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Weltkulturerbe auf Gran Canaria

Wo heute noch Höhlenmenschen leben

Sonne, Strand, Meer und ein ganzjährig mildes Klima, das verbinden die meisten mit Gran Canaria. Doch die drittgrößte der kanarischen Inseln hat weit mehr zu bieten.

Kanarische Höhlenwohnung von außen.
Etwa 55 Menschen leben heutzutage noch in den Höhlenwohnungen in der Guyadeque-Schlucht auf Gran Canaria. Foto: Anja Groß

Isabel sitzt auf einem Mäuerchen entlang der Stufen, die zu ihrer Höhle hochführen, und genießt die Sonne. „Das tut gut“, sagt die 85-Jährige und nickt den vorbeilaufenden Touristen freundlich zu. Die besuchen Gran Canaria im Herbst und Winter natürlich vor allem wegen des ganzjährig frühlingshaften Klimas mit Temperaturen von durchschnittlich 24 Grad. Mit zehn Stunden Tageslicht in den Wintermonaten lockt die drittgrößte der kanarischen Inseln viele Nordeuropäer auch zum Überwintern.

Alte Frau sitzt in der Sonne.
Die 85-jährige Isabel ist Höhlenbewohnerin aus Überzeugung. Foto: Anja Groß

Wem die Atlantik-Strände im kargen, stark touristisch geprägten Süden des Eilands zu wenig sind, der kann auf Gran Canaria Kontraste entdecken: Der Besuch einer Bananenplantage oder der Rumfabrik in Arucas ist lohnenswert. Vor allem aber bietet sich auf einer Tour ins grüne Innere Gran Canarias ein ganz anderer Blick auf die Insel, die schon Christoph Kolumbus als Zwischenstopp auf seinen Expeditionen genutzt hat.

Jüngstes Weltkulturerbe Spaniens

Und was viele nicht wissen: Die Kulturlandschaft der heiligen Berge mit Terrassenfeldern, einem alten Wegenetzwerk und zahlreichen Höhlensiedlungen der prähispanischen Inselkultur ist seit 2019 Weltkulturerbe. Warum? Sie hat sich seit der Ankunft der Berbervölker aus Nordafrika vor etwa 2.000 Jahren bis zur Landung der ersten Spanier im 15. Jahrhundert isoliert entwickelt, heißt es in der Begründung des Unesco-Komitees.

Dass sich das Wohnen in Höhlen bis heute fortsetzt, ist erstaunlich. Nach den Ureinwohnern vor allem von Hippies bewohnt, bauen viele Kanarier sich daraus heute luxuriöse Wochenenddomizile, erzählt Reiseleiter Manuel Medina: „Auf der Westseite der Insel gibt es aktuell etwa 2.400 Höhlenwohnungen, in denen es heute nicht an Komfort fehlt.“ Wer ein besonderes Domizil sucht, kann sie über Internetportale auch als Ferienwohnung buchen. Platzangst sollte man aber nicht haben.

Frau vor Hauseingang
Isabel (85) und ihre Tochter Isabel (52) vor der Höhlenwohnung der Familie in der Guyadeque-Schlucht auf Gran Canaria. Foto: Anja GRoß

Doch es gibt nach wie vor auch zahlreiche Kanarier, die wie Isabel in so einer besonderen „Casa“ leben – sie seit ihrer Hochzeit, ihre Schwiegermutter, die 103 Jahre alt wurde, sogar ihr ganzes Leben lang, wie die alte Dame lachend erzählt. Die Wohnung an sich sei vor 100 Jahren gebaut worden, sagt Isabels Tochter, die ebenfalls Isabel heißt.

Die 52-Jährige ist hier zusammen mit sieben Geschwistern aufgewachsen. Ihr Bruder lebt mit seiner Familie immer noch in der Höhlenwohnung. Die kleine Gemeinschaft, die Abgeschiedenheit der Höhlensiedlung Cuevas Bermeja nordwestlich von Ingenio und Agüimes in der Guyadeque-Schlucht sei etwas Besonderes, findet Isabel. Heutzutage leben hier noch etwa 55 Menschen.

Meine Eltern haben die Höhle ausgebaut.
Isabel
ist in einer Höhlenwohnung aufgewachsen

„Meine Eltern haben die Höhle ausgebaut“, erzählt sie, während sie auf der Terrasse vor der Höhle mit der Hausnummer 17 bunte Armbänder flicht. Die verkauft sie an die Touristen, denen ihre Mutter einen Blick in ihre Höhlenwohnung gewährt. Sie selber komme meist am Wochenende mit ihrem Sohn Gabriel zu Besuch.

War das mit zehn Personen nicht eng in den kleinen Räumen? „Nein, das haben wir nicht so empfunden“, sagt Isabel. Mittlerweile lebt sie mit ihrer Familie näher an der Küste, näher an Arbeitsplatz und Schule. Aber sie könnte sich auch vorstellen, wieder ein „Höhlenmensch“ zu werden.

Blick in ein Zimmer.
Blick in Isabels „Wohn- und Schlafhöhle“ in der Guyadeque-Schlucht.. Foto: Anja Groß

Ausgehöhlt wurden und werden die Behausungen aus dem weichen Tuffgestein, das die Vulkaninsel prägt. Die Decke ist etwas mehr als mannshoch, Tageslicht hat Isabels Wohn- und Schlafzimmer nicht. Doch heutzutage gibt es Strom und Wasser, Toilette und Küche. Viele bauen auch kleine Fenster ein, durch die Tageslicht einfallen kann. An die Wohnhöhlen schloss sich einst auf der oberen Ebene ein Vorratsspeicher an. Dieser konnte sich über mehrere Stockwerke erstrecken. Die einzelnen Kammern des Speichers waren dabei durch Tunnel und Durchgänge miteinander verbunden. Viele Höhlenwohnungen haben auch einen Vor- oder Aufbau nach außen – je nach Platz und Topografie.

