14 Liebesbriefe haben wir an die Dinge geschrieben, deren Existenz wir wir in diesem Jahr besonders zu schätzen lernten.
du bist eine feste Größe in meinem Leben. Dein Wochenende wird stets in unserem Familienkalender geblockt. Unser Sohn ist sogar ein Teil von Dir: Er sorgt in einem grandiosen Team dafür, dass am Mount Klotz niemand durstig bleibt. „Wir sehen uns beim Fest“, rufe ich schon Monate zuvor Freunden und Bekannten zu. Mit dem Vorfest beginnt die entspannte Zeit des Jahres. „Bis zum Fest bin ich zurück“, verspricht unsere Tochter, die ins Ausland möchte.
Liebes Fest, ich habe viel mit Dir erlebt: Noch als Teenager die ersten Konzerte. Die Matsch-Schlacht bei Big Country. Das Staunen, als plötzlich Weltstars wie Simple Minds und Jethro Tull, Suzanne Vega und Van Morrison am Hügel auftauchten. Dann die Mobis, die meine Kinder drei Tage lang völlig verzauberten. Die krassen Momente, als es bei Peter Fox eng wurde. Die Ska-Parties vor der Zelt-Bühne, die Sause mit dem ersten Late-Nightern, die opulenten Picknicks zu klassischer Musik. Die Glücksmomente mit Amy Macdonald. Okay, als die Deichkinder unter ihren Pyramiden Richtung Bühne schielten, die Erkenntnis, dass ich älter werde. Aber ich verdanke Dir auch viel Neues auf meiner Playlist – von Django 3000 bis Marteria. Liebes Fest, Du hast mir diesen Sommer gefehlt. Sehr sogar. Aber wir haben für 2021 eine Verabredung. Oder 2022, egal. Hauptsache, wir sehen uns wieder.
Deine Susanne Jock
ich habe wirklich versucht, stark zu sein. Erinnere Dich einfach an all’ die schönen Inszenierungen, dachte ich mir. Hol’ Dir einfach die vielen Bilder zurück, die wundersamen Momente auf Deinem Stammplatz in Reihe 2, Platz 21, wo es immer leicht zog.
Dieser verletzliche „Caligula“ voller Blut und Grausamkeit. „The Producer“, dieses durchgeknallte Mel-Brooks-Musical, das meine hartnäckige Abneigung gegen das Genre vorübergehend aufweichen konnte. Der Ballettabend mit Stephan Thoss, dessen Choreographie „Carmencita“ so wunderbar erheiternd und leichtfüßig statt schwer verrätselt daherkam. Was waren das für schöne Abende in meinem alten Haus, dem Theater Regensburg, mit einem Glas Weißwein in der Pause munter schwatzend und mit Gleichgesinnten fachsimpelnd.
Den ersten Lockdown habe ich auf diese Weise noch rumgekriegt. Und war glücklich wie ein Kind, als die Spielzeit an meinem neuen Wirkungsort Karlsruhe begann. Eigenartig und befremdlich zwar, all diese Lücken, die in den Sitzreihen klafften. Aber ich war auch zufrieden mit dem geschrumpften Beethoven und dem körperfernen Tanzabend ohne Pas-de-deux. Weniger Hände klatschten so dankbar, dass es doch wie ein kleiner Begeisterungssturm klang. Künstler und Theatergänger feierten ihr Wiedersehen. Es war verheißungsvoll. Und wieder ist alles vorbei. Und nun muss ich es doch sagen: Du fehlst mir so! Deine Roben- und Jeansträger, dein Gemurmel und Geraschel in den Logen, dein verheißungsvolles Stimmen der Instrumente vor Vorstellungsbeginn. Deine Siege und Deine Niederlagen.
Ich vermisse den prasselnden Beifall – und das laue Klatschen, nach dem alle kopfschüttelnd das Theater verlassen. Du regst mich auf und regst mich an. Ich brauche Dich. Zieh den Vorhang hoch. Jetzt!
