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Gewerkschaften befürchten Druck

Was bedeutet der Wegfall der Isolationspflicht? Hausärzte sehen den Schritt locker

Ein positiver Corona-Test hat in Baden-Württemberg keine Isolationspflicht mehr zur Folge. Außer Haus muss nur noch eine FFP2-Maske getragen werden. Hausärzte sehen das locker, Gewerkschaften hingegen befürchten einen Druck durch die Arbeitgeber.

Eine Frau sitzt mit FFP2-Maske, dicker Mütze und Kopfhörern an einem Busbahnhof, während ein Linienbus vorbeifährt.
Wer Symptomfrei ist, kann weiterhin am öffentlichen Leben teilnehmen, muss allerdings fünf Tage lang außerhalb der Wohnung eine FFP2-Maske tragen. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Baden-Württemberg und Bayern preschen voran. Seit diesem Mittwoch entfällt in den beiden Bundesländern die Pflicht zur fünftägigen häuslichen Isolation im Falle eines positiven Corona-Tests, Hessen und Schleswig-Holstein folgen in Kürze.

Wer symptomfrei ist, kann am öffentlichen Leben teilnehmen und zur Arbeit gehen, muss allerdings fünf Tage lang außerhalb der eigenen Wohnung eine FFP2-Maske tragen. Unsere Redaktionsmitglieder Erika Becker, Martin Ferber und Sebastian Raviol beantworten die wichtigsten Fragen.

Warum gehen die vier Länder diesen Schritt?

Die Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes ist Ländersache. In seiner am 8. September vom Bundestag beschlossenen Neufassung wird den Ländern sogar ausdrücklich das Recht eingeräumt, an die jeweils herrschende Infektionslage angepasste Maßnahmen einzuführen. Die Gesundheitsminister der vier Länder berufen sich auf die Erfahrungen aus Nachbarländern wie Österreich, wo es schon seit dem Sommer keine Isolationspflicht mehr gebe. Aus diesen Ländern seien keine negativen Erkenntnisse bekannt. „Wir sind in Deutschland im Übergang von einer Pandemie zur Endemie“, sagt der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Und Gesundheitsminister Manfred Lucha (beide Grüne) ergänzt: „Wir läuten eine neue Phase im Umgang mit der Pandemie ein.“ Ziel sei es, wieder mehr Eigenverantwortung an die Bürger abzugeben. Zurückgehende Infektionszahlen, eine wirksame Schutzimpfung, eine Basisimmunität innerhalb der Bevölkerung von mehr als 90 Prozent, in der Regel keine schweren Krankheitsverläufe sowie wirksame antivirale Medikamente rechtfertigen aus Sicht des Stuttgarter Gesundheitsministers die Maßnahme.

Was sagt der Bund dazu?

Der Bund hat keine Möglichkeiten, das zu verhindern. Allerdings macht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) keinen Hehl daraus, dass er die Entscheidung als einen Fehler betrachtet. Der Alleingang der vier Länder sei „ärgerlich“ und „vollkommen unverständlich“. Die Folge sei ein „Flickenteppich“ mit verschiedenen Isolationsregeln in den Bundesländern. Auch aus medizinischer Sicht gebe es keinen Grund, zum jetzigen Zeitpunkt auf die Isolationspflicht zu verzichten, argumentiert Lauterbach. Noch immer würden etwa 1.000 Menschen pro Woche an den Folgen einer Infektion sterben. Zudem stehe man vor einer „wahrscheinlich schweren Winterwelle“ und sei „am Vorabend einer ansteckenden Variante“.

Wie sind die Erfahrungen von Österreich, auf die sich die vier Länder berufen?

Die Regierung in Wien beschloss schon im Juli die Aufhebung der Quarantäne im Falle eines positiven Tests. Wer sich nicht krank fühlt, darf mit einer FFP2-Maske überallhin, im Freien kann die Maske sogar komplett abgenommen werden, wenn ein Abstand von zwei Metern eingehalten wird. Trotz dieser Lockerung sank die Zahl der laborbestätigten Coronafälle bis Mitte September auf 40.000, stieg im Oktober auf bis zu 135.000 Fälle, um hinterher erneut deutlich zu sinken. Eine Überlastung der Krankenhäuser gab es zu keinem Fall. Ähnliche Erfahrungen haben auch die Schweiz, Dänemark oder Spanien gemacht, wo ebenfalls die Isolationspflicht abgeschafft wurde, ohne dass es zu einer massiven Zunahme der Infektionen gekommen wäre.

Ist man trotz eines positiven Corona-Tests arbeitsfähig?

Aus rechtlicher Sicht ist man mit einer Infektion arbeitsfähig. Zu diesem Schluss kommt die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Durch den Wegfall der Isolationspflicht können Arbeitgeber infizierte Arbeitnehmer also an den Arbeitsplatz zitieren. „Zum Nachweis einer arbeitshindernden Erkrankung kann der Arbeitgeber ein ärztliches Attest verlangen“, erklärt die Vereinigung auf ihrer Webseite.

