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Jugendwort des Jahres 2020

„Schabernack“ und Co.: Warum Jugendsprache sich plötzlich aus dem Mittelalter bedient

Cringe, wyld, swaggen: Für viele Erwachsene sprechen Jugendliche bereits eine andere Sprache. Dabei stecken dahinter oftmals Klischees, sagen Sprachforscher. Immer wieder schaffen es auch Begriffe aus Großmutters Zeit in den Wortschatz von Jugendlichen.

Drei junge Männer stehen rund um ein rotes Auto. Sie tragen Kapuzenpullis und Schirmmützen.
„Schabernack“ gegen „Cringe“: Die Jugendsprache ist dafür bekannt, neue Ausdrücke zu kreieren. Manch altes Wort erlebt eine unverhoffte Renaissance - oft allerdings mit einer veränderten Bedeutung. Foto: Imago Images

„Schweig still, Dirnenspross! Dein Anblick bringt mich dem Speien nahe!“: Es sind Sätze wie diese, die Jugendliche unter dem Titel „Wie sich Assis im Mittelalter beleidigt hätten“ in lustigen Memes – also kleinen humoristischen Bildern, oft mit Text – herumschicken.

Manch einer geht sogar noch weiter und übernimmt einen Teil der Hochsprache für sich selbst. So hat es das, zugegeben, für viele antiquiert wirkende Wort „Schabernack“ in die Top-10-Auswahl für das Jugendwort des Jahres 2020 geschafft.

Karlsruher Sprachforscherin erklärt den Trend zum Alten

Bereits seit 2008 kürt der Langenscheidt-Verlag jährlich einen Begriff aus der Jugendsprache. Immer wieder finden sich unter den nominierten Wörtern auch solche älteren Ursprungs. So gewann im Jahr 2018 das Wort „Ehrenmann“. Zeichnet sich da ein neuer Trend ab?

Von der Distanz betrachtet kann man sagen: Es war alles schon einmal da.
Carmen Spiegel, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe

Nicht unbedingt, sagt Carmen Spiegel, Professorin für Medien-, Text- und Gesprächslinguistik an der Pädagogischen Hochschule (PH) in Karlsruhe. „Von der Distanz betrachtet kann man sagen: Es war alles schon einmal da.“ Jugendliche würden immer wieder bestimmte Konventionen aufgreifen, die aktuell nicht en vouge sind. Man entdecke etwas und modifiziere es für sich neu, erklärt Spiegel.

Dieser Ansicht ist auch Nils Uwe Bahlo. Der Germanist forscht an der Universität Münster unter anderem im Bereich Jugendsprache. Bestimmte sprachliche Formen oder Äußerungen würden oft für eine gewisse Zeit ausgelagert und später gewissermaßen recycelt, erklärt Bahlo.

Neben „Schabernack“ nennt er auch das Wort „strazzen“ – in den 1990ern in der Wendung „Lass uns mal losstrazzen“ ein beliebter Begriff für „loslaufen“. „Das Verb ,strazzen’ kommt aus dem Mittelhochdeutschen und wurde Jahrhunderte lang nur in der Literatur verwendet“, so Bahlo. „Irgendwer fand es wohl lustig und hat es wiederverwendet.“ Oftmals sei die neue Verwendung in der Jugendsprache durch das Aufeinanderprallen verschiedener Sprachstile humorvoll-ironisch geprägt.

Die eine Jugendsprache gibt es nicht

Von der einen Jugendsprache möchte Carmen Spiegel allerdings nicht sprechen, eher von jugendsprachlichen Stilen. Denn die seien abhängig von der Gruppe, in der sie gesprochen würden. So könnten Jugendliche durchaus über mehrere jugendsprachliche Stile verfügen, etwa für die Schule, den Sportverein oder eine bestimmte Fangemeinde.

Kennzeichnend für diese Stile sei, dass Wörter spielerisch aus Situationen heraus kreiert würden, die nur innerhalb der Gruppe verständen würden und zu einer Art Kulturgut beziehungsweise Gruppenkitt aufstiegen, erklärt Spiegel.

Damit seien die beiden Hauptziele der jugendsprachlichen Stile klar: einerseits Abgrenzung nach außen – sei es zu den Eltern, Lehrern oder anderen Gruppen – und andererseits Stärkung der eigenen Gruppe nach innen.

Als Gruppe hat man da einen Besitzanspruch.
Carmen Spiegel, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe

Gar nicht gut komme es übrigens an, wenn gruppenfremde Sprecher Ausdrücke einfach übernehmen. „Als Gruppe hat man da einen Besitzanspruch“, erklärt Spiegel. Jugendsprachliche Wörter schafften es daher selten in den Alltagswortschatz. Wird ein Wort von Eltern oder Lehrern benutzt, sei es für viele Jugendliche quasi verbrannt.

Jugendwort des Jahres zeigt Wandelbarkeit der Sprache

Macht da eine Ausschreibung wie das Jugendwort des Jahres überhaupt Sinn? Zum Teil schon, findet Spiegel. Insbesondere die neue Auswahlmethode befürwortet die Karlsruher Professorin: Erstmals wird das Jugendwort nämlich nicht von einer Jury, sondern durch eine öffentliche Abstimmung gewählt.

„Sprache unterliegt einem permanenten Wandel“, betont Spiegel. Eine Ausschreibung wie das Jugendwort des Jahres könne dazu beitragen, die Flexibilität und Wandelbarkeit von Sprache zu verdeutlichen. Zu glauben aber, dass die Einträge in den Jugendsprache-Wörterbüchern tatsächlich der Jugendsprache entsprängen, sei ein Fehlschluss. „Häufig kommen diese Wörter aus den Medien“, erklärt Spiegel. Viele Jugendliche würden die Ausdrücke zwar kennen, weil beispielsweise Influencer sie benutzen, selbst aber nicht verwenden.

Jugendsprache-Wörterbüchern hafte daher eine „gewisse Künstlichkeit“ an; sie entsprächen mehr dem Stereotyp, das die Gesellschaft von der Jugendsprache habe. Sobald ein Wort publiziert ist, verliere es zudem seine ursprüngliche Bedeutung: Denn wenn es jeder kennt, erfülle es seine Gruppenidentität stiftende Funktion nicht mehr.

Service



Noch bis zum 10. Oktober können Interessierte auf der Homepage des Langenscheidt-Verlags das Jugendwort des Jahres 2020 wählen. Der Gewinner wird voraussichtlich am 15. Oktober bekanntgegeben.

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