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Reise

Qingdao ist Chinas „deutsche“ Stadt

Eine deutsche Kolonie war die chinesische Hafenstadt Qingdao einst. Die Kolonialherren nannten die Metropole „Neapel am Gelben Meer“. Ist der chinesische Badeort auch heute noch eine Reise wert?

An einer modernen asiatischen Straße stehen alte Häuser in europäischem Stil
In Qingdao im Nordosten Chinas erinnert noch vieles daran, dass die Region 17 Jahre lang ein Deutsche Kolonie war. Qingdao pflegt sein Erbe - und gilt in China als „deutsche“ Stadt. Foto: Jock

Der Bräutigam trägt Mintgrün, die Braut zartes Violett. Der Fotograf sitzt ihnen zu Füßen auf der Fahrbahn, um die zaghafte Berührung ihrer Lippen aus der besten Perspektive einzufangen. Über den beiden wölbt sich ein geschlossenes sattgrünes Blätterdach. Auch farblich werden die Hochzeitsbilder beeindrucken, wenn sie den Gästen am „großen Tag“ gezeigt und geschenkt werden. Der aber ist wohl noch in weiter Ferne: Monate vor der Heirat lassen sich die Paare gewöhnlich ablichten, so ist das in China üblich.

Mit den Klischees vom Reich der Mitte hat die Location des Foto-Shootings so gar nichts gemein: Im Villenviertel Badaguan in Qingdao wähnt man sich irgendwo in Europa. Im deutschen, skandinavischen oder spanischen Stil sind viele der rund 100 Anwesen erbaut. 

Deutsche, russische, japanische und chinesische Architekten haben sich hier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgetobt. Entstanden ist ein wilder Mix unterschiedlichster Baustile und Materialien.

Für die einheitliche Linie sorgt das Grün der acht schachbrettartig verwebten Alleen. Ausschließlich Roter Ahorn spannt seine Blätter über das Brautpaar – die Baumart ist charakteristisch für die Jiayuguan Li. Holzapfel, Kräuselmyrte, Zeder, Pfirsich, Pinie und Ginkgo säumen jeweils eine der Nachbarstraßen.

Qingdao ist einer der wenigen Badeorte Chinas

Auch ein paar Meter weiter unten am Badestrand Nummer 2 an der Taiping Bay posen Brautpaare für die Fotografen. Die Saison ist noch jung, das Wasser des Gelben Meers mit knapp 20 Grad manchem noch zu frisch. Im Hochsommer drängen sich hier und an den anderen Stadtstränden die Urlauber im feinen weißen Sand – Qingdao ist einer der wenigen Badeorte Chinas.

Denkmal für den „Sturm“ gegen die japanischen Besatzer

Ein anderes Gesicht Qingdaos zeigt sich am neuen Zentrum rund um den Platz der 4. Mai-Bewegung, wo ein knallrotes, haushohes Monument den Sturm symbolisiert, den 1919 Demonstrationen gegen die japanischen Besatzer auslösten. Flanieren, sehen, gesehen werden und per Selfie dokumentieren heißt es rund um das Denkmal und an der langen Promenade entlang des Olympiahafens, wo sich Souvenirshop an Souvenirshop reiht. 

Die Segelwettbewerbe wurden 2008 im der Fushan-Bucht ausgetragen. Drachen stehen über dem Wasser und vor der Kulisse der futuristischen Wolkenkratzer. In großen Gruppen stellen sich chinesische Touristen vor der gewaltigen olympischen Fackel auf und strahlen in die Kameras. Auch nachts noch, wenn die riesigen olympischen Ringe an der anderen Seite der Bucht in die Dunkelheit brennen. Ein weiteres Foto, das die Vielfalt Qingdaos dokumentiert.

Dessen Entwicklung vom Fischerdorf zur heutigen Acht-Millionen-Metropole prägen Ende des 19. Jahrhunderts deutsche Kolonisten: 1898 lässt Kaiser Wilhelm die Bucht annektieren, um den deutschen Einfluss im Fernen Osten auszudehnen, und erzwingt letztlich einen Pachtvertrag auf die üblichen 99 Jahre.

17 Jahre deutsche Kolonie

Der Hafen, der auch zum Stützpunkt der legendären SMS Emden wird, und die Eisenbahnlinie zur Provinzhauptstadt Jinan, an deren Verlauf die Kolonisten Kohle für ihre Kriegs- und Handelsschiffe abbauen lassen, gehen auf die Deutschen in ihrem „Schutzgebiet“ zurück.

Die schätzen „ihr“ Qingdao offensichtlich, besiedeln es in eigenen Vierteln mit Gebäuden im Wilhelminischen Stil. Und würdigen es als „Neapel am Gelben Meer“ – ein Beiname, auf den heute kaum ein Reiseveranstalter verzichtet, wenn er für die Stadt wirbt. Tatsächlich liegt Qingdao sogar weiter südlich als ihre italienische Namenspatin – etwa auf der geografischen Breite Siziliens.