Deine Claudia Bockholt
ich vermisse Dich. Wie sehr, das wird mir erst jetzt klar, am Ende dieses Jahres, in dem ich ohne Dich auskommen musste. Ich will endlich wieder um die Häuser ziehen. Ich will tanzen bis zum Morgengrauen. Ich will mit viel mehr als nur zwei Personen aus einem anderen Haushalt zusammenstehen und die Nacht durchquatschen. Ich will Musik, so laut, dass ich sie spüren kann. Ich will mich an eine überfüllte Bar drängen, um für meine Freunde und mich etwas zu Trinken zu bestellen. Ich will mich einfach wieder in Dich fallenlassen, weil Du mir mehr Entspannung bringst, als es eine Couch oder ein Wellnessbad jemals könnten.
Ich weiß, böse Zungen würden sagen, ich bin schon längst zu alt für Dich geworden. Das mag sein, doch ich vermisse Dich auch für die, die nach mir kommen und die Du in diesem Jahr nicht prägen konntest. Manche von ihnen brauchen Dich, auch wenn sie es vielleicht noch nicht wissen.
Weil Du das pure Leben bist. Weil man in Dir lernt, was echte Freunde sind und welchen Menschen man lieber aus dem Weg geht. Weil man sich in Dir gehen lassen kann auf eine Weise, die der Alltag selten erlaubt. Weil man mit Dir widerstandsfähiger und selbstbewusster wird. Weil man seine Grenzen in dir kennenlernt. Weil man in Dir Liebe findet und Schmerz, und weil beides wichtige Lektionen sind. Und weil Du so wahnsinnig viel Spaß machst.
Auf hoffentlich bald,
Deine Martha Steinfeld
was haben wir dich vermisst. Nein, ehrlich. Das Spielplatz-Verbot war für uns, Mama, Papa und drei Stöpsel zwischen sieben und eins, die ultimative Katastrophe im Lockdown. Wir standen in diesem Corona-Frühling draußen und guckten über den Zaun. Sehnsüchtig. (Wir Großen.) Voller Unverständnis. (Die Kleinen.) Wir wollten rein! (Alle.)
Die Büsche und Bäume trugen junges Grün, die ersten Knosen sprangen auf, aber wir fünf hatten nur Augen für die verbotene Schaukel und all diesen herrlichen Platz, den wir nicht nutzen durften. Wieviel größer so ein Spielplatz doch wirkt, wenn er menschenleer ist.
Du bist der Inbegriff von Freiheit für uns hier in der Stadt, zwischen Straßen und Häuserreihen, Parkplätzen und Baustellen. Die Möglichkeit zum Rennen und Austoben ohne totgefahren zu werden. Und, wenn Du groß genug bist oder vielleicht sogar Grün drumherum hast, zum Herumvagabundieren, ohne dass Mutti guckt. Du, Spielplatz, bist eine großartige Erfindung! Also was haben wir gemacht ohne Dich? Nebendran gespielt. Nicht mal einen Meter entfernt von der verbotenen Schaukel unseren einsamen Ball hin und her geschossen. Oder eher gerollt. Platz war keiner, der Schmackes hat gefehlt, die Laune war getrübt. Klar, Mutti schrie ja auch ständig: „Vorsicht, nicht an die parkenden Autos ran! Die können Kratzer kriegen. Aufpassen, Jungs, da kommt jemand, alle zu mir. Abstand halten!“
Da war die Luft bald raus. Also wieder heim, viel schneller als üblich, völlig unausgetobt. Ein trauriger Haufen. Und das Baby hat der Schaukel hinterm Zaun zum Abschied gewinkt.
Deine Charlotte Inden
eigentlich hat man ja keine Lieblingsinsel. Ich jedenfalls habe keine. Gut, das schottische Island Skye mit seiner wilden Natur ist schon ein herrliches Fleckchen, wenn man ein Faible für Fantasygeschichten hat. Bei einem Südsee-Atoll, diesem kugelrunden Fliegenschiss in der Weite des Pazifiks, würde jeder reiselustige Zeitgenosse schwach. Und Bali, diese mit Tempeln vollgepackte Insel der Götter, begeistert nicht umsonst die Filmemacher von Hollywood, wenn sie nach einer hübschen Kulisse für amouröse Verwicklungen suchen.
Doch eigentlich ist jede von Euch Inseln schön – ob Sylt, Sizilien oder Samui. Ihr kleinen Paradiese, ringsum von Wasser umgeben, seid die perfekten Orte, um die Seele baumeln zu lassen.
