Der Golfstrom spülte schon vor Jahrhunderten Reichtum auf die Lofoten

Und nicht nur dafür: Der Meeresstrom aus dem Golf von Mexiko spülte schon vor Jahrhunderten Reichtum auf den kargen Archipel am 68. Breitengrad. Für einige wenige Geschäftsleute zwar nur, aber tausenden von armen Fischerfamilien sicherte er zumindest einen kargen Lebensunterhalt. 

Weil der warme Meeresstrom nicht nur für wohltemperierte Luft, sondern vor allem für vier bis sechs Grad Wassertemperatur in 40 bis 100 Metern Meerestiefe sorgt. Die präferiert der Skrei zum Laichen; deshalb macht sich diese Dorschart um den Jahreswechsel in großen Schwärmen von der eisigen Barentsee auf den Weg zu den Lofoten und in den Westfjord.

Vom Skrei-Fang und vom kargen Leben im Rorbu

Und mit ihm kamen einst Tausende von Fischern von der gesamten Küste Norwegens, berichtet Johnny Kløften. Der frühere Lehrer sitzt mit seiner Besuchergruppe in einer Rorbu, einer jener roten Hütten, in denen die Fischer in der Fangzeit hausten. 3.000 solcher Rorbuer gab es um 1850 auf den Lofoten und boten 36.000 Männern Unterschlupf. 

Johnny lässt diese Zeit aufleben, erzählt von vier, fünf Wochen im offenen Ruderboot allein für die Anreise. Von der harten Arbeit auf See, um den Skrei aus den Netzen zu holen. Vom kargen Leben in der nur mit dem nötigsten ausgestatteten Hütte, in der sich immer zwei Mann eines der 1,68 Meter langen Betten teilten. 

Und von dem Wenigen, was den Männern blieb, selbst wenn die Saison gut war. Denn der Dorfbesitzer strich den Gewinn ein und zog vom Anteil der Fischer noch vieles ab: die Miete für die Rorbu, das Geld für Lebensmittel, Ausrüstung und vor allem die Schulden, die noch aus schlechteren Jahren anstanden. 

„Viele kamen aus der Kreditfalle nie mehr raus und vererbten die Schulden an die nächste Generation“, sagt Johnny. Auch das habe dazu geführt, dass zwischen 1810 und 1910 eine Million Norweger in Amerika eine bessere Zukunft suchten.

Auch Kinder profitieren vom „Gold der Lofoten“

Wie die Rorbuer, die heute als urige Touristenunterkünfte fungieren, gehören auch die Trockengestelle für den Skrei zum Bild der Lofoten. Nach drei Monaten im Wind geht er als Stockfisch vor allem nach Italien sowie Spanien und Portugal. Das ist heute noch so, obwohl der Edelfisch auch fangfrisch europaweit geschätzt wird. 

Der „Wanderer“, wie Skrei aus dem Altnorwegischen übersetzt wird, hat nämlich auf seiner langen Reise festes Fleisch bekommen und jegliches Fett verloren. 2.000 Menschen sind noch am Skreifang vor den Lofoten beteiligt, und von der ersten Sichtung meist im Februar bis zum Ende der Saison am 30. April, dreht sich vieles um den Fisch. 

In Morgenröte gefärbter Himmel, im Vordergrund die Silhouette von Häusern und Landschaft
Sonnenaufgang im Lofotenwinter Foto: Jock

Nachhaltig, mit Leinen geangelt und seit 2005 eine geschützte Marke, gilt er nach wie vor als „Gold der Lofoten“. Auch für viele Kinder der Inseln, die in die Tradition hineinwachsen, schildert Familienvater Vegeir Selboe. 

Ab sechs Jahren darf man in den Fischfabriken die „Zunge“ der Fische herausschneiden – der Muskel unter dem Fischmaul gilt als besondere Delikatesse. „Wer flink ist, kann dabei ordentliche Summen verdienen“, sagt Vegeir.

