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Weniger als zehn Prozent

Vergütung für Künstler ist erbärmlich: Wer verdient am Streaming von Musik?

Nie war Musik so leicht verfügbar, so individuell nutzbar und außerdem so günstig wie heute. Doch wer verdient eigentlich am Streaming? Und warum geht mein Geld an Lady Gaga, obwohl ich sie nie höre?

Seit 2012 wird der deutsche Musikmarkt zunehmend durch Streaming geprägt, mittlerweile dominiert. Knapp die Hälfte der Deutschen ab 14 Jahren nutzen Musikstreaming. In Zahlen sind das rund 31,8 Millionen Nutzerinnen und Nutzer.
Seit 2012 wird der deutsche Musikmarkt zunehmend durch Streaming geprägt, mittlerweile dominiert. Knapp die Hälfte der Deutschen ab 14 Jahren nutzen Musikstreaming. In Zahlen sind das rund 31,8 Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Foto: IMAGO/Tanya Yatsenko IMAGO/Westend61

Im Bus, im Zug, in der Badewanne, auf der Zugspitze, an der Klimmzugstange, beim Joggen, am Herd und überhaupt zwischen Tür und Angel.

Whoa oh whoa!

Die Doobie Brothers konnten 1972 ja gar nicht ahnen, wohin ihr „Listen To The Music“ einmal führt: Wir tun es „Everywhere“ und können neben diesem 80er-Jahre-Klassiker von Fleedwood Mac jederzeit noch 100 Millionen andere Stücke hören. Musikstreaming rockt den Planeten.

Streaming macht drei Viertel der Umsätze auf dem Musikmarkt aus

Schallplatten? CDs? Die Welt der Musik ist längst keine Scheibe mehr. Seit 2012 wird der deutsche Musikmarkt zunehmend durch Streaming geprägt, mittlerweile dominiert. Doch wer verdient eigentlich am Streaming? Und: „Bloody Mary“! Warum geht mein Geld an Lady Gaga, obwohl ich sie nie höre?

Das Hörvergnügen wird immer bunter und brillanter. Nachwachsende Generationen stets optimierter Kopfhörer verführen zum absoluten Versinken im Klang. Selbst „Über den Wolken“ ist die Freiheit dank heruntergeladener Playlists schier grenzenlos.

Und Soundsysteme mit Multiroom-Lautsprechern, Soundbars und tragbaren Bluetooth-Lautsprechern machen das „Sweet Home“ wo auch immer zum High-Fidelity-Schlaraffenland.

Erster Streaming-Dienst in Deutschland war 2012 Deezer

Musikstreaming ist in Deutschland ein Milliardenmarkt – Tendenz weiter steigend. Als erster Dienst in Deutschland, der Musik in der heute bekannten und verbreiteten Form als Streaming-Service anbot, war Deezer im November 2011 am Start.

Kurze Zeit später, im März 2012, folgte Spotify, der 2008 in Schweden startete und in Deutschland mittlerweile den Markt anführt. Zwischen 2014 und 2018 zogen auch Google, Amazon und Apple Streaming-Services nach.

Musikstreaming
Musikstreaming Foto: BNN

2022 ist Streaming die wichtigste Verbreitungsform für Musikaufnahmen in Deutschland und erlöst, Stand Juni 2022, fast drei Viertel der Marktumsätze, wie der Bundesverband Musikindustrie ermittelte.

Vergütung für Künstler ist bei Spotify und Co. erbärmlich

Doch es gibt auch „The Dark Side Of The Moon“, um es mit Pink Floyd zu sagen: Die Vergütung für Künstler ist erbärmlich. Weniger als zehn Prozent pro Abo gehen an die Urheberinnen und Urheber. Laut Spotify-eigenen Daten generieren weltweit 99 Prozent der vertretenen Musikschaffenden über Spotify maximal 5.000 US-Dollar pro Jahr.