Denn auf Inseln gehen die Uhren anders, langsamer, mit mehr Bedacht. Nicht umsonst fühlt man sich reif für die Insel, wenn die Ehe kaputt, das Konto leer und der Chef ein Miesepeter ist. In Krisenzeiten wünscht man sich erst recht auf eine einsame Insel, wo man all dem Unangenehmen der Gegenwart entfliehen kann, wo Hektik und ganz weit weg sind. Ihr Inseln seid ein kleines Paralleluniversum, wo einander fremde Menschen in kürzester Zeit Freunde werden.
Deine Roswitha Bruder-Pasewald
Die verharzten Finger kleben an der Wasserflasche fest, das verschwitzte Trikot riecht nach Kampf, der Trainer spricht von einem verdienten Sieg. Es ist zu lange her. Handballer müssen in die Sporthalle – vor allem dann, wenn es draußen kalt wird. Ich muss wieder in die Halle, um zu spüren, was ist.
Der Schmerz am Tag nach dem Spiel kann die wohltuende Belohnung für den Sieg, aber auch das Salz in der Wunde für die Niederlage sein. 60 Minuten lang geben wir auf dem Spielfeld alles für den Nebenmann, alles für das Team. Wir siegen zusammen, wir verlieren zusammen, wir feiern zusammen, wir trauern zusammen.
Wir sind schon lange daheim. Ich habe vergessen, wo wir in der Tabelle stehen. Ich habe vergessen, wie oft ich montags fröhliche oder ärgerliche Schmerzen hatte. Wen ich nicht vergessen kann, sind meine Mitspieler. Wie wir taktische Abläufe einstudieren, wie wir uns lachend vom Alltag ablenken, wie wir uns auspowern. Ich möchte wieder neben ihnen in der Halle stehen. Meine Wasserflasche soll kleben. Lieber Handballverein, es wird wirklich höchste Zeit, dass wir uns wiedersehen.
Dein Sebastian Raviol
ein Witz durfte früher in keiner Sammlung fehlen: Der mit dem Friseur und mit dem abgeschnittenen Ohr. Kennen Sie nicht? Macht nix, der ist nämlich wirklich mies. Aber darum geht’s hier nicht. Stattdessen um was anderes: Als ich kürzlich beim Friseur auf dem Stuhl saß – da, als es zwischendurch mal erlaubt war –, musste ich an genau diesen Witz denken. Vielleicht, weil die Friseurin mit der Schere meinem Ohr ziemlich nahe kam.
Jedenfalls: Derzeit tragen wir ja überall Masken – auch beim Friseur. Also fragte ich die Frau: „Wie viele Atemmasken haben sie eigentlich schon so zerschnitten? Muss man einen Kasten Bier mitbringen, wenn man mal wieder einen Kunden demaskiert? Hängen Sie sich abgeschnittene Masken wie Trophäen an die Wand?“ „Zwei“, hat sie geantwortet und meine anderen blöden Fragen ignoriert. Zwei Masken sind ihrer Schere bisher zum Opfer gefallen. Ich habe kurz nachgedacht und dann beschlossen, dass das ein guter Wert ist für eine Frau, die seit Monaten acht Stunden am Tag mit der Schere um Masken drumherum schneidet.
Daraufhin habe ich beschlossen, ihr den dämlichen Witz zu ersparen. Dann dachte ich an die friseurfreie Zeit, die Zeit von Wuschelköpfen und selbst geschnittenen Haaren. Und dann wollte ich nett zu ihr sein. Wir sollten doch alle nett zueinander sein. Derzeit und generell. Liebe Friseure: Wir sind dankbar, dass es euch gibt!
Euer David Falkner
Aber auch an das Lieblingsrestaurant, die Kita, die Eltern, das Kino, das Stadion und an den Baden-Marathon, der in diesem Jahr leider ausfallen musste, wurde gedacht.
ganz ohne Dich muss ich nicht auskommen. Immerhin dürfen wir ja Leckeres bei Dir abholen. Und die Salatsauce von Deinem Küchenchef – sie ist auch dann eine Sensation, wenn sie in Plastik statt auf Porzellan den Weg zu mir findet. Aber unter uns: Daheim essen ist nicht dasselbe. Und das liegt nicht nur am Verpackungsmüll und den Geschirrbergen, die bleiben, wenn das Mahl verzehrt ist. Ein Restaurantbesuch ist viel mehr als nur Nahrungsaufnahme.
