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Literatur

Erfolgsautor im rechten Zwielicht: Wirbel um Uwe Tellkamp und Fortsetzung seines Bestsellers „Der Turm“

Die literarische Qualität eines Buches entscheidet sich bei seiner Lektüre. So ist es üblich und richtig. Aber die Erfahrung lehrt, dass es auch Ausnahmen gibt– wie jetzt etwa bei dem Dresdner Autor Uwe Tellkamp. Dessen jüngster Roman „Der Schlaf in den Uhren“ sorgte schon für Aufregung, noch bevor er erschienen war.

Stark kritisiert: Autor Uwe Tellkamp machte in den vergangenen Jahren vor allem mit seinen außerliterarischen Äußerungen zu Medien und Flüchtlingen auf sich aufmerksam.
Stark kritisiert: Autor Uwe Tellkamp machte in den vergangenen Jahren vor allem mit seinen außerliterarischen Äußerungen zu Medien und Flüchtlingen auf sich aufmerksam. Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Lange hatte die Leseöffentlichkeit diesem immer wieder angekündigten und verschobenen Buch entgegengefiebert. Er sollte Tellkamps millionenfach verkauften und erfolgreich verfilmten Roman „Der Turm“ (2008), der eine elitäre, bildungsbürgerliche Gesellschaft im Dresdner Nobelviertel „Weißer Hirsch“ in der Endphase der DDR vorstellt, über den Mauerfall hinaus in die Gegenwart fortsetzen.

Für das Karlsruher Lesepublikum ist der Autor von zusätzlichem Lokal-Interesse: Teile des „Turms“ entstanden, als Tellkamp mit Familie vorübergehend in Karlsruhe lebte, in seiner „Volkswohnung“ in der Südweststadt.

Diese war, wie er sich erinnert, so beengt, dass er den komplizierten, aus vielen DIN A4-Seiten zusammengeklebten Bauplan des geplanten Romans im Flur ausbreiten musste.

Außerliterarische Einlassungen sind stark umstritten

Das Nachfolgewerk ließ auf sich warten. Unterdessen machte Tellkamp immer wieder mit kontroversen, außerliterarischen Einlassungen von sich reden. Hier zeigte er eine unverkennbare Neigung zu rechtem Gedankengut und artikulierte sich als zorniger Kritiker der bundesdeutschen Gegenwart, der die demokratischen Verheißungen der „Wende“ verraten sieht und dessen Widerstand gegen das „System“ namentlich mit der Flüchtlingskrise von 2015 Nahrung erhielt.

Tellkamps Wut richtete sich vor allem gegen die Medien, die er im Verdacht hatte, als verschworene Mainstream-Macht alle abweichenden Meinungen zu unterdrücken.

Der vielfach ausgezeichnete Autor kritisierte etwa die „Meinungsdiktatur“ einer vermeintlich links-gepolten, manipulativen Presse („von taz bis FAZ – alles gleich“), beklagte 2018 bei einer Dresdner Podiumsdiskussion den autoritären „Gesinnungskorridor“ der Medien und erklärte angesichts der Flüchtlingswelle nach 2015, „95 Prozent“ der Migranten seien gekommen, „um in die Sozialsysteme einzuwandern“.

HANDOUT – 13.05.2022, ---: Cover des Buches „Der Schlaf in den Uhren“ von Uwe Tellkamp. Das Buch erscheint im Suhrkamp Verlag. (zu dpa-Korr vom 14.05.2022) Foto: Suhrkamp Verlag/dpa – ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über das Buch und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
Cover des Buches „Der Schlaf in den Uhren“ von Uwe Tellkamp. Das Buch erscheint im Suhrkamp Verlag. (zu dpa-Korr vom 14.05.2022) Foto: Suhrkamp Verlag/dpa

Damit war er unverkennbar auf der Seite der „Pegida“-Bewegung seiner Heimatstadt Dresden und ihrer vor allem in den östlichen Bundesländern wirksamen Propaganda. Das löste einen bundesweiten Shitstorm aus und veranlasste den Suhrkamp -Verlag, sich von seinem Autor und dessen Aussage zu distanzieren – ein ungewöhnlicher Vorgang.