Fachwerk und deutsches Bier

Nach 17 Jahren endet 1914 die deutsche Kolonialherrschaft, die Japaner übernehmen die Stadt von 1914 bis 1922 und im Zweiten Weltkrieg noch einmal. Doch auch heute noch gilt Qingdao in China als „deutsche Stadt“, sagt Jun Xia, der beim Tourismusverband der Provinz Shandong arbeitet. 

Fachwerk und deutsches Bier, das sind nicht nur für ihn Inbegriffe des Deutschen. Und beides gibt es – mit chinesischem Touch – in Qingdao reichlich. Als „Germania Brauerei“ 1903 gegründet, ist Tsingtao heute die größte Brauerei Chinas und exportiert ihre Biere in mehr als 80 Länder.

Auf die Spuren der wechselvollen Geschichte kann man sich im Brauerei-Museum begeben und dabei die ursprünglichen Produktionsanlagen und Laboratorien bestaunen. Produziert wird in der historischen Stätte allerdings nur noch ungefiltertes Bier – das auch zum Abschluss der Führung im alten Braukeller verkostet werden kann. 

Und auf der einstigen „Hauptmann-Müller-Straße“, an der die Brauerei liegt: Die Dengzhou Lu ist Qingdaos „Bier Straße“, an der sich Kneipe an Kneipe, Kiosk an Kiosk reiht. Dort gibt es das frische Bier vom Fass auch „to go“ – im Plastikbeutel mit Strohhalm. „Gan bei“ (Prost und exen) heißt es aber besonders häufig ab Mitte August in Qingdao: beim chinesischen Oktoberfest. 

Hunderte Biere aus aller Welt, vor allem aber freilich Tsingtao, kommt dort in die Gläser. Erkennungszeichen auf dessen Etikett ist seit Jahrzehnten die Zhan Qiao Pier – einst wichtige Landungsbrücke und Umschlagplatz, heute mit dem „Hui Lan Ge“, dem „Pavillon der brechenden Wogen“ an seiner Spitze vor allem touristische Attraktion.

Viel chinesischer Alltag

Nicht weit ist es von hier in die Altstadt mit der einstigen kaiserlichen Post – heute Post- und Telekommunikationsmuseum – jeder Menge weiterer Kolonialbauten und viel chinesischem Alltag: Bauern verkaufen an vielen Straßenecken Obst und Gemüse direkt vom Lastwagen, Wäsche trocken an zwischen Bäumen und Laternen gespannten Leinen am Straßenrand, auf einem zentralen Platz werden Karten und chinesisches Schach gespielt, Schuhe repariert und Haare geschnitten. 

Weiter übers Kopfsteinpflaster geht es hinauf zur St. Michaels-Kathedrale auf einer Hügelkuppe. Den Bau der katholischen Kirche hatten die Deutschen um 1900 noch geplant – fertig wurde sie aber erst 1934. Heilige Messe wird bis heute dort gefeiert. Begehrt ist die Kirche auch bei den chinesischen Brautpaaren – als Kulisse für die Hochzeitsfotos.

Qingdao baut fünf U-Bahn-Linien gleichzeitig

So beschaulich-provinziell Qingdao in dieser Ecke scheint, so rasant entwickelt es sich an vielen anderen: Hochhaus um Hochhaus wird hochgezogen, an fünf U-Bahnlinien gleichzeitig gebaut. Der enorme Autoverkehr funktioniert dennoch irgendwie – auch dank modernster Leitsysteme. 

Die mit 42 Kilometern längste Meerbrücke der Welt verbindet seit 2011 Qingdao mit dem Distrikt Huangdao, ebenso wie ein 7,8 Kilometer langer Tunnel unter dem Meer. Gerade fertig ist der neue, hochmoderne Bahnhof, in Betrieb aber auch weiterhin der alte, an den sich noch der koloniale Bahnhofsbau anschließt. 

Angefahren wird der von den Hochgeschwindigkeitszügen zwischen Peking und Shanghai – beste Voraussetzungen also auch für Touristen aus alle Welt, bei ihrer Chinareise auch in Qingdao Station zu machen.

Viel Sehenswertes in der ganzen Provinz

Und von dort Abstecher in die gesamte Provinz Shandong zu unternehmen, die als Halbinsel weit ins Gelbe Meer hineinragt. Zum Laoshan-Gebirge 30 Kilometer östlich Qingdaos etwa, wo das Wasser fürs Tsingtao-Bier gewonnen wird und ein Naturpanorama direkt am Meer mit tiefen Schluchten und mächtigen Felsformationen beeindruckt. Daoistische Tempelanlagen wie der Taiging Gong, über die eine riesige Laotse-Skulptur wacht, finden sich mehrere in der Region.

