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Debüt: „Ehen in Philippsburg“

Martin Walser ist tot – erster Träger des Karlsruher Hermann-Hesse-Preises

Der so bedeutende wie streitbare Autor Martin Walser ist tot. Er war der erste Träger des Karlsruher Hesse-Preises.

Der Schriftsteller Martin Walser ist im Alter von 96 Jahren gestorben.
Der Schriftsteller Martin Walser ist im Alter von 96 Jahren gestorben. Foto: Felix Kästle/dpa

„Bewundert viel und viel gescholten“ – dieses Zitat aus Goethes „Faust“ hätte auch auf Martin Walser gepasst. Der so berühmte wie umstrittene Schriftsteller vom Bodensee war der letzte Vertreter des berühmten Autoren-Quartetts, das der deutschen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg zu internationaler Geltung verhalf.

Und so wie Günter Grass, Siegfried Lenz und Heinrich Böll sich oft mit dieser Phase der deutschen Vergangenheit und deren Folgen für die Gegenwart beschäftigt hatten, so hatte auch Walser zunächst vorwiegend deutsche Themen behandelt und sich dabei zum kritischen Analytiker der Gesellschaft entwickelt. Wie am Freitagabend durch den Rowohlt Verlag bestätigt wurde, ist Walser im Alter von 96 Jahren gestorben.

Martin Walser erhielt Hermann-Hesse-Preis für „Ehen in Philippsburg“

Der in Wasserburg am Bodensee geborene Sohn eines Gastwirts studierte nach dem Krieg Germanistik und promovierte 1951 über Kafka. 1955 erhielt er den renommierten Preis der „Gruppe 47“, und 1957 folgte eine Auszeichnung in Karlsruhe: Dort ging der erstmals vergebene Hermann-Hesse-Preis an Walser für sein Debüt „Ehen in Philippsburg“.

Der Schlüsselroman war eine gallige Satire auf die Stuttgarter Nachkriegsgesellschaft. Der Verkaufserfolg des Romans erlaubte es ihm, sich fortan ganz der Schriftstellerei zu widmen und wieder an den Bodensee umzuziehen, wo er seither in Nußdorf bei Überlingen lebte.

Wie seine ab 1960 entstehende „Kristlein-Trilogie“ um den Anti-Helden Anselm Kristlein bildeten seine frühen Werke im Innenleben ihrer Figuren gesellschaftliche Zustände ab und festigten Walsers Ruf als sensibler, sprachmächtiger Chronist der deutschen Befindlichkeit.

Zwist zwischen Walser und Marcel Reich-Ranicki

Die Kritik ging mit Walser nicht immer gnädig um. Sie warf ihm im Vergleich mit seinen alters- und ranggleichen Kollegen mangelndes politisches Bewusstsein und bloße Wortlust vor.

Namentlich der prominente „Literaturpapst“ Marcel Reich-Ranicki schrieb über Walsers Roman „Jenseits der Liebe“ (1976) einen deutlichen Verriss. Walser antwortete 1977 mit der glänzenden Novelle „Ein fliehendes Pferd“, die bis heute als eines seiner besten Prosastücke gilt.

Zwischen dem 2013 gestorbenen Marcel Reich-Ranicki und Martin Walser gab es immer wieder Meinungsverschiedenheiten.
Zwischen dem 2013 gestorbenen Marcel Reich-Ranicki und Martin Walser gab es immer wieder Meinungsverschiedenheiten. Foto: Oliver Berg

Selbst Walsers „Lieblingsfeind“ Reich-Ranicki pries das Werk in höchsten Tönen, doch der Zwist eskalierte erneut nach Reich-Ranickis heftiger Kritik an Grass’ Roman „Ein weites Feld“ (1995).

Der gekränkte Autor veröffentlichte mit dem Schlüsselroman „Tod eines Kritikers“ (2002) eine bitterböse, persönliche Abrechnung mit dem Medien- und Literaturbetrieb. Das Buch wurde zum Skandal und trug Walser heftige Antisemitismus-Vorwürfe ein, die seinen Ruf nachhaltig beschädigten.

Öffentliche Empörung nach Frankfurter Friedenspreis-Rede

Als Autor zwischen den politischen Lagern zeigte sich Walser immer wieder – etwa durch sein Engagement gegen den Vietnamkrieg und in dem Roman „Die Gallistl’sche Krankheit“ (1972), der ihn dem Verdacht der Sympathie für die DKP aussetzte, aber auch in seiner zunehmend konservativen Wendung zu „deutschen Themen“ wie in der autobiografisch unterlegten „Verteidigung der Kindheit“ (1991), die das Ende der deutschen Teilung feierte.

Öffentliche Empörung verursachte Walser 1998 mit seiner fatalen, missverständlichen und prompt missverstandenen Frankfurter Friedenspreis-Rede, in der er sich gegen die „Instrumentalisierung“ von Auschwitz wehrte und die ihn in die Nähe „geistiger Brandstiftung“ rückte.

In seinen späteren Büchern kreiste der vielfach ausgezeichnete Autor immer mehr um seine innere Verfassung. Zudem machte sich in seinen späten Büchern ein allmählicher Rückzug des großartigen Erzählers aus der Literatur und sein ausdrückliches Misstrauen gegen das „belletristische Schreiben“ geltend.

Zahlreiche neuere Walser-Titel mit Sammlungen von Skizzen, Gesprächen und Notaten wiesen ihn als nachdenklichen Zeitkritiker, klugen Aphoristiker, pointierten Essayisten und provokanten Querkopf aus, der mit virtuoser Sprachkunst den Geist, mehr noch den Ungeist der Zeit reflektierte.

Unterzeichner eines offenen Briefs zum Ukraine-Krieg

Walser gehörte auch zu den Unterzeichnern eines umstrittenen Offenen Briefes zum Ukraine-Krieg. Ende April 2022 appellierten mehrere Künstler und Intellektuelle an Bundeskanzler Olaf Scholz, keine weiteren schweren Waffen an die Ukraine zu liefern. Ansonsten drohe ein Dritter Weltkrieg. Zudem würden Waffenlieferungen den Krieg und somit das Leiden der ukrainischen Bevölkerung verlängern. Diese Argumentation wurde von mehreren Seiten vehement kritisiert.

Noch zu Lebzeiten übergab Walser seinen literarischen Nachlass an das Deutsche Literaturarchiv Marbach. Der Literatur- und Kunstwelt bleibt der Name Walser erhalten: Seine Töchter Johanna und Alissa sind ebenfalls Schriftstellerinnen, seine Tochter Theresia ist eine erfolgreiche Dramatikerin und seine wohl bekannteste Tochter Franziska ist eine viel gefragte Schauspielerin.

Walser selbst hat seine außerliterarischen Werke als seine „wirkliche Biografie“ bezeichnet. Seine Hinwendung zu philosophischen und religiösen Themen zwischen Traum und Wirklichkeit, zur poetischen Miniatur und sprachlichen Askese markierte ein neues Verhältnis des Literaten zu seinem Metier.

Als er im März 2022 „Das Traumbuch“ veröffentlichte, war er 95 Jahre alt – ein echter Jahrhundert-Schriftsteller. „Du musst den Wörtern kündigen“ schrieb Walser einmal – und konnte doch Zeit seines Lebens nicht von ihnen lassen.

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