Bei Gunnar Berg

Viel Geld machte auch Lars Todal Walum Berg, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Svinøya, der Insel vor der Haupstadt Svolvær, allein 100 Rorbuer besaß. Sein Sohn trat dennoch nicht in seine Fußstapfen – Gunnar Berg ging nach Düsseldorf, später nach Berlin und wurde einer der bedeutendsten Kunstmaler Nordnorwegens. 

Die letzte Wikingerschlacht.
Lehrer Johnny Kløften über die Trollfjordschlacht

Johnny bittet hinüber in die Galerie, wo Bergs Gemälde von der „Trollfordschlacht“ hängt. „Die letzte Wikingerschlacht“, sagt er. 6.000 arme Fischer haben sich 1890 gegen die Großbesitzer, die hohen Zoll für das Fischen in dem engen Fjord forderten, gewehrt. 

Mit Erfolg: Das Parlament entschied letztlich zugunsten der Fischer. „Ein Riesensieg – die Freiheitsglocken läuteten von Bergen bis Kirkenes und wieder zurück“, endet Johnnys mitreißende Geschichtsstunde.

Das besondere Licht der Lofoten zieht Künstler an

Vor allem das Leben auf den Lofoten hat Berg auf seine Leinwände gebannt, aber freilich auch die schroffen, bis zu 1.000 Meter hohen Berge der Lofotenwand, die zerklüfteten Fjorde, die Mitternachtssonne und das Polarlicht. 

Mehr von ihm gibt es im 25 Kilometer entfernten Henningsvær zu sehen – die Galerie Lofotens Hus ist den Meistern der „goldenen Zeit“ der Lofotenmalerei zwischen 1870 und 1930 gewidmet. Außer Berg begegnet man etwa Otto Sinding mit seinen Panoramagemälden, Even Ulving, Ole Juul und Thorolf Holmboe. 

Das besondere Licht hat von jeher Künstler angezogen – und tut es noch heute. Ateliers und Galerien gibt es viele auf den Lofoten, Kunsthandwerker lockt die Inselgruppe ebenso an wie Fotografen und Filmemacher.

Zeitgenössische Kunst in der alten Fischfabrik

Zeitgenössische Kunst der Spitzenklasse findet man in Henningsvær ebenfalls: In der früheren Fischkonservenfabrik „Kaviar Factory“ präsentiert die Sammlerin Venke Hoff wechselnde Ausstellungen. 2006 haben sie und ihr Mann Rolf das Gebäude erworben und zu einer faszinierenden Galerie umgebaut. 

Wie eine Eisquader, der von der Wind und Gischt zusätzlich glattgeschrubbt wurde, liegt der Bau direkt am Wasser – und eröffnet den Besuchern zwischen den Kunstwerken Ausblicke auf die grandiose Natur vor dem Fenster. 

Zwischen Bergen und Meer fliegen immer wieder Seeadler vorbei, und selbst Wale hat sie hier schon gesichtet, erzählt Venke. Ihr zweiter Standort in Henningsvær ist der frühere Leuchtturm, den Yoko Ono Anfang 2018 nutzte, um sechs Wochen lang ihre Liebesbotschaft „Onochord“ am Nachthimmel erstrahlen zu lassen. 

Bestens vernetzt ist sie also in der Kunstszene, das ist ihr Kapital, sagt Venke. Und doch müsse sie immer wieder für ihr Haus trommeln. Erreicht hat sie so, dass inzwischen auch ein Ausflug für Hurtigruten-Touristen zu ihr führt.

Galerie, Werkstatt, Museum

Eine skurile Sammlung haben Thor Erdahl und Inge Anne Nyass. Der Maler und die Textilkünstlerin führen in Kabelvåg ein Haus, das Galerie, Werkstatt, Museum, Kunstladen und Kulturzentrum ist. Thors großformatige, bunte Werke der Lofoten finden sich ebenso wie phantasievoll umgestaltete Gebrauchsgegenstände und Produkt-Design früherer Zeiten. 

