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Faszinierende Welt: Die Fantasyromane des Briten J.R.R. Tolkien sind seit 60 Jahren ein Dauer-Hit. Erst kürzlich strahlte Amazon die neue Streamingserie „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ aus, die unter anderem auf dem fiktiven Kontinent Mittelerde spielt.

Tolkien-Mythos

Die Wissenschaft von Mittelerde: Könnte es Elbensicht und Drachen geben?

Die Fantasy-Romane des Kult-Autors J.R.R. Tolkien als Märchenerzählungen zu bezeichnen, greift zu kurz. Denn in den berühmten Büchern steckt jede Menge Wissenschaft. Das beweist eine Forschergruppe.
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„Ein Ring sie zu knechten, sie alle zu finden...“ Spricht man diesen Satz in einer Menschengruppe aus, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihn jemand gleich vervollständigt. Wer kennt nicht den „Herr der Ringe“?

Der fantastische Roman des Briten J.R.R. Tolkien ist mit 150 Millionen verkauften Exemplaren eines der kommerziell erfolgreichsten Bücher aller Zeiten und die wichtigste Inspiration des langjährigen Fantasy-Booms in Kino, Büchern und Computerspielen.

Tolkiens Klassiker sorgte nach der Jahrtausendwende für große Begeisterung bei den Fans, als die 30-fach für den Oscar nominierte Verfilmung des Regisseurs Peter Jackson weltweit 2,9 Milliarden Euro einspielte.

Die kürzlich ausgestrahlte US-Serie „Die Ringe der Macht“ (Amazon Prime) auf Basis der Tolkien-Charaktere wird wohl einer der meistdiskutierten Streaming-Hits dieses Jahres werden.

Forscherteam nimmt Romane unter die Lupe

Der 1972 verstorbene Professor für englische Sprachwissenschaft an der Universität Oxford hat ein reiches Literaturerbe hinterlassen, das als gut erforscht gilt.

Wissenschaftliche Reise durch Tolkiens Welt: Ein neues Buch geht der Frage nach, wie viel Realität in dem berühmten Fantasy-Stoff steckt.
Wissenschaftliche Reise durch Tolkiens Welt: Ein neues Buch geht der Frage nach, wie viel Realität in dem berühmten Fantasy-Stoff steckt. Foto: wbg Theiss Verlag

Doch nie zuvor hat ein interdisziplinäres Wissenschaftlerteam aus Biologen, Archäologen, Chemikern, Geologen, Botanikern, Paläontologen, Astrophysikern, Psychologen und Soziologen hinter die Kulissen seiner komplexen Fantasy-Welt geblickt, um ihre Wurzeln in der Realität zu ergründen.

Das im September erschienene Buch „Die Wissenschaft von Mittelerde“ bietet faszinierende Einblicke in die kreativen Prozesse des Kult-Schriftstellers Tolkien, der sich bei seiner Arbeit nicht nur an Mythen, sondern auch an aktueller Forschung aus seiner Zeit orientiert habe.

Das Gemeinschaftswerk von drei Dutzend Autoren beantwortet zudem interessante Fragen wie diese: Könnte es in der Natur Ents geben? Sind fliegende, feuerspeiende Wesen biologisch plausibel? Und woraus könnte „der eine Ring“ bestehen?

Einflüsse von alten Mythen

Der „Herr der Ringe“ ist streng genommen keine Erzählung, sondern ein Schlüsselteil einer 1.000 Jahre umfassenden Legende, die ihr Schöpfer mit einer ausgeklügelten Geschichtsschreibung, besonderen Sprachen, raffinierter Geografie und einer großen Vielfalt an Wesen ausgestattet hat.

Der belesene Tolkien hat sich dabei von klassischen Epen wie „Kalevala“ und „Beowulf“ sowie nordischen Sagen, prähistorischen Malereien und ägyptischer Geschichte beeinflussen lassen.

Der Brite – ein eher konservativer Sonderling, der Autos und Maschinen ablehnte – verstand sein Werk nicht als eine kritische Allegorie der modernen Welt.