Ich vermisse die Atmosphäre gepflegter Geselligkeit, die Dich auszeichnet, und den liebevoll arrangierten Blumenschmuck auf der Theke. Ich vermisse das Gemurmel von den Nachbartischen und sogar den Gast, der manchmal so nervt, weil er selbst beim Abendessen – wichtig, wichtig – per Handy Vertragsverhandlungen führt. Ich vermisse die Selbstverständlichkeit, mit der Chef uns das Wasser an den Tisch bringt, nicht ohne seit Jahren routinemäßig zu fragen „Ohne Gas für die Dame, Medium für den Herrn?“ Ich liebe seine blumigen Erläuterungen der Speisekarte – obwohl ich dann doch wieder meine Lieblingsvorspeise bestelle. Und ich schätze die Art, wie Dein Personal ohne mit der Wimper zu zucken auf unsere Extrawünsche eingeht.
Liebes Lieblingsrestaurant, ich weiß, dass wir im Moment mit Abstand die besten Gäste sind. Deswegen sehen wir uns ja auch nur beim Abholen. Aber ich feiere schon jetzt den Tag, an dem wir bei Dir wieder einen schönen Abend genießen können.
Deine Annette Borchardt-Wenzel
es ist nicht immer leicht mit uns. Denn seien wir mal ehrlich: Du brauchst uns nicht, aber wir brauchen Dich. Weil wir Eltern beides wollen und beides mögen – unsere Kinder und unsere Jobs. Als wir diesen Spagat Anfang des Jahres ein paar Monate lang ohne dich meistern mussten, haben wir Dich schmerzlich vermisst.
Den Rest des Jahres schwang sie mit, diese leise Angst: Bitte lass uns nicht nochmal allein! Wir sind auf Dich angewiesen. Weil uns das sprichwörtliche Dorf fehlt, das es brauchen soll, um ein Kind zu erziehen.
Und dennoch ist das zwischen uns keine Vernunftehe. Ganz im Gegenteil: Ohne Dich, liebe Kita, und vor allem ohne Euch, liebe Erzieherinnen, wäre unser Leben ärmer. Ihr trocknet die Tränen unserer Babys (und manchmal auch die überforderter Eltern), spendet Nestwärme, macht nahezu jeden Quatsch mit, haltet Trotz, Wut und Wachstumsschmerzen aus.
Ich habe großen Respekt, dass Ihr diesen Beruf mit so viel Herz ausübt und stets ruhig bleibt – was uns als Eltern mit unseren eigenen Kindern schon nicht immer gelingt. Über das Wort Fremdbetreuung können wir alle doch herzlich lachen: Ihr kennt unsere Kinder, ihre Stärken und Schwächen. Ihr seid für sie da, wenn wir es in unserem durchgetakteten Alltag nicht sein können.Um es mit den Worten eines Zweieinhalbjährigen zu sagen, der es wissen muss: „Kita ist auch bisschen Zuhause.“
Deine Anne Weiss
mein Gälisch ist leider nicht so gut, deshalb erzähle ich Dir heute auf Deutsch, wie sehr Du mir fehlst. Wenn man Dich besuchte, betrat man von einer auf die andere Sekunde eine völlig neue Welt. Als hätte man sich vom sonnigen Karlsruhe direkt ins nächtliche Dublin beamen lassen: Überall schwere, dunkle Balken, ein tätowierter Barkeeper, der kein Wort Deutsch spricht, Dutzende gut gelaunter Menschen, eine Dartscheibe, ein Nüsschen-Automat, ein Regal voller Whiskeyflaschen und natürlich die Mega-Zapfanlage, die im Minutentakt jenes Bier ausspuckt, das so wunderbar nach Urlaub schmeckt: schwarzes, süffiges, eiskaltes Guinness.
