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Nach Schlichtungsversuch der Politik

Großbaustelle Staatstheater: Was in Karlsruhe jetzt geklärt werden muss

2029 soll das Staatstheater Karlsruhe komplett saniert und umgebaut sein. Doch neben der äußeren Baugrube zeigen sich nun zahlreiche interne Gräben. Die politisch Verantwortlichen wollen diese mit einer Reihe an Maßnahmen in den Griff bekommen. Kann das gelingen?

Badisches Staatstheater
2029 soll das Staatstheater Karlsruhe komplett saniert und umgebaut sein. Doch neben der äußeren Baugrube zeigen sich nun zahlreiche interne Gräben. Foto: ONUK

Seitdem immer mehr schwere Vorwürfe gegen die Amtsführung von Peter Spuhler bekannt geworden sind, stellt sich die Frage, wie der offenkundig verfahrene Karren wieder flott zu machen ist. Stadt und Land als Träger des Theaters wollen dies mit einer Reihe an Maßnahmen versuchen.

Angekündigt wurde die Einführung eines Vertrauensanwalts, das Einholen von Stellungnahmen und ein Prozess „Zukunft Staatstheater”. Auch wurde betont, man wolle die Vorwürfe „ernst nehmen” und eine „unabhängige Anlaufstelle” schaffen, damit die Vorwürfe „überprüft und bewertet” werden können.

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Ob sich der Schaden, den die aktuelle Theaterleitung am Haus angerichtet hat, damit beheben lässt, steht auf einem anderen Blatt. Sowohl aus der Außenperspektive wie auch aus den Gesprächen mit Theatermitarbeitern während der BNN-Recherchen in der „Causa Spuhler” zeichnen sich viele interne Baustellen ab. Die drängendsten werden hier im Überblick zusammengefasst.

Betriebsklima

Besonders schlimm steht es offenkundig um das Betriebsklima. Dieses ist nach übereinstimmenden Berichten von zahlreichen Mitarbeitern, die sich nach einem ersten Bericht über Kritik an Spuhler bei den BNN gemeldet haben, von Angst, Arbeitsdruck und persönlichen Attacken geprägt. „Sie glauben nicht, wie viele weinende Menschen ich in den vergangenen Jahren trösten musste”, so einer der Gesprächspartner.

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Stets wird in diesem Zusammenhang auf den Kontrollzwang Spuhlers verwiesen, der als Chef eines Fünf-Sparten-Hauses mit fast 800 Mitarbeitern offenbar darauf besteht, jedes Detail, das sich in der Außenwirkung niederschlagen könnte, persönlich abzusegnen. Dies führe zwingend zu Problemen im Arbeitsablauf, auf die Spuhler wiederum mit cholerischen Anfällen reagiere.

Personalfluktuation

Folge dieses Betriebsklimas ist ein hohes Maß an Personalwechseln, vor allem in den Bereichen Spartenleitung, Dramaturgie und ganz besonders im Marketing. In den vergangenen Jahren hat sich dieser Erosionsprozess dramatisch beschleunigt und ist nun in der Flucht fast der gesamten Opernleitung kulminiert.

In manchen Bereichen ist völlig offen, mit welchem Personal in die nächste Spielzeit gegangen wird. Auch in den Ensembles wurden nie Versuche von Kontinuität erkennbar. Der permanente Wechsel wurde bislang allerdings als Erfolgsmerkmal verkauft: Theater lebe von Austausch und Karlsruhe sei ein „Karrieresprungbrett”. Dies fügt sich in die bisherige Laufbahn von Spuhler, der sich sowohl am Landestheater Tübingen wie auch am Stadttheater Heidelberg als rühriger Entdecker von Talenten zu präsentieren wusste.

Struktur

Karlsruhe ist kein Einzelfall: Die immer noch streng hierarchische Arbeitsstruktur im deutschen Theaterbetrieb ist ein Problem, das weit über den Fall Spuhler hinausreicht. Die Verlängerung der Zeitverträge von künstlerisch Beschäftigten (NV Bühne) hängt praktisch komplett vom Wohlwollen der Theaterleitung ab, denn der für eine Nichtverlängerung erforderliche „künstlerische Grund” lässt sich immer finden. Dies führt dazu, dass bei Missständen lange Zeit Stillschweigen bewahrt wird und Kritik nur anonym geäußert wird.

Inhalte

Als positiver Aspekt der Amtszeit von Peter Spuhler wird oft genannt, er habe das Karlsruher Theater überregional ins Gespräch gebracht. In der Tat versteht er es mit sicherem Instinkt, gesellschaftlich relevante Themen zu bedienen – bis hin zur fast durchweg weiblichen Besetzung der Spartenleitungen vor zwei Jahren, die auch der „New York Times“ einen Bericht wert war.

Intern hingegen wird kritisiert, dass beispielsweise der Opernspielplan mehr von Spuhlers Interesse an Aufmerksamkeit, Auszeichnungen und internationalen Kontakten gestaltet werde als vom Blick für Projekte, die für Orchester, Ensemble und Publikum attraktiv sind. „Wenn die Premiere vorbei ist und gute Presse hatte, dann ist ihm egal, wie die Aufführungen laufen“, so ein Gesprächspartner.

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Neues Repertoire, das auch für die Entwicklung der Sänger wichtig sei, werde nicht aufgebaut. „Selbst sichere Renner wie ‚La Bohème‘ werden so produziert, dass sie bald wieder vom Spielplan verschwinden“, so ein Beteiligter. Von den rund 55 Musiktheater-Produktionen seit 2011 hat nur die Operette „My Fair Lady“ mehr als eine Wiederaufnahme erlebt.

Standortsicherung

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit kommunizierte Peter Spuhler offensiv sein Bestreben, das Theater als Institution zukunftssicher zu machen. Hauptmaßnahmen hierfür waren die Gründung des Jungen Staatstheaters, eine proklamierte „Öffnung” zur Stadt hin und die Einladung zur Partizipation, vor allem in der Sparte „Volkstheater”.

Das Kerngeschäft mit publikumsträchtigen Produktionen hingegen läuft durchwachsen. Auch wenn jährlich gute Auslastungszahlen vorgelegt werden, ist der Besucherrückgang in der zugkräftigsten Sparte, der Oper, nicht zu übersehen. Eine andere Standortsicherung ist die große Sanierungs- und Umbaumaßnahme, die Spuhler nachdrücklich vorangetrieben hat.

Ob eine Verlängerung seines Vertrags bis zur Beinahe-Fertigstellung zwingend notwendig war, ist fraglich: Als er, um nach Karlsruhe zu wechseln, aus einem gerade erst verlängerten Vertrag in Heidelberg ausstieg, wurde der dort von ihm initiierte Theaterneubau trotzdem fertiggestellt.

Vertrauen

Die politischen Entscheidungsträger haben in der bereits vor fünf Jahren aufflammenden Debatte um Spuhlers Führungsstil bislang keine glückliche Figur gemacht. 2015 steckte man viel Geld in eine wirkungslose Mediation, 2018 ignorierte man eine vom Personalrat vorgelegte Mitarbeiter-Umfrage, 2019 verlängerte man Spuhlers Vertrag trotz Warnsignalen aus dem Haus bis 2026.

Und in der jüngsten Stellungnahme werden die Betroffenen kritisiert, aus Missständen an einem mit über 40 Millionen Euro subventionierten Haus „gleich eine öffentliche Debatte“ gemacht zu haben. All dies trägt nicht dazu bei, Vertrauen in eine objektive Aufsicht über die künftige Entwicklung zu wecken.

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