Bei einer Anhörung des Sozialministeriums erwartete am Freitag niemand eine Überlastung des Gesundheitssystems. Die neue Testpolitik des Bundesgesundheitsministers wurde allerdings durch die Bank kritisiert.
Die Impfung schütze zwar nicht vor Infektion, dafür aber gut bis sehr gut vor schweren Verläufen, darin waren sich alle Teilnehmenden einig. Mit einer neuen dominierenden Virus-Variante sei ungefähr alle sechs Monate zu rechnen, wie Infektiologe Siegbert Rieg von der Universitätsklinik Freiburg erklärte.
Eine Überlastung des Gesundheitssystems fand nicht nur Virologe Hans-Georg Kräusslich (Universitätsklinik Heidelberg) „extrem unwahrscheinlich“. Probleme könnten eher durch Personalengpässe entstehen. Matthias Einwag, Hauptgeschäftsführer der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), drängte darauf, die einrichtungsbezogene Impfpflicht für dieses Personal abzuschaffen. „Wir denken, eigentlich wäre eine allgemeine Impfpflicht, zumindest für die vulnerablen Gruppen und eigentlich auch für die Besucher der Einrichtungen sinnvoll.“
Landesgesundheitsamt und Gesundheitsämter vor Ort, Professoren der Universitätskliniken von Freiburg, Heidelberg und Tübingen, Vertreter von Kassenärzlicher Vereinigung (KVBW), Krankenhausgesellschaft (BWKG), Landesärztekammer, Städte, Landkreis- und Gemeindetagen sowie das Sozialministerium selbst waren in der dreieinhalbstündigen öffentlichen Fachanhörung „Pandemiemanagement im Herbst 2022“ vertreten.
Auftakt einer vierteiligen Reihe
Viele von ihnen gehören zum Corona-Beraterkreis von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Die Online-Veranstaltung bildete den Auftakt einer vierteiligen Reihe, mit der das Ministerium im Juli seine Strategie vorbereitet. Ministerialdirektorin Leonie Dirks sagte zu, die Quarantäne- und Freitestungsfristen für Pflegepersonal noch einmal zu prüfen.
„Wichtig ist, dass wir uns auf verschiedene Szenarien vorbereiten“, sagte Minister Manfred Lucha (Grüne). Modellierer wie Praktiker gingen von den drei Szenarien aus, die der Expertenrat der Bundesregierung für den Herbst erstellt hat. Im günstigsten Fall würde sich eine Virusvariante durchsetzen, die hoch übertragbar, aber nur gering krankmachend ist. Das hätte wegen kaum notwendiger Gegenmaßnahmen vor allem verstärkte Ansteckung von jüngeren Kindern bei anderen Atemwegserkrankungen zur Folge.
Als wahrscheinlicher bewertete die Runde das sogenannte Basisszenario, bei dem die Krankheitslast der der aktuellen Omikron-Variante in etwa entspräche. Maßnahmen wie Maskenpflicht und Abstand in Innenräumen könnten hier regional vor allem aufgrund von Arbeitsausfällen erforderlich werden. Was die Länder anordnen könnten, wäre von der Neuauflage des Bundes-Infektionsschutzgesetzes abhängig.
Im ungünstigsten Fall könnte eine neue Virusvariante mit hoher Übertragbarkeit, gehäuft schweren Verläufen und wenig Immunität auftreten, die Intensiv- und Normalstationen stark fordert. In diesem Szenario könnten weitergehende Schutzmaßnahmen wie die Quarantäne von Kontaktpersonen und Zugangsbeschränkungen wieder notwendig werden, je nach Variante auch eine Nachimpfung großer Bevölkerungsteile in reaktivierten Impfzentren. Wegen der Schutzvorkehrungen würde der Druck auf die Kinderkliniken dafür wohl sinken, ebenso die Bedeutung der Influenza.
Impfbereitschaft und Eigenverantwortung wichtige Faktoren
Johannes Fechner (KVBW) zeigte sich „zuversichtlich“ ob der Aufstellung im Land und gab damit den Ton der anderen Diskussionsteilnehmer vor: „Wir müssen das hinkriegen, und wir werden das auch hinkriegen.“ Allerdings war sich die Runde auch einig, dass Impfbereitschaft und Eigenverantwortung etwa beim Maskentragen entscheidende Größen auf diesem Weg seien.
Insgesamt sei die Zeit der Eindämmung, des Containments vorbei, die Ressourcen müssten nun klar auf den Schutz vulnerabler Menschen ausgerichtet werden. Dazu gehörte für alle Redner ein Verzicht auf anlasslose Schnelltests. Wegen der hohen Impfquote der Bevölkerung hätten viele Infizierte eine verminderte Virenlast, die von den Tests nicht erkannt werde, so dass sie nur eine Scheinsicherheit böten. Statt dessen verursachten sie in den Gesundheitsämtern ein enormes Arbeitsaufkommen ohne Ergebnis.
Corona-Tests gezielt einsetzen
Tests sollten nach Vorstellung der Experten nur noch gezielt eingesetzt werden, nämlich von Ärzten, in sensibler Umgebung und für Maßnahmen der Surveillance, also der Überwachung der Infektionslage. Nicht nur Ulrich Wagner vom Landkreistag zeigte sich von der anderslautenden Bundestestverordnung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Freitag „enttäuscht“.
Mit Blick auf die Pflegeheime warnte Brigitte Joggerst vom Gesundheitsamt Enzkreis davor, die Einrichtungen mit Informationen zu überfrachten. „Was wir brauchen, sind die wichtigen Sachen. Das ist zum Beispiel Lüften, und das läuft fast nicht“, warnte sie. „Wenn Sie in einem Pflegeheim waren und gesehen haben, was da für Nippes auf den Fensterbänken steht, dann ist Ihnen klar, dass das gar nicht einfach ist.“
Rückfragen aus dem Publikum waren zugelassen, erfolgten aber kaum. In den beiden nächsten öffentlichen Anhörungen am Dienstag und Freitag soll es um Minderjährige einerseits, vulnerable Menschen andererseits gehen.