Eine Speisekarte? Braucht es nicht, wozu auch? Die „Crisps“ genannten Chips mit den Geschmacksrichtungen „Salt and vinegar“ oder „Cheese and onion“ sind doch genauso nahrhaft. Das Schönste an Dir aber war – neben der freundschaftlichen und friedlichen Atmosphäre – diese klitzekleine, enge Bühne, auf der immer irgendein Straßenmusiker Songs von Neil Young nachsang oder auch mal eine spontan zusammengestellte Band Irishfolk zum Besten gab.
Von den wöchentlichen Quizabenden mit Fragen wie „Wie viele Zeitzonen gibt es in Russland?“ oder „Wie hieß Winnetous Vater mit Vornamen?“ will ich jetzt gar nicht erst reden! Halte durch, lieber Irish Pub! Irgendwann heißt es hoffentlich wieder „Cheers“ oder Sláinte!
Dein Wolfgang Weber
angesichts geschlossener Fitnessstudios sind wir zwar in diesem Jahr gelaufen, was die Schuhe hergegeben haben. Doch leider nur zum Kalorien-Killen und Wohlfühlen. Die große Herausforderung, das eigentliche Ziel all der Kilometer-Schinderei, hat im Corona-Jahr definitiv gefehlt: der Wettkampf mit all den anderen Endorphin-Junkies und als Krone aller Lauf-Events natürlich der Marathon-Start im September vor der Karlsruher Europahalle.
Für alle Nicht-Süchtigen ist es nur schwer nachzuvollziehen, was wir an dieser Schinderei finden. Warum wir auf diesen Moment hinfiebern und uns wie kleine Kinder freuen, wenn dann endlich der Startschuss fällt und sich tausende Läuferbeine in Bewegung setzen? Es liegt nicht nur am Quäl-Gen, das bei uns Läufern mehr oder weniger ausgeprägt ist.
Das Kribbeln beginnt schon im Frühjahr bei der Anmeldung auf Deiner Homepage, lieber Baden-Marathon. Ist diese Hürde erst überwunden, dann regelt sich der Rest des Laufjahres wie von selbst. Egal ob Marathon oder Halbmarathon - das Ziel ist damit gesteckt. Ab sofort werden alle Aktivitäten im eigenen Hinterkopf mit der Frage begleitet: Könnte mir das beim Marathon schaden? Der innere Schweinehund hat mit der Zahlung der Anmeldegebühr verloren, jetzt gibt es definitiv keine Ausreden mehr. In diesem Jahr hat uns nichts davon abgehalten, beim Essen noch mal einen Nachschlag zu nehmen oder dem zwei Gläschen Wein ein drittes folgen zu lassen.
Es wird höchste Zeit, dass dieses Lotterleben ein Ende hat und wir uns den echten Herausforderungen stellen können. Bis zum Herbst müsste das mit dem Virus im Griff sein, damit wir wieder gemeinsam auf die Strecke gehen können. Wenn dann der Startschuss fällt, ist für uns das Corona-Kapitel abgeschlossen.
Dein Rainer Haendle
das letzte Mal haben wir uns zu Weihnachten gesehen. Ja, Weihnachten 2019 meine ich. Und ja, das ist schon über ein ganzes Jahr her. Verdammt noch mal. Corona ist schuld. „Mist Corona“, sagt Dein mittlerer Enkel, der in diesem Jahr, das Du versäumt hast, gelernt hat, wirklich ganz eloquent zu fluchen.
Das hier soll ein positiver Text werden, weil ja Gejammer zum Jahresende gar nix bringt. Doch was ist positiv daran, dass Du nicht miterleben konntest, wie aus meiner Babytochter erst ein Krabbelkind wurde und dann ein Kleinkind? „Sie ist ja schon so groß“, sagst Du, wenn wir uns bei einem Videoanruf „sehen“. Ich danke der Technik. Und ich danke Dir, dass Du Corona ernst genommen hast und auf Abstand gegangen bist. Zu uns. Zur Welt. Du und Papa, Ihr habt die einsame Insel quasi neu erfunden.
Ich hoffe, Ihr findet auch wieder herunter. Selbst als wir hier im Sommer nur ein gutes Dutzend gemeldete Corona-Fälle hatten, habt Ihr es nicht gewagt, uns zu besuchen. Selbst als wir negativ getestet waren, seid Ihr nicht gekommen.
