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Angekündigt war ein Zehntel

„Nazis raus“: 3.000 Demonstranten gegen rechts in Pforzheim

Pforzheims Migranten halten emotionale Reden gegen rechtsextreme Deportationspläne. Auch FDP- und CDU-Stadträtinnen beziehen klar Stellung gegen die AfD.

„Nazis raus!“, riefen die laut Polizeiangaben 3.000 Menschen aus Pforzheim, Enzkreis und Umgebung auf dem Leopoldplatz immer wieder.
„Nazis raus!“, riefen die laut Polizeiangaben 3.000 Menschen aus Pforzheim, Enzkreis und Umgebung auf dem Leopoldplatz immer wieder. Foto: Roland Wacker

Die Hoffnung, dass noch Busse durch den Pforzheimer Leopoldplatz fahren könnten, zerschlug sich schon lange vor Beginn der Kundgebung. Am Donnerstag noch hatte sich die Polizei auf Nachfrage optimistisch rund um die Kundgebung „Demokratie verteidigen“ geäußert. Das sollte sich als Fehleinschätzung entpuppen.

Der Gedanke an Busse wirkte vor Ort am Samstagnachmittag nahezu grotesk. Statt 400 Teilnehmern, wie vom Veranstalter angekündigt, kamen zu den Statements gegen rechtsextreme Kreise und die AfD rund 3.000 Menschen.

Das zumindest ist die offizielle Zahl der Polizei Pforzheim, die in solchen Fällen traditionell defensiv rechnet. Und das trotz der fast zeitgleichen Konkurrenzveranstaltung in Karlsruhe.

Katja Mast zeigt sich beeindruckt von Pforzheimer Demonstranten

„So viele Leute waren schon lange nicht mehr in Pforzheim, wenn es für etwas ging“, jubilierte die Bundestagsabgeordnete Katja Mast (SPD) etwa während ihrer Rede.

Denn tatsächlich war die Masse auf der Straße der Star des Tages und nicht die teils herzzerreißenden Redner. „Nazis raus!“, riefen sie, zeigten kreative Schilder hoch.

„Nazis abschieben!“, stand auf einem der Plakate auf dem Leopoldplatz.
„Nazis abschieben!“, stand auf einem der Plakate auf dem Leopoldplatz. Foto: Sebastian Kapp

„Nazis abschieben“, „kein Bier für Nazis“, „Nazis sind ekelhAFD“, Parolen gab es so viele wie politische Gruppierungen, die vertreten waren. Grüne, Wir in Pforzheim, SPD, Omas gegen rechts, Linke. Aber auch konservativere Geister mischten sich unter die Demonstranten.

Zu der Demonstration aufgerufen hatte ein breites Bündnis rund um die „Initiative gegen Rechts“. Für die sprach Christian Schmidt, forderte die Prüfung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD.

Hintergrund sind Recherchen von „Correctiv“ zu einem Geheimtreffen in Potsdam im Jahr 2023. Rechtsextreme, hochrangige AfDler, aber auch Menschen mit CDU-Parteibuch, hatten dort über die sogenannte „Remigration“ diskutiert. Ein harmlos wirkender Begriff, der die zwangsweise Auswanderung von Ausländern und selbst Deutschen mit Migrationshintergrund zum Ziel hat.

CDU und FDP schicken Stadträtinnen zur Pforzheimer Demo

Umso spannender war vor diesem Hintergrund, wie sich die nicht-linken Parteien in Pforzheim verhalten. Die hatten schnell reagiert, wenn auch nicht ihr Spitzenpersonal geschickt. Schmidt betonte dennoch, wie außergewöhnlich es sei, dass sich FDP und CDU überhaupt einer solchen Aktion anschlossen.

Ein lautes „Pfui“ etwa musste Monika Descharmes hinnehmen. Die Stadträtin vertrat die FDP und hatte keinesfalls einen leichten Stand. Die Spitzenpolitiker aus Pforzheim und Enzkreis Rainer Semet, Hans-Ulrich Rülke und Erik Schweickert hatten zuvor abgesagt. Und doch gelang es Descharmes durch ihre Rede, die Massen zu erreichen.

Zum ersten Mal in meinem Leben gehe ich heute auf die Barrikaden.
Monika Descharmes
FDP-Stadträtin

„Zum ersten Mal in meinem Leben gehe ich heute auf die Barrikaden“, sagte Descharmes, die von ihrer Kindheit im zerbombten Pforzheim erzählte. Und warum das zerbombt war und welche Schuld „Rassisten, Faschisten und ein größenwahnsinniger Führer“ daran hatten.