Oder gleich zum 1545 Meter hohen Taishan – dem wichtigsten der fünf heiligen Berge des Daoismus, zu dem die Chinesen seit 3000 Jahren pilgern. Seit 1987 mit seinen vielen taoistischen und buddhistischen Tempeln Weltkulturerbe, lockt er in unserer Zeit mehr als sechs Millionen Besucher an.

Yantai wartet darauf, auch vom internationalen Tourismus entdeckt zu werden

Drei Autostunden nordöstlich von Qingdao wartet eine andere Metropole Shandongs darauf, endlich auch vom internationalen Tourismus entdeckt zu werden: Die Sieben-Millionen-Stadt Yantai, die ihren Namen „Rauchende Plattform“ ihrer strategischen Bedeutung am Bohai Meer verdankt – Signalfeuer brannten hier schon vor Jahrhunderten. 

Auch bei der Burg Penglai, ebenfalls an der Nordküste der Halbinsel gelegen und heute einer der Hotspots Chinas – eine 5A-Attraktion, wie dies hier heißt. Den „acht Unsterblichen“ die hier zu ihrem Gang übers Bohai Meer gestartet sein sollen, ist der wichtigste Pavillon der verzweigten Tempelanlage gewidmet.

Shandong ist Wein-, Nudel- und Baozi-Land

Schon bei der Fahrt nach Yantai und Penglai über die nagelneue Autobahn zieht viel charakteristisches Shandong vorbei: Obstplantagen und Gemüsefelder, soweit das Auge reicht. Auch Weizen, Süßkartoffeln, Erdnüsse, Feuerbohnen und Baumwolle gedeihen im günstigen, gemäßigten Klima, zählt Jun Xia auf. Reis hingegen gehört in den Süden und kommt höchstens einmal pro Woche auf den Tisch, stellt er klar. 

Der Norden ist Nudelland, Spezialität Shandongs sind „Baozi“ – im Dampf gegarte Hefeklöße mit vielfältigen Füllungen. Fisch und Meeresfrüchte stehen zudem frisch und in großer Vielfalt auf dem Speiseplan der Region. Doch statt auf Tsingdao-Bier setzt man hier oben bei Yantai auf ausgezeichneten Wein. 

Zwischen Zypressen und Lavendel schmiegen sich die Reben an die sanften Hügel – Südfrankreich lässt grüßen. Experten aus den Weinländern der ganzen Welt haben sich die Chinesen ins Land geholt. In Yantai ist gleich ein ganzes Museum dem edlen Rebensaft gewidmet. Gründete hier doch der Unternehmer Zhang Bishi 1892 die Changyu-Kellerei – die heute dank massenhafter internationaler Kooperationen auf dem Sprung zum größten Wein-Imperium weltweit ist. 

Busladungsweise fahren die Touristen vor, um sich durch die Ausstellungsräume und die Keller mit den riesigen Fässern führen zu lassen. Langnasen sind hier selten und werden entsprechend taxiert oder auch mal ungefragt fotografiert.

Auch auf den Freimarkt am Hafen, wo die Bauern und Fischer alles, was Meer und Erde hergeben, feilbieten, verirrt sich kaum ein Tourist. Obwohl es dort so viel Faszinierendes zu entdecken gibt. Das gilt auch für die Altstadt mit ihrem Kopfsteinpflaster und das alte Konsularviertel. 

Auch für die breite Strandpromenade, an der ein dynamisches Denkmal daran erinnert, dass Yantai einst ein Fischerdorf war. Und erst recht am feinsandigen Strand, wo das trübe Wetter zugegebenermaßen nicht zum Baden einlädt. Und doch sind sie auch hier – die Brautpaare mit ihrem Tross auf der Suche nach dem perfekten Hintergrund für die Hochzeitsfotos.

Informationen zur China-Reise

Anreise: Direktflüge ab Frankfurt bieten Lufthansa und Air China ab 700 Euro hin und retour, Flugdauer 12 Stunden 20 Minuten. Der Zeitunterschied beträgt im Sommer sechs Stunden. 

Einreise: Für die Einreise ist ein Visum erforderlich, das man beim China Visa Application Service Center beantragen kann. Gefordert wird ein mindestens noch sechs Monate gültiger Reisepass, Kosten derzeit 161,15 Euro inklusive Versand.

Unterkünfte: Gibt es in Qingdao für jeden Anspruch. Ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bietet etwa das Copthorne Hotel im neuen Zentrum mit 85 Euro fürs Doppelzimmer.

Reiseveranstalter: Chinatours hat die Provinz Shandong mit Qingdao, Yantai und Penglai in mehreren China-Rundreisen – zum Beispiel 13 Tage „Auf den Spuren von Konfuzius: Philosophen, Heiliger Berg und Tsingtao-Bier“ – und schnürt auch individuelle Pakete.

Weitere Infos: Allgemeine Informationen zum Reisen in China gibt es hier. Ausführliche Informationen zu Qingdao und seiner Geschichte gibt es auch auf der privaten Internetseite www.oldqingdao.de

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