Ihr habt solche Angst, das tut mir Leid. Für Euch, aber, ehrlicherweise, auch für mich. Ich bin über 40. Ich kann ohne meine Mama klarkommen. Ich will aber nicht. Dass Du es nur weißt. Und das ist das Positive an diesem Text: Dass wir uns wiedersehen werden.
Deine Charlotte Inden
Oh Gott, wie habe ich dich vermisst! Du gutes altes Kino mit den bequemen Samtsesseln, wo sich auch altgediente Ehepaare wieder näherkommen können. Mit dem Dolby Stereo Surround System, das taube Ohren kräftig durchpustet, und der riesigen Leinwand, im Vergleich zu der die heimische Flimmerkiste nur ein müder Abklatsch ist. Endlich mal wieder auf fremde Planeten abhauen und Corona die kalte Schulter zeigen; endlich in großen (Liebes-)Gefühlen schwelgen und zu versunkenen Wracks tauchen, obwohl man bereits im Schwimmerbereich des heimischen Freibades Panikattacken bekommt.
Mit den Abstandsregeln nach der kurzzeitigen Wiedereröffnung gehörten sogar der Nachos mampfende Sitznachbar rechts und das knutschende Pärchen links der Vergangenheit an. Leider hielt dieser paradiesische Zustand nicht lange an, im schummrigen Dunkel allein mit den schönsten Männern dieses Planeten zu sein. Ihr habt wieder dicht, ihr Orte des Vergnügens, wo wir uns weder von E-Mails noch von WhatsApp-Nachrichten stören lassen, wo wir uns voll und ganz auf eine Sache konzentrieren – das Abenteuer, das sich vor unseren Augen abspielt.
Netflix, Amazon und wie die Streamingplattformen noch alle heißen, mögen zwar ganz nett sein, die Riesenleinwand können sie aber nicht ersetzen. Wir freuen uns schon drauf, wenn ihr wieder an den Start geht und die eingefleischte Kino-Fan-Gemeinde erfährt, ob 007 in seinem 25. Abenteuer erneut Martini schlürft – geschüttelt, nicht gerührt.
Deine Roswitha Bruder-Pasewald
ich vermisse Dich. Denn Fußball ohne Stadion ist wie Bier ohne Umdrehungen, wie eine Bratwurst ohne Schwein, wie ein Tempel ohne Gläubige, wie Rasen ohne Grün, wie eine Fahne ohne Wind.
Fußball im Wohnzimmer zu glotzen statt im Stadion ist wie FC Kleinkleckersdorf gegen Lokomotive Niemandsland. Das prickelt nicht. Das Rundum-Fußball-Panorama beschränkt sich auf die gebogene Scheibe des LED-Fernsehers. Es herrscht Sitzplatzgebot. Lederne Clubgarnitur statt Plastikschale. Keine Wellenbrecher, nur der Couchtisch zwischen Fan und Spiel. Flokati-Teppich statt Fertigbeton. Die La-Ola-Wellen haben nur eine Reichweite von drei Metern: vom linken Rand der Sitzlandschaft bis zum rechten Rand. Das bockt nicht. Und auch kein gegnerischer Fan in Sicht, kein Schalker zum Klatschen. Nur Borussen-Berni, Borussen- Manni, Borussen-Siggi, Emma und Nobby. Die ganze BVB-Mischpoke. Komplette Blase.
Zu den Schiris, Kickern und Trainern will partout nichts aus dem Wohnzimmer in das ansonsten leere Stadion dringen: Die Beleidigungen („Schiri du S…“) verpuffen, die Hohngesänge („Zieht den Bayern die Leder…“) verhallen, die Anfeuerungen bringen nur die Wände der Immobilie in Wallung. Nur gut, dass der Entzug bald vorbei ist. Das schwarz-gelbe Einkaufszentrum für Fanbedarf in Dortmund wird Impf-Hotspot. Die Dauerkartenbesitzer kommen zuerst dran. Die Injektionsspritzen leuchten in den Vereinsfarben. Wie wohlig der Corona-Feind durch die Adern strömt. Endlich wieder Stadion.
Dein Konrad Stammschröer