Ein Mann und eine Frau in einem Raum voller Kunst
Maler Thor Erdal und Textilkünstlerin Inger Anne Nyaas haben in Henningsvær ein sehenswertes Haus. Foto: Jock

Und auch das Gebäude ist Kunst: In den Berg hinein gebaut, lohnt sich jede einzelne Stufe, die in den nächsten Raum und zur nächsten Entdeckung führt.

Hinauf zu König Øystein

Hinauf geht es auch zu König Øystein: Auf einer Anhöhe über dem Dorf steht seit den 1935 Jahren eine riesige Statue des Wikingerherrschers, der vor 900 die erste Kirche und die ersten Rorbuer der Lofoten bauen ließ. 

Lohn für den Aufstieg ist hier eine grandiose Aussicht aufs winterliche Kabelvåg, das erst im 20. Jahrhundert seine Bedeutung ans fünf Kilometer entfernte Svolvær verlor – weil Kabelvågs Hafen zu klein und zu flach für die neuen Fangschiffe war.

Im Reich des Seeadlers

Svolværs Hafen ist auch Ausgangspunkt vieler touristischer Touren. Auch im arktischen Winter kann man mit dem RIB-Schlauchboot aufs Wasser und mit 70 Kilometern pro Stunde ins Reich der Seeadler brettern. Dass man sich, Golfstrom hin oder her, dafür warm anziehen sollte, ist selbst den norwegischen Outdoor-Spezialisten klar: Die Touristen werden in Thermo-Overalls, dicke Stiefel und Handschuhe gepackt, ehe das Speedboot ablegt. 

Eisig ist es dennoch, aber atemberaubend ist vor allem, was durch die Schutzbrille zu sehen ist: Eine schneebedeckte, wilde zerklüftete Fels- und Wasserlandschaft, von der Wintersonne in alle Blau- und Grautöne getaucht, scheint vorbeizufliegen. 

Als Trygve Steen den Motor drosselt, lässt sich der König der Lüfte nicht lange bitten: Im Sturzflug nähert er sich der Wasseroberfläche, fährt die Klauen aus und krallt sich den zugeworfenen Fisch, noch ehe dieser aufs Wasser klatscht. 

Fast ebenso schnell tragen ihn seine mächtigen Schwingen wieder nach oben – verfolgt von den Augen der atemlosen Touristen, die mit klammen Fingern die Auslöser ihrer Kameras bedienen.

Lofoten: Wenn das Nordlicht tanzt

Nicht ganz so leicht wie die Seeadler lässt sich die Top-Attraktion des Lofotenwinters mit der Kamera festhalten. Aber eigentlich sind die Minuten, in denen das Nordlicht über den Berggipfeln tanzt, auch viel zu schade, um sich mit Belichtungszeit und Blendengröße zu beschäftigen. 

Ein grüner Schimmer wird zur Linie, dann zur Welle, strömt über den Nachthimmel, ergießt sich gleich einem Wasserfall bis zum Horizont und taucht ins Violette ab – das Feuerwerk auf Norwegisch toppt jedes menschengeschaffene Kunstwerk und ehrlich gesagt auch jeden arktischen Sonnenaufgang. 

Auch wer Aurora borealis häufiger begegnet, und sei es beim Einkaufen oder beim Müll rausbringen, ist von ihrem Zauber gefangen, sagt Ellen Kachel, die in Nordnorwegen zu Hause ist. Wir liegen auf dem Rücken im Schnee und verfolgen fasziniert, wie das Nordlicht seine wilden Kreise zieht. Ein bisschen kalt ist es jetzt schon im arktischen Winter – aber keineswegs dunkel.

Extratipp für die Lofoten:

Bodø, die Hauptstadt der Provinz Nordland, ist nicht nur Drehkreuz auf dem Weg zu den Lofoten, sondern auch einen längeren Zwischenstopp wert. Nicht umsonst zur Kulturhauptstadt 2024 gekürt, hat es von Orgelmusik über Jazz und Folk bis Elektro und Rock eine ganze Reihe Festivals im Jahresprogramm. 

Faszinierende Veranstaltungsorte gibt es im Kulturzentrum Stromen – einem schon architektonisch ansprechenden Konzert- und Theaterhaus mit bester Akustik und einer Bibliothek, die weitaus mehr als Bücher zu bieten hat. 