Darf ein Arbeitgeber einem infizierten Arbeitnehmer den Zugang zum Betrieb verweigern?

Aus Gründen des Arbeitsschutzes ist das möglich, erklärt die Vereinigung. „Ist der Arbeitnehmer aber arbeitswillig, führt das gegebenenfalls zu einer Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers ohne Arbeitsleistung.“ Wie so oft in dieser Pandemie werden aber erst die Ernstfälle zeigen, wie die Gesetze auszulegen sind.

Wie reagieren die Arbeitgeber in der Region auf die neue Situation?

Der Energieversorger EnBW als Unternehmen der kritischen Infrastruktur (KRITIS) befürchtet, „der beginnende Winter und das Aufheben weiterer Schutzmaßnahmen in Kombination mit der üblichen Grippewelle könnte dazu führen, dass es auch in Unternehmen zu vermehrten Ausfällen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen könnte“. Ein Sprecher erklärte, EnBW hätte sich daher „etwas differenziertere Vorgaben für KRITIS-Unternehmen gewünscht, ähnlich wie sie für medizinische und pflegerische Einrichtungen gelten“. Das Unternehmen sei noch in Abstimmung mit den Betriebsräten. „Wir werden aber unsere Beschäftigten weiter mit Selbsttests versorgen und auch die Homeoffice-Regelung weiter sehr großzügig handhaben, wenn Mitarbeitende einen positiven Corona-Test haben.“ In systemkritischen Bereichen werde es auch weiter individuelle Maßnahmen geben, um Ansteckungen zu vermeiden. Weitere in der Region angefragte Unternehmen wie dm, Mercedes-Benz, Cronimet oder E.G.O. wollten die Entscheidung nicht beurteilen.

Welche Position nehmen die Gewerkschaften ein?

Für Arbeitnehmer kann der Wegfall der Isolationspflicht negative Folgen haben, befürchtet Andreas Henke von der Gewerkschaft Verdi in Baden-Württemberg. Wer krank ist, bleibt daheim – die Leitlinie solle zwar gelten. Aber Henke sagt: „Druck vom Arbeitgeber, Erwartungen von Kunden, volle Schreibtische oder die Sorge, Kollegen und Kolleginnen im Stich zu lassen, werden viele Beschäftigte dazu bringen, ihre Symptome zu ignorieren und Tests zu vermeiden.“ Auch für Arbeitgeber habe das Folgen, nämlich vermeidbare Infektionen und einen höheren Krankenstand. Daher fordert Henke, dass Arbeitgeber und Führungskräfte den Leitsatz „Wer krank ist, bleibt daheim“ gegenüber ihren Beschäftigten uneingeschränkt vertreten sollten. „Dann kann die Normalisierung, die wir uns alle wünschen, gelingen.“ Die IG BCE kritisiert die Alleingänge einzelner Länder. „Gemeinsames Handeln führte uns bislang gut durch die Pandemie“, sagt Baden-Württembergs Landesbezirksleiterin Catharina Clay, „deshalb sehen wir Alleingänge einzelner Bundesländer kritisch. Das bringt Unsicherheiten für diejenigen, die ländergrenzenübergreifend wohnen und arbeiten“. Nun müssten Betriebsräte und Arbeitgeber vor Ort den Gesundheitsschutz regeln.

Wie beurteilen die Hausärzte die Maßnahme?

Der Wegfall der Isolationspflicht bilde einfach die aktuelle Realität ab, sagt die Durlacher Ärztin Marianne Difflipp-Eppele, Pandemie-Beauftragte der Kassenärztlichen Vereinigung. „Die Leute müssen natürlich vernünftig sein.“ Wer infiziert sei und Symptome habe, müsse daheim bleiben. Für Infizierte ohne Symptome gebe es nun aber die Möglichkeit, mit Maske spazieren oder einkaufen zu gehen, was gerade in solchen Situationen wichtig sein könne. „Damit habe ich keine Probleme mehr“, sagt Difflipp-Eppele. An die Vernunft der Menschen glaubt sie nach den Erfahrungen in ihrer Praxis. „Dort haben wir nur mit ganz wenigen Patienten Probleme, die wir hart angehen müssen, damit sie eine FFP2-Maske tragen.“

Sehen das die Virologen auch so?

Unter Virologen sind die Meinungen zweigeteilt. So hatte Virologe Jonas Schmidt-Chanasit bereits erklärt, die politische Entscheidung sei aus medizinischer Sicht nachvollziehbar. Diese sei „in der aktuellen Pandemie-Situation auch vertretbar“. Virologin Sandra Ciesek erklärte, es gebe politische und gesellschaftliche Gründe für oder gegen diese Entscheidung. Sie mahnte: „Keine Isolationspflicht mehr zu haben bedeutet nicht, dass Covid-19 für jeden ab jetzt völlig harmlos und nur ein Schnupfen ist.“

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