Oana Krichbaum (CDU) betonte die Bedeutung von Migranten in der Pforzheimer Stadtgesellschaft. Sie selbst stammt aus Rumänien.
Oana Krichbaum (CDU) betonte die Bedeutung von Migranten in der Pforzheimer Stadtgesellschaft. Sie selbst stammt aus Rumänien. Foto: Sebastian Kapp

Nicht minder beeindruckend war die Rede von Stadträtin Oana Krichbaum, die in Abwesenheit ihres Gatten die CDU vertrat. Auch eine Partei, die man eher selten bei Demonstrationen gegen Rechts sieht, da sie je nach Definition des Wortes „rechts“ selbst dazu zählt. Es sollen schließlich auch einzelne CDU-Mitglieder beim Potsdamer Geheimtreffen über Abschiebung und Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund anwesend gewesen sein.

Die in Rumänien geborene Oana Krichbaum allerdings hielt dagegen, nicht nur mit einem Gruß des verhinderten Oberbürgermeisters Peter Boch (CDU). Sie bat den Leiter der jüdischen Gemeinde in Pforzheim, Rami Suliman, auf die Bühne.

Wir alle wären von diesen Plänen betroffen!
Oana Krichbaum
CDU-Stadträtin

Sie erwähnte die Bündnisgrüne Stadträtin Sunita Vimal: „Wir alle wären von diesen Plänen betroffen!“, sagt Krichbaum, die in Rumänien noch die Ceausescu-Diktatur erlebt hat. „Wir müssen gemeinsam für die Demokratie kämpfen!“

Dabei attackierte sie klar die AfD: „Die hat sich bis heute nicht von diesem Gedankenspiel aus Potsdam distanziert.“ Descharmes ging sogar für eine Liberale ungewohnt weiter in der Wortwahl: „Die AfD hat endgültig die Karten auf den Tisch gelegt. Es darf für uns keinen Grund geben, die zu wählen, die vorhaben, unser schönes Land in ihre ekelhafte braune Soße zu tunken.“

Syrischer Flüchtling spricht in Pforzheim über seine Angst

Berührend war auch die Rede von Taoufek Morad vom Jugendmigrationsdienst. 2016 floh Morad aus Syrien nach Pforzheim und beschrieb seinen Bemühungen seitdem. Wie er Deutsch lernte. Wie er zur Uni zugelassen wurde. Welches Hochgefühl er erlebte, während er sich integrierte.

Wie er nun selbst Menschen hilft, die hier ankommen wie er einst. Dass er sich „als Deutscher fühlt“. Dass er sich mittlerweile aber auch genau überlegen müsse, wo er sich im Bus hinsetzt, aus Angst vor Fremdenfeindlichkeit.

Fatih Aygün vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) fasste es in markigere Sprüche: „Die Gruppe der Muslime lässt sich nicht deportieren! Der Islam gehört mittlerweile zu Deutschland wie alle anderen Religionen auch.“ Kira Hülsmann vom Jugendgemeinderat schließlich erklärte zu den Plänen von Potsdam: „Ich wäre nicht hier. Ich hätte keine deutsche Staatsbürgerschaft mehr.“

Kirchen sprechen mit einer Stimme

Und das, so erklärte wiederum Mast in ihrer Rede, sei das Besondere. Es gehe darum, ein Zeichen zu setzen, damit sich der NS-Terror nicht wiederhole. Auch ihre Bundestags-Kollegin Stephanie Aeffner (Grüne) erinnerte daran. „Wir alle kennen das schreckliche Ergebnis dieser Pläne.“

Weitere Reden hielten Christiane Quincke für die evangelische und Tobias Gfell für die katholische Kirche. Beide betonten, die Kirchen dürften die Fehler aus der NS-Zeit nicht wiederholen und hier nicht wegschauen.

Außerdem sprach Helmut Kuntschner für „die Linke“ und Stadträtin Annkathrin Wulff (SPD) trug das Gedicht vor „Bei Hitlers brennt noch Licht“.

Eine Gegendemonstration gab es nicht. Die Polizei gab auf Nachfrage bekannt, dass es zu „keinerlei nennenswerten Ereignissen“ rund um die Kundgebung gekommen sei. Die Kundgebung war um 16.30 Uhr planmäßig beendet.

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