Wasserlauf in der Guyadeque-Schlucht.
In der Guyadeque-Schlucht gibt es Wasser und fruchtbaren Boden, deshalb siedelten hier schon die Ureinwohner. Foto: Anja Groß

„Bis 2001 gab es hier einen kleinen Laden zum Einkaufen“, erzählt Isabel, „früher auch eine Schule“. Heute sind Arzt, Schule und Supermarkt im rund fünf Kilometer entfernten Ort. Aber die Kapelle gibt es noch – natürlich in einer Höhle. Genau wie die Bar „Guayadeque“ und das Restaurant „Tagoror“. Mit dem besonderen Ambiente und kanarischer Küche sind sie bei Einheimischen sehr beliebt und deshalb an den Wochenenden stets gut besucht. Auch Wanderer kommen gerne in die Schlucht, in der es einige ausgeschilderte Wanderwege gibt.

Mann vor Bananenpflanze
Juan Carlos Santana erklärt auf der Plantage in Arucas den Anbau der kanarischen Cavendish-Bananen, die kleiner und süßer sind als die bei uns bekannten Sorten. Foto: Anja Groß

Einige der ältesten und wichtigsten archäologischen Funde der Insel stammen aus der Guayadeque-Schlucht, wo schon die Ureinwohner in Höhlen lebten. Denn dort gab es Wasser und durch die Passatwinde eine hohe Luftfeuchtigkeit sowie fruchtbaren, vulkanischen Boden. Es gedeihen neben Eukalyptus- und Pinienbäumen vor allem Mandel-, Mango- und Avocadobäume, Kartoffeln, Bananen oder Zuckerrohr, um nur einige zu nennen.

Wer sich weiter auf die Spuren der Ureinwohner begeben möchte, dem sei ein Besuch im höchstgelegenen Dorf der Insel, Artenara, empfohlen. Der Weg dorthin schraubt sich über die kurvige, enge Landstraße auf rund 1.270 Meter Höhe – mit atemberaubenden Ausblicken in Schluchten, auf grüne Berghänge und einzigartige Felsgebilde.

Höhlentempel Risco Caído
Im Höhlentempel Risco Caído wird gezeigt, wie die kanarischen Ureinwohner einst vermutlich den Lichteinfall für astronomische Berechnungen und als Kalender genutzt haben. Foto: Anja Groß

Dort befindet sich neben weiteren Höhlenwohnungen der mehr als 2.000 Jahre alte Höhlentempel Risco Caído, der erst 1996 entdeckt wurde. Ein Besucherzentrum gibt Einblicke in die archäologischen Funde und einen Bereich, der als astronomisches Observatorium der Ur-Kanarier gilt. Durch eine Öffnung im Deckengewölbe heben die Sonnenstrahlen je nach Jahres- und Tageszeit dort unterschiedliche Motive hervor. Dreieckige Höhlenmalereien verstärken die Eindrücke.

Der ganze Bereich im 18.000 Hektar umfassenden Vulkankessel von Tejeda wird als „heilige Berge“ bezeichnet, weil sich hier zahlreiche Kultstätten der Ureinwohner befanden. Eine davon liegt am Roque Bentayga, auf den man vom malerischen Dorf Tejeda aus einen guten Blick hat. Tejeda gehört übrigens als erster Ort der Kanarischen Inseln der Vereinigung der schönsten Dörfer Spaniens an. Der Steinmonolith Roque Bentayga war einst eine Kultstätte. Er ist zur aufgehenden Sonne und zum markanten Roque Nublo hin ausgerichtet, einem Basaltfelsen, der als Wahrzeichen der Insel gilt.

Archäologische Ausgrabungsstätte mitten in einem Hotelkomplex

Doch auch nahe den Stränden gibt es einige archäologische Funde. Ungewöhnlich liegt die Ausgrabungsstätte Las Crucecitas in Puerto Mogan, das als „Klein Venedig“ von Gran Canaria gilt. Denn der heutige Archäologiepark ist eingebettet in den Hotelkomplex des Mogan Cordial Playa. Seit den 1980er Jahren gab es dort immer wieder Funde. Beim Bau des Hotels 2001 wurden dann auf zwei Hügeln 16 Gräber, Grabhöhlen sowie Skelette und Denkmäler der Ureinwohner entdeckt, die in Fragmenten noch erhalten sind.

Wem also am Hotelpool langweilig wird, der kann über die beiden Hänge flanieren – und bitte nicht erschrecken, wenn aus einem Grab ein skelettierter Schädel herausschaut. Der ist nicht echt, sondern aus Silikon nachgebildet. Ein gewisser Gruselfaktor bleibt allerdings.

Blick auf Roque Bentayga
Vom malerischen Ort Tejeda ist die Kultstätte Roque Bentayga in den Bergen Gran Canarias gut zu sehen. Foto: Anja Groß

Service

www.grancanaria.com

Die Recherche wurde unterstützt vom Spanischen Fremdenverkehrsamt. Über Art und Inhalt des Artikels entscheidet allein die Redaktion.

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