Wer die „Wissenschaft von Mittelerde“ liest, kommt jedoch nicht umhin, in Tolkiens Beschreibungen der Ödnis von Mordor und der militärischen Produktion von Isengart eine leidenschaftliche Ablehnung des Totalitarismus und eine starke Öko-Botschaft zu entdecken, die modern wirken.

Das Auenland könnte in Belarus liegen

Ein Großteil der Handlung in Tolkiens Universum spielt auf dem Kontinent Mittelerde. Nach einer geomorphologischen Analyse kommen die Autoren des neuen Buchs zu dem Schluss, dass man diese fiktive Welt auf unserer Erde am ehesten in Australien und Sibirien verorten könnte.

Bei der geheimnisvollen Insel Numenor sehen sie Parallelen mit Sulawesi in Indonesien und der spanischen Stadt Cadiz. Eine Simulation der Wetterbedingungen auf Mittelerde durch Klimaforscher ergab, dass Saurons Reich in unserer Welt wohl im Westen von Texas liegen würde und das Auenland wahrscheinlich in Belarus.

Die „Wissenschaft von Mittelerde“ zeichnet Tolkien als einen kundigen Botaniker und Chemiker aus, der ausgezeichnete Kenntnisse vom Bergbau hatte.

Die unterirdische Mineralogie und Welt der Zwerge sind in „Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“ demnach mit viel Sachkunde beschrieben. Den von dem Zwergenvolk vergötterten Juwel Arkenstein allerdings könnte es nach Meinung der modernen Forscher nicht geben – er sei eine „mineralogische Chimäre“, also pure Fantasie.

Ents und Riesenadler sind biologisch unvorstellbar

Apropos Chimären: Auch einige der Wesen Tolkiens sind nach Überzeugung der Wissenschaftler unvorstellbar, weil ihre Eigenschaften sich nicht mit den Naturgesetzen in Einklang bringen lassen.

So sind zwar pflanzenähnliche Tiere bekannt, doch so etwas wie die kommunizierenden Ents kann es sicher nicht geben. Das Gleiche gilt für Bärenmenschen. Oder die Riesenadler aus „Herr der Ringe“ – nach Berechnungen der Experten müssten sie eine Spannweite von 54 Metern haben, was für bewegliche Flügel unmöglich ist.

Pure Fiktion ist auch die außerordentliche Sehschärfe der Elben, die bei Tolkien bis zu 20 Kilometer weit entfernte Reiter ausmachen können. Die Buchautoren weisen nach, dass es solche Superaugen bei menschenähnlichen Wesen nicht geben kann, ihre Köpfe müssten sonst ganz anders aussehen als beschrieben.

Phosphor und Methan als Drachen-Antrieb

Dagegen könnten sich die Biologen gentechnisch veränderte Kreaturen wie die Orks und Wesen wie den Drachen Smaug theoretisch vorstellen – im letzteren Fall also eine echsenartige Kreatur, die Feuerstöße erzeugen könnte. Vereinfacht dargestellt, geht es um eine chemische Reaktion, in der Methangas mithilfe von Phosphor entzündet wird.

Allerdings hat es niemals Flügel gegeben, die ein Tier mit einem Gewicht von mehreren Hundert Kilogramm tragen könnten. Ein Dämpfer für alle Drachenfans.

Schließlich „der eine Ring“ mit seinen sehr ungewöhnlichen Eigenschaften: Was steckt dahinter? Laut der „Wissenschaft von Mittelerde“ haben sich in Mordor offenbar ein Teilchenbeschleuniger oder eine natürliche radioaktive Quelle befunden.

Nach eingehender Analyse vermuten die Chemiker nämlich, dass „der eine Ring“ aus einer durch „Neutronenbeschuss von goldhaltigem Muttergestein“ gewonnenen Legierung der radioaktiven Isotope von Gold, Quecksilber Platin und Iridium besteht. Sauron war also ganz offensichtlich ein genialer Nuklearingenieur.

Lesetipp

Roland Lehoucq, Loic Mangin, Jean-Sebastien Steyer: „Die Wissenschaft von Mittelerde“, wbg Theiss Verlag, 384 S., 50 Euro.

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