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Vergessene Deponien

Über den Abfall ist Gras gewachsen: Zwischen Bruchsal und Achern gibt es über 3.000 alte Müllkippen

Noch bis in die 70er Jahre kippte man den Müll ab, wo gerade Platz war. Heute wächst Gras darüber. Doch der Müll ist noch da. Wer anfängt zu graben, könnte eine Überraschung erleben.
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Sie sind so gut wie überall. Unter Kinderspielplätzen, Rapsäckern, Grillplätzen und sogar unter der Liegewiese eines Freibads: die Müllkippen der Vergangenheit. Zwischen Bruchsal, Karlsruhe, Pforzheim und Achern gibt es über 3.000 vergessene Deponien.

So kompliziert wie heute war die Müllentsorgung nicht immer. Noch bis ins Jahr 1972 hat man auch in Baden-Württemberg den Müll sprichwörtlich weg geworfen. An vielen Stellen, an denen die Natur oder der Mensch große Löcher gelassen hatte, wurde Abfall rein geworfen - von der zerbrochenen Kaffeekanne bis zum Altreifen.

Bundesweit gibt es über 50.000 dieser Bürgermeister-Deponien
Martin Kranert, Professor für Abfallwirtschaft an der Universität Stuttgart

War die Grube voll, hat man Erdaushub aus den Neubaugebieten als Abdeckung drauf gekippt. Weil praktisch jedes Dorf mindestens eine dieser recht unprofessionell geführten Deponien hatte, sprechen die Beamten in den Umweltämtern auch von „Bürgermeister-Kippen“.

Anfang der 70er Jahre, als es erstmals im Land ein richtiges Abfallgesetz gab, waren viele solcher Deponien verfüllt und vergessen, manche waren noch in Betrieb. Als sich dann die Behörden erstmals für diese Müllkippen interessierten, zählte man allein in den Stadt- und Landkreisen Karlsruhe, Pforzheim, Baden-Baden, Enzkreis, Rastatt und Ortenau über 3.000 solcher Altablagerungen.

Detektivische Ermittlungsmethoden mit Luftbildern und Landkarten

„Bundesweit gibt es über 50.000 dieser Bürgermeister-Deponien“, weiß Martin Kranert, Professor für Abfallwirtschaft an der Universität Stuttgart. „Damals hatte jedes Dorf irgendeine Kuhle oder Klinge für den Müll. In manchen Regionen gab es ja nicht mal eine geordnete Müllsammlung.“

Doch die Stellen zu finden und zu registrieren war eine aufwendige Arbeit. Fast schon detektivische Ermittlungsmethoden waren nötig. Es war eine der größten landesweiten Aktionen, die die Unweltbehörden da leisteten.

Müllkippe Au am Rhein
In Au am Rhein wollten Umweltschütze eine alte Müllkippe renaturieren. Doch weil unklar war, wer die Kosten für die Entsorgung zahlen sollte, mussten sie aufhören. Foto: Elvira Weisenburger

„Da wurden Luftbilder ausgewertet, topografische Landkarten aus unterschiedlichen Zeiten miteinander verglichen und Menschen in den Dörfern und Städten befragt“, erinnert sich ein Mitarbeiter einer kommunalen Altlasten- und Bodenschutzabteilung.

Überall, wo der Geländeverlauf eigentlich eine Klamm, eine Schneise oder ein kleines Tal erwarten lassen würde, die Beamten aber eine auffällig flache Wiese vorfanden, wurden sie misstrauisch. Auch Steinbrüche, Kiesgruben und Bombenkrater aus dem Zweiten Weltkrieg waren bevorzugte Orte, um den Müll zu verklappen.

Bei 1.215 Standorten steht die Untersuchung noch aus

Von den 3.168 alten und unregistrierten Müllkippen, die man zwischen Bruchsal und Achern fand, wurden nach Angaben der Landesanstalt für Umweltschutz (LUBW) bislang 2.553 untersucht. Bei 2.475 wurde keine Gefahr festgestellt.

Bei 48 dieser untersuchten Standorten dauert derzeit die Gefahrenabschätzung noch an, 20 Flächen werden dauerhaft kontrolliert, zehn befinden sich derzeit in der Sanierung. Bei 1.215 Standorten steht die Untersuchung ihrer Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit für Mensch und Natur noch aus, erklärt eine Sprecherin der LUBW.

Nach Angaben des Stuttgarter Professors Kranert wurde mengenmäßig überwiegend Bauschutt und Erdaushub in die kommunalen Löcher gefüllt, „dazu auch alte Möbel, Öfen und das relativ wenige Plastik, das es damals schon gab“.

Bauschutt, Hausmüll, Möbel, Öfen

Allerdings war auch die Entsorgung von Gewerbeabfällen in diesen Löchern sehr häufig, so Kranert. „Das ging durchaus bis zum Sonderabfall wie Aschen, Schlacken und Produktionsrückständen. Dinge mitunter, die heute gar nicht mehr auf Deponien dürfen.“

Oft, so Kranert, habe man die Müllkippen auch einfach angezündet. „Damit war dann alles Brennbare weg und die Asche blieb übrig. Vieles sei zwischenzeitlich unkritisch, weil es sich zersetzt habe oder auch ausgelaugt und damit hochverdünnt ins Abwasser gesickert sei. „Es gibt aber auch Standorte, die umweltrelevant bedenklich sind, weil dort immer noch gefährliche Stoffe lagern.“

Es gibt aber auch Standorte, die umweltrelevant bedenklich sind, weil dort immer noch gefährliche Stoffe lagern
Martin Kranert, Professor für Abfallwirtschaft an der Universität Stuttgart

Die genauen Standorte der Müll-Löcher und Abfall-Gruben sind gar nicht so leicht zu erfahren. Vor allem mit dem Hinweis auf schutzwürdige persönlicher Daten verweigern die Ämter die Herausgabe der genauen Örtlichkeiten.

Genaue Daten zu erhalten, wird zu einem Geduldspiel. Die Landesanstalt für Umweltschutz erkennt eine Auskunftspflicht zunächst nur gegenüber Betroffenen, also Eigentümern an.

Datenschutz contra Bürgerinformation

Darüber hinaus könnten im Einzelfall aber auch standortgenaue Informationen weitergegeben werden an Menschen, die ein „berechtigtes Interesse“ haben. Dies, so die LUBW, könnten auch Mieter, Pächter und Käufer eines Grundstücks sein, aber auch Nachbarn, Arbeiter, die auf dem Grundstück tätig sind oder Verbraucher von auf dem betroffenen Grundstück hergestellten landwirtschaftlichen Produkten. Das aber könnte dann ja jeder sein.

Ob man tatsächlich alle „Bürgermeister-Kippen“ gefunden hat, ist zweifelhaft. „Das war eine Mammutaufgabe, die die Behörden da in den 90er-Jahren geleistet haben“, sagt Martin Kranert. „Ich gehe davon aus, dass man die großen Standorte alle gefunden hat. Aber wie viele der relativ kleinen Kippen es noch gibt, die man nicht erfasst hat, das ist sehr schwer abzuschätzen.“

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