„Es ist positiv, dass Musik heute so gut verfügbar ist“, sagt Michael Duderstädt, Direktor der politischen Kommunikation bei der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (Gema). „Aber es ist auch wichtig, zu differenzieren, wer daran beteiligt ist und wie die Rückflüsse an jene sind, die am Anfang der Wertschöpfungskette stehen.“

Das Hörvergnügen wird immer bunter und brillanter. Nachwachsende Generationen stets optimierter Kopfhörer, längst auch kabellos, verführen zum absoluten Versinken im Klang.
Das Hörvergnügen wird immer bunter und brillanter. Nachwachsende Generationen stets optimierter Kopfhörer, längst auch kabellos, verführen zum absoluten Versinken im Klang. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Um dies in die öffentliche Diskussion zu bringen, hat die Gema eine erste umfassende Studie veröffentlicht, welche die Relevanz von Musikstreaming aufzeigt sowie ihre Strukturen und die Verteilung der Erlöse.

Laut der von Goldmedia durchgeführten Studie nutzen knapp die Hälfte der Deutschen ab 14 Jahren Musikstreaming. In Zahlen sind das rund 31,8 Millionen Nutzer. Mehr als 80 Prozent von ihnen lassen sich intensiv, also täglich oder wöchentlich, digital beschallen. Von den 14- bis 29-Jährigen streamen sogar 84 Prozent ihre Musik.

Durchschnittlicher Umsatz pro Kunde liegt bei 4,29 Euro

Kein Wunder: Nie war Musik so leicht verfügbar, so individuell nutzbar und außerdem so günstig wie heute. Man muss nicht mal zahlen, wenn man Werbung in Kauf nimmt. Ungetrübter wird der Genuss für knapp zehn Euro im Monat.

Wer noch studiert, bekommt das Abonnement bei manchen der gängigen Streaming-Plattformen schon für knapp fünf Euro. Hinzu kommen Modelle wie Familien-Abonnements. Rund zwei Drittel streamen laut Studie über kostenpflichtige Abos. Ein Drittel nutzt kostenfreie, werbefinanzierte Angebote. Der durchschnittliche Umsatz pro Kunde bei Spotify lag im Jahr 2021 bei 4,29 Euro.

2021 wurden 28-mal so viele Titel gestreamt als noch 2013

Im Jahr 2021 wurden demnach über die verschiedenen Dienste in Deutschland insgesamt rund 165 Milliarden Musik-Titel gestreamt. Das sind 28-mal so viele wie 2013.

Außerdem füllen sich die Tanks bei den Plattformen immer weiter. Rund 100 Millionen Titel kann man anklicken. Vom Barock-Altmeister Bach bis zur 22-jährigen gehypten Singer-Songwriterin Beabadoobee.

Musikstreaming
Musikstreaming Foto: BNN

Wer möchte zu alledem schon nein sagen? Nostalgie mit Vinyl ist schön und gut, streamen kann man ja trotzdem. Es ist wie im Schlaraffenland. Ein Musik-Kosmos, der immer größer wird.

Und an dessen Einnahmen vor allem die Dienste selbst verdienen. An die Künstler gehen durchschnittlich 0,4 Cent pro Stream. Für 1.000 Streams gibt es also gerade mal vier Euro.

Für das Geld, das ein Songwriter früher aus dem Verkauf von 1.000 Platten bekommen hat, muss sein Song heute mehrere Millionen mal gestreamt werden.
Helienne Lindvall, Musikerin und Komponistin

„Für das Geld, das ein Songwriter früher aus dem Verkauf von 1.000 Platten bekommen hat, muss sein Song heute mehrere Millionen mal gestreamt werden“, vergleicht die Musikerin und Komponistin Helienne Lindvall in der Gema-Studie.

Für 1.000 Streams verdient ein Musiker rund 4 Euro

„Ich hab Hunger also nehm ich mir alles vom Buffet“, singt Nina Chuba, die mit „Wildberry Lillet“ den Nerv der Zeit trifft. Augenzwinkernd feiert die 24-Jährige den Größenwahn – und wird erhört. Allein dieser Song wurde seit Sommer 2022 bei Spotify mehr als 76 Millionen Mal gestreamt. Länger als 30 Sekunden – wird ein Stream früher abgebrochen, gibt es kein Geld.

Bei dieser Größenordnung von „Wildberry Lillet“ fällt dann auch tatsächlich Geld ab: Nina Chuba hat damit über den Daumen gepeilt bisher gut 300.000 Euro verdient. Monatlich bekommt sie aktuell anhand ihrer monatlichen Hörer rund 20.000 Euro über Spotify.