Als vielfältiger Kulturtempel, den auch die jungen der rund 50.000 Einwohner Bodøs bespielen dürfen, ist sie konzipiert, als Treffpunkt für alle, auch wenn sie vielleicht nur einen Kaffee trinken und den großartigen Blick auf den Westfjord und die Lofotenwand durch die Panoramafenster genießen wollen.

Street Art aus aller Welt

Kunstliebhaber werden in Bodø nicht nur in Galerien fündig, sondern auch beim Gang durch die Straßen: Zum UpNorth Festival 2016 verewigten sich Streetart-Größen aus der ganzen Welt auf den Hauswänden. 

Nicht weit von in Bodø lockt mit dem „Saltstraumen“ eine einzigartige Naturattraktion: Durch die 150 Meter breite und 31 Meter tiefe Passage rauscht der weltweit stärksten Gezeitenstrom und transportiert alle sechs Stunden 400 Millionen Kubikmeter Wasser hin und her und lässt es in riesigen Strudeln rotieren. 

Auf einer Hauswand ist ein Gemälde von zwei unterschiedlichen Menschen. Der eine Mensch gibt dem anderen einen Kuss auf die Stirn
„Kuss zwischen Kulturen“: So heißt das Werk der Argentinierin Animalito, da zum UpNorth Festival 2016 in Bodø entstand. Foto: Jock

Auch ein ein Ausflug ins 40 Kilometer entfernte Kjerringøy lohnt: Der alte Handelsplatz mit authentischen Wohn- und Wirtschaftshäusern aus dem 19. Jahrhundert nimmt die Besucher nicht nur mit in die Vergangenheit Nordnorwegens, sondern ist auch ein eine atemberaubende Landschaft eingebettet. 

Bodø kann grundsätzlich mit seiner grandiosen Umgebung wuchern – in der der Seeadler zu Hause ist und über der im Winterhalbjahr das Nordlicht tanzt.

Informationen

Anreise: Ab Frankfurt nach Oslo und weiter nach Bodø, mit Lufthansa und SAS ab 200 Euro hin und retour. Von Bodø nach Svolvær dauert ein Flug mit Wideroe 25 Minuten (ab 50 Euro). Zudem bedienen Fähren die Route regelmäßig (dreieinhalb Stunden, ab 17 Euro)und die Hurtigruten täglich (sieben Stunden via Stamsund, ab 55 Euro). Ab Frankfurt nach Oslo und weiter nach Evenes auf den Lofoten bieten Lufthansa und SAS ab etwa 250 Euro an.

Rorbuer: Etwa Svinøya Rorbuer, Gunnar Bergs vei 2, N-8300 Svolvær, Übernachtung inkl. Frühstück im DZ ab 150 Euro.

Lofoten-Fischerei: Geführter Spaziergang durch das Fischerdorf Svinøya, etwa 37 Euro,

Seeadler: Seeadler RIB safari, XXLofoten, J.E. Paulsens Gate 9, N-8300 Svolvær, etwa 90 Euro,

Kunst:

– Kaviar-Fabrik, Hennningsværveien 13, PB 2, N-8312 Henningsvær,

– Galleri Lofotens Hus, Öffnungszeiten: März-Mai jeweils 10-16 Uhr, Juni-Mitte September jeweils 9-17 Uhr, Mitte September-Februar auf Anfrage, etwa 12,50 Euro, Kontakt: post@galleri-lofoten.no,

– Galleri Lille Kabelvåg, Torggata 19, N-8310 Kabelvåg, geöffnet Samstag und Sonntag 12 bis 15 Uhr

Allgemeine Auskünfte: Visit Norway, Caffamacherreihe 5, 20355 Hamburg, Telefon: 040 22 94 15 0.

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BNN-Redakteurin Susanne Jock erkundete die Region um Henningsvær, Kabelvåg und Svolvær sowie Bodø und Umgebung auf Einladung von Visit Norway und Visit Northern Norway.

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