Zwar ruderte Tellkamp danach halbherzig zurück, verwies auf die fatale Fehldeutung des Wörtchens „um“, tat seine bewusst diffamierende Äußerung als „Unfug“ ab und wollte seine Behauptung nur als Ruf nach einer neuen Einwanderungspolitik verstanden wissen, die „auf die hiesige Gesellschaft und Kultur Rücksicht nimmt“.

Doch der einst gefeierte Autor hatte sich selbst schwer beschädigt und schmähte 2020 in der Erzählung „Das Atelier“ seine Kritiker gar noch als „Schmieranten“, „Harmonie-Harfner“ und „Beschränkt-Pflaumen“.

Dokumentation in 3sat

Eine aktuelle und viel gesehene 3sat-Dokumentation zum Reizthema „Streit um die Meinungsfreiheit“ versuchte (rechtzeitig vor dem Erscheinen des Romans) eine Ehrenrettung, um zu verhindern, dass aus dem „Fall Tellkamp“ der „Fall Tellkamps“ wird. Freilich konnte auch diese Sendung, in der der Autor seinen Ruf als beleidigter, selbstgerechter Wüterich mit zornigen Tiraden bekräftigt, die literarische Qualität des Buches kaum verbürgen.

Da hilft es auch nicht, dass er seinen Opfermythos im System einer feindseligen Medienlandschaft pflegt. Fast will es scheinen, als sei der Skandal, mit dem Tellkamp sich inszeniert, Teil einer PR-Strategie, die den Verkauf des sperrigen Buchs beflügeln soll. So kann denn der absichtsvoll umstrittene Autor die verteufelten Medien zu Helfershelfern seines Geschäfts machen: 50.000 Exemplare des Buches, das auf Anhieb Platz drei der Bestsellerliste eroberte, sind bereits ausgeliefert.

Service

Am Mittwoch, 8. Juni, ab 19 Uhr besteht die Möglichkeit, den Autor und sein Werk im Karlsruher Prinz-Max-Palais bei einer Lesung der Literarischen Gesellschaft zu erleben.

Uwe Tellkamp: Der Schlaf in den Uhren. 904 Seiten, Suhrkamp Verlag, 32 Euro.

Ob sie alle auch gelesen werden? „Facit indignatio versum“ (Empörung erschafft die Dichtung) – dieser Satz des spätrömischen Satirikers Juvenal ließe sich an Tellkamps jüngstem Roman überprüfen. Das ist nicht ganz leicht, weil die beharrlichen Ausfälle des Autors den Blick auf die unbestreitbaren Vorzüge seines Buches verstellen.

Dabei liefert der 900 Seiten dicke Wälzer Passagen von imponierender Sprachmacht und mitreißender Fantasie. Solche gelungenen Partien wollen jedoch gesucht und gefunden sein, denn die Lektüre wird über weite Strecken erschwert durch eine gewisse Langatmigkeit in ausgedehnten Exkursen, durch Behäbigkeiten und Widersprüche sowie einen Wust von Notizen, Entwürfen und Spielereien.

Orte, Ebenen und Zeiten, Parodie und Pamphlet, Klarnamen und codierte Anspielungen, verschmockte Bildungsfülle und plattes Sentiment verbinden sich in diesem Schlüsselroman zu einer beklemmenden und grellen Dystopie, die das Hohe Lied der Verschwörung in literarischer Verbrämung anstimmt.

Im „Turm“ zeigte sich Tellkamp als großer, durchaus eigenwilliger Erzähler. Davon ist in dem neuen Roman nur noch selten etwas zu spüren. Dafür eröffnet er im Labyrinth des fiktiven, penibel ausgemalten Staates „Treva“, in dem sich alte Stasi-Strukturen zu einer neudeutschen Überwachungshölle 2.0 verewigen, den Blick auf einen virtuos verrätselten Kosmos, den zu erschließen Mühe macht, aber auch Anregung verspricht.

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