Auch wenn das nach einer Menge Geld klingt: Es ist längst nicht „alles vom Buffet“. Mehr als das Doppelte aus dem Erlös bei Spotify geht an ihr Label, das – je nach Vertrag – einen Anteil davon an die Künstlerin weitergibt. Spotify selbst hingegen behält 30 Prozent von dem, was ein Song durch die Nutzer erwirtschaftet.

Hip-Hop und Rap profitieren am meisten vom Erlös

Hinzu kommt beim in Deutschland gängigen Pro-Rata-Modell, dass vom Geld der Abonnenten auch Künstler verdienen, die man sich aber niemals anhört. Bezahlt wird also nicht per Stream, sondern das Geld der Nutzer kommt in einen großen Topf und wird nach Marktanteilen ausgeschüttet.

Musikstreaming
Musikstreaming Foto: BNN

Hört sich eine Nutzerin zum Beispiel 100 Mal im Monat Musik der Berliner Rockband Oum Shatt an und sonst nichts, behält Spotify vom Netto eines Zehn-Euro Abonnements rund 2,50 Euro. 40 Cent gehen an die Band und ihr Management und die mehr als fünf Euro Rest an andere Bands.

Das ist als würde man in einem Laden eine CD von Oum Shatt kaufen, damit aber zum Großteil Helene Fischer oder Britney Spears bezahlen, weil die insgesamt mehr CDs verkaufen.

Lady Gaga profitiert vom „Wednesday“-Hype

Gesteuert wird der Geldfluss auch, wenn sich die Massen wie jetzt wegen eines Serien-Hypes auf einen schon fast wieder vergessenen Song stürzen.

Zum Beispiel von Lady Gaga: TikTok hat „Bloody Mary“ aus dem Jahr 2011 beschleunigt unter den abgehackten Tanz von Jenna Ortega in der Netflix-Serie „Wednesday“ gelegt. Damit geht das Lied auch im Original bei den Streaming-Diensten frisch durch die Decke.

Manche Dienste wie SoundCloud und Tidal verteilen das Geld anders: Sie verwenden das User Centric Payment System (UCPS), das die Nutzung jedes einzelnen Streamenden berücksichtigt und die monatlich gezahlten Beträge auf die tatsächlich gehörten Künstler verteilt. Letztlich bedeutet aber auch dies nur eine Umverteilung der identischen Gesamtsumme.

Kosten ändern sich kaum trotz wachsenden Angebots

Wird Musik zunehmend zur Discounter-Massenware? Seit dem Start der Streaming-Dienste hat sich am Preismodell nichts geändert, das Angebot jedoch ständig verbessert – auch in der Klangqualität.

Gerade vor dem Hintergrund der Inflation begrüßt die Gema eine Anpassung der Abo-Kosten, um eine gewisse Werthaltigkeit zu gewährleisten, so Duderstädt.

Die Frage, wie die Erlöse verteilt werden, ist durchaus komplex und lässt sich nicht pauschal mit dem Zentimentermaß lösen.
Florian Drücke, Geschäftsführer Bundesverband Musikindustrie

„Es ist und bleibt wichtig, dass für Musik auch bezahlt wird“, sagt Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie. „Die Frage, wie die Erlöse verteilt werden, ist durchaus komplex und lässt sich nicht pauschal mit dem Zentimentermaß lösen. Das liegt im Wesentlichen an individuellen Vereinbarungen der verschiedenen Marktpartner.“

Er betont, dass die Musikindustrie dank der Digitalisierung besser dasteht als zur Jahrtausendwende befürchtet: „Gerade in der Pandemie hat Streaming unsere Branche gerettet und ihre Resilienz gezeigt.“ Er blickt sogar verhalten optimistisch in die Zukunft: „Der Gesamtumsatz der Branche wächst seit mehreren Jahren wieder, das vergrößert den Kuchen im Sinne aller Beteiligten.“

Die Liste der Dinge, die mit allen am Streaming Beteiligten diskutiert und verbessert werden müssten, ist lang. „Viel zu tun“, wie es Nura und